Sitzen, Verweilen, die Stadt genießen – die „Pebbles“ von Studio Bär
sind schon jetzt nicht mehr aus dem Stadtbild von Dornbirn wegzudenken.
Die Gussplastiken in Steinoptik markieren kleine Plätze im Stadtraum
und dienen als Wahrnehmungsinseln.

Text: Verena Konrad | Fotos: Adolf Bereuter

Um 1880 schuf der französische Bildhauer Auguste Rodin eine kleine Plastik mit dem Titel „Der Denker“. Eine männliche Figur sitzt vornübergebeugt, das Kinn auf die eigene Faust gestützt, auf einem Stein. Die Körperhaltung deutet auf einen inneren Zustand hin, die Stirn wirkt wie in Sorgenfalten gelegt, was mag ihm wohl gerade in den Sinn gekommen sein? Die Figur wurde schnell so berühmt, dass sie bis heute ikonischen Status hat – sie diente als Vorlage für Kunstwerke großer Maler, wurde zuerst vergrößert, dann verkleinert und in Materialien aller Art nachgegossen zum käuflichen Objekt, heute füllt sie die Regale in Museumsshops. Das Sitzen auf einem Stein wurde zum Inbegriff der geistigen Sammlung, des Nachdenkens, Sinnierens. Alles Nachdenken folgt der Wahrnehmung – der eigenen Existenz in ihrem Umfeld, des eigenen Körpers im Raum, der eigenen Gedanken im Strudel von Gefühlen und Information. „Der Denker“ als Figur scheint isoliert. Wir sehen nicht, was um ihn herum passiert, wo er sich befindet – doch wenden wir den Fokus: weg von der Figur und hin zu dem, was sie umgibt, was uns umgibt, zu den Einflüssen, denen wir täglich ausgesetzt sind, den vielen Begegnungen, die uns als Menschen prägen, hin zum Stadtraum.

Die Soziologin Martina Löw hat vor vielen Jahren ein wichtiges Buch geschrieben. Sie hat sich dem „Raum“ gewidmet und ihn mit den Methoden einer auf menschliche Beziehungen hin ausgerichteten Wissenschaft untersucht. Die sogenannte Raumsoziologie ist entstanden. Martina Löw versteht den Raum als relationale, also in Beziehung stehende, Anordnung von sozialen Gütern, von materiellen Elementen und Menschen. Den Raum erleben Menschen über diese Elemente und über das, was mit ihnen passiert.

„Die „Pebbles“ dienen der Aufenthaltsqualität
im öffentlichen Raum.
Sie sind eine soziale Geste
und funktionieren als Skulptur wie
auch als Gebrauchsgegenstand.“

Matthias Bär
Architekt

 

Die Soziologin Martina Löw hat vor vielen Jahren ein wichtiges Buch geschrieben. Sie hat sich dem „Raum“ gewidmet und ihn mit den Methoden einer auf menschliche Beziehungen hin ausgerichteten Wissenschaft untersucht. Die sogenannte Raumsoziologie ist entstanden. Martina Löw versteht den Raum als relationale, also in Beziehung stehende, Anordnung von sozialen Gütern, von materiellen Elementen und Menschen. Den Raum erleben Menschen über diese Elemente und über das, was mit ihnen passiert.

Doch nicht nur Wahrnehmung formt den Raum im menschlichen Bewusstsein, sondern auch unsere Vorstellungen, wie etwas zu sein hat, und Erinnerungen an Erlebnisse und Eindrücke, die wir bereits hatten. Das erklärt viele Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung von Raum, kulturelle Prägungen, aber auch individuelle Unterschiede. Menschen erleben Raum unterschiedlich und verhalten sich dadurch auch unterschiedlich. Sie reagieren verschieden auf offene oder geschlossene Situationen, auf Nähe und Distanz. Für die Architektur und Freiraumgestaltung hat das große Auswirkungen, geht es doch darum, Räume zu schaffen, die Gemeinschaft und Begegnung ermöglichen, aber auch individuelle Bedürfnisse ernst zu nehmen.

Martina Löw nennt das Platzieren, Errichten, Bauen oder Positionieren von Gebäuden, aber auch von beweglichen Gütern, „Spacing“, Raumschaffen könnte man auch sagen. Wahrnehmung ist dabei nie nur auf ein Ding gerichtet. So entsteht z.B. unsere Wahrnehmung von „Straße“ durch die Kombination von Eindrücken, die nicht nur eine Fahrbahn, sondern eben auch Fahrzeuge, Passant(inn)en, Gebäude sowie Kleinelemente wie Sitzbänke, „Pebbles“!, Straßenlampen, Abfallkübel, Bäume etc. bei uns hinterlassen. Diese Eindrücke nennt sie „Synthese“. Für die Stadtraumgestaltung ist es wichtig zu erkennen, dass es also niemals nur um ein Ding geht oder ein einzelnes Bauwerk, sondern immer um einen Gesamteindruck.

Doch zurück zum Denker. Der Stein, auf dem der Denker sitzt, ist ein Ort. Eine konkrete Stelle, von der aus er die Welt beobachtet. Ohne Ort kein Raum und umgekehrt. Orte entstehen immer erst durch eine „Besetzung“ mit konkreten materiellen oder symbolischen Gütern. Wer nun in Dornbirn auf den „Pebbles“ zu sitzen kommt oder diese Steine als markante, schöne neue Zugaben im Raum, als Markierungen eines Ortes – „wir treffen uns dort drüben bei den Steinen!“ – erkennt, muss nicht an Gott und die Welt denken, sondern kann einfach Raum wahrnehmen, Menschen beobachten, kurz verweilen und vielleicht doch an Gott und die Welt denken, denn was wären wir Menschen ohne diese Fähigkeit, über uns selbst hinaus ins Soziale zu fühlen, zu denken und uns damit selbst zu spüren.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Pebbles, Dornbirn
Bauherr Stadt Dornbirn
Architektur Studio Bär, Dornbirn, www.baer.studio
Mitarbeit Johannes Pfaff, Lena Merschroth, Claudia Bär
Planung 2022
Ausführung 2022
Bauweise Betonguss
Ausführung Stangl AG, Waldkraiburg (D); Werkhof, Dornbirn
Fotonachweis Modellfotos und Skizze: Studio Bär; alle übrigen: Adolf Bereuter