Vier Hüsle für eine Schule
Seit 1899 steht die Volksschule Rheindorf im Dorf. Sie hatte schöne Klassen, doch kaum Raum für konzentriertes Lernen in Kleingruppen. Die Architekturwerkstatt Dworzak & Grabher erweiterte ihre Turnhalle aus den 1980ern, stockte sie um ein Geschoß mit Bibliothek, Konferenzzimmer und Sonderunterrichtsraum auf und kleidete sie neu ein. Vier rote Satteldachhäuschen – in jeder Himmelsrichtung eines – erweitern nun ihr oberstes Geschoß nach außen, signalisieren Neubeginn und machen die Schule unverwechselbar.
Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Marcel Hagen
Die erste Volksschule in Lustenau-Rheindorf war ein Haus mit Mauersockel, Holzschindelverkleidung, zwei Klassen und Lehrerwohnung. 1883 eingeweiht, war sie rasch zu klein. Der mögliche neue Standort polarisierte: Einige präferierten den höher gelegenen Platz, im Volksmund das „Büchele“, andere den tiefer gelegenen „Sumpf“. Man wurde sich nicht einig. Bis die Gebrüder Hofer ihr Grundstück, das „Büchele“, der Gemeinde gratis überließen – und Geld für den Bau spendeten. Von so viel Edelmut getragen, konnte die Volksschule 1899 feierlich eingeweiht werden. Bis heute steht sie auf ihrem Rustikasockel und den drei Klassengeschoßen wie ein Fels in der Brandung der Dorflandschaft.
Die Schule ist in Grünräume eingebettet: Im Norden der Gastgarten eines Lokals, im Westen führt die Schulgasse zwischen Wiesen und alten Bäumen zum Spielplatz, der sich um die Turnhalle ausbreitet. Mitte der 1980er wurde diese im Süden parallel zur Schule gestellt, vor dem Turnsaal breitete sich im Osten an der stark befahrenen Maria-Theresien-Straße ein asphaltierter Platz aus. Hier ließen Eltern ihre Kinder aus dem Auto hüpfen. „Das war oft gefährlich“, erinnert sich Direktor Dietmar Martin.
2008 hatte die Architekturwerkstatt Dworzak-Grabher als Alternative zu Containern einen leicht demontierbaren Kindergarten aus Holz mit Schmetterlingsdach entworfen. 2009 war er fertig, 2011 wurde erweitert: Er ist noch immer in Betrieb, bei Kids sehr beliebt und in Gehweite der Volksschule. Diese hatte Bedarf an Sonderunterrichtsräumen und generell zu wenig Platz. Dworzak-Grabher schlugen vor, die Turnhalle um den Vorplatz zur Straße hin zu erweitern und um ein Geschoß aufzustocken. Als Begleitmaßnahme wurde der Bestand so umsichtig wie effektiv verbessert: So dienen neue, runde Öffnungen in den Klassenwänden als Sitznischen, Lichtquellen und Blickverbindungen zum Gang, Zwischenwände schufen kleinere Räume für das Lernen in konzentrierten Gruppen. Die Maria-Theresie-Straße wurde mit Tempo 20, neuem Belag, Sitzwürfeln und Bänken zur Begegnungszone vor der Schule. Neuer öffentlicher Raum.
„Wir wollten die Bücher ins Zentrum rücken, denn Lesen ist die Kernkompetenz.
Der offene Raum funktioniert wie ein Marktplatz: Hier wird gemalt, gebastelt, gesungen, musiziert.“
Dietmar Martin
Direktor
Uns war wichtig, dass es ein Haus für Kinder ist“, so Stephan Grabher. Daher dockt an das Fensterband des Zubaus in jeder Himmelsrichtung ein rotes Satteldachhäuschen an. Jedes ist vom obersten Geschoß aus zugänglich und hat eine andere Funktion: Das Häuschen im Osten dient dem Konferenzzimmer als Rauchbalkon, das im Süden als Fluchtstiege, das im Norden verbindet die Bibliothek barrierefrei mit dem Bestand, im Westen können die Kids frische Luft schnappen. Die Häuschen erweitern das Innere und geben dem Zubau eine unverwechselbare, verspielte Komponente. „Sie haben genau die Form, wie Kinder ein Haus zeichnen würden,“ so Grabher zufrieden. „Sie machen den Unterschied zwischen einem beliebigen Büro und einer Schule aus.“ Auf Anhieb verleihen sie der aufgestockten Turnsaal-Kiste einen gewissen Witz. Außerdem passen sie gut zur Vielfalt der umgebenden gewachsenen Dachlandschaft. Der Zubau mit den vier Satteldachquerschnitten, die keck über die gerade Traufkante lugen, wirkt wie ein Spielzeughaus im Grünen. Er polarisiert, emotionalisiert, bildet einen Kontrast zum Bestand und ist für jedes Kind leicht zu merken.
Innen sind sich alle einig: Die Erweiterung ist hell, luftig, flexibel nutzbar und hat viel Potenzial für neue Lernformen und Ganztagsbetreuung. Alle Böden sind zinnoberrot. „Die Schülerinnen und Schüler halten sich wahnsinnig gern da auf“, so Direktor Martin. „Das Tollste ist: Die Räume stehen allen zur Verfügung.“ 240 Kinder besuchen die Schule, jede Klasse hat einen Stock im Altbau, die vierten Klassen sitzen im einstigen Kindergarten-Pavillon mit Schmetterlingsdach. Im Zubau gibt es einen Veranstaltungs- und Bewegungsraum und einen Speisesaal mit Küche, der sich im Süden zur Terrasse am Park erweitert.
Herz des Zubaus bildet das offene Treppenhaus aus rot lackiertem Flachstahl in der Mitte, sein räumliches Juwel ist das oberste Geschoß mit den 1,20 Meter starken Trägern aus Brettschichtholz und umlaufenden Fensterbändern. Hier docken die Häuschen an und liegt die Bibliothek. Ihre Regale stehen frei im Raum, gleich bei der Stiege. Sitzkissen laden zum Lungern und Lesen ein.
Daten & Fakten
Objekt Volksschule Rheindorf
Bauherr Marktgemeinde Lustenau
Architektur Architekturwerkstatt Dworzak-Grabher Hugo Dworzak – Stephan Grabher, Lustenau, www.dworzak-grabher.at
Statik SSD ZT GmbH, Röthis
Fachplanung Heizung, Lüftung, Sanitär: Walter Pflügl, Bregenz; Elektro: ek-plan, Nenzing; Brandschutz: Huber, Weiler; Akustik u. Bauphysik: Lothar Künz ZT, Hard; Landschaft: Barbara Bacher, Linz; Pädagogik: Direktor Dietmar Martin mit Lehrkollegium
Planung ab 4/2015
Ausführung 7–9/2016 und 7–9/2017
Nutzfläche 1900 m², davon neu: ca. 900 m²
Bauweise Erdgeschoß Massivbau (Beton), Obergeschoß als Holz-Skelettbauweise; Außenwand aus vorgefertigten Holzrahmenelementen und verglaste Pfosten-Riegelkonstruktion; sichtbare Dachkonstruktion mit Aufdachdämmung, Folien-
abdichtung, Vegetationsschicht und Photovoltaikmodulen
Besonderheiten Aufbau auf bestehende Turnhalle; Komfortlüftung
Ausführung Baumeister: Zimmermann, Bregenz; Zimmermann: Fussenegger, Dornbirn; Dach: Tectum, Hohenems; Fassade: Markus Hämmerle, Lustenau; Lüftung: Kranz, Weiler; Heizung und Sanitär: Intemann, Lauterach; Elektro: Pircher, Bregenz; Fenster: Isele, Lustenau; Verglasung: OK, Dornbirn; Beschattung: Berthold, Rankweil; Außenanlagen: Brunner, Höchst
Energiekennwert 13,2 kWh/m² im Jahr
Errichtungskosten 2,9 Mill. Euro