Paradiese fallen nicht vom Himmel, umso weniger, wenn sich dort
über 20.000 Menschen tummeln. Hinter der Parklandschaft des
Alten Rheins bei Lustenau steckt eine hochkomplexe, naturnahe Planung.
Die unterschiedlichen Bedürfnisse von Mensch, Tier und Pflanze sind
zu berücksichtigen. Das Büro stadtland hat Infrastruktur in die Landschaft
gebettet, Wege entflochten, um Konflikte zu vermeiden, das Gelände modelliert,
Badebuchten und viele schöne Orte geschaffen – vom Nistplatz bis zur Lagune.

Text: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel

Landschaft ist lebendig, sie wächst und verändert sich ständig. Wind, Wetter, Menschen, Tiere, Schädlinge: Alles hinterlässt Spuren und schreibt sich in sie ein. Auf der Eschmannkarte aus dem Jahr 1849 ist das Flussbett des Rheins mehr als doppelt so breit wie heute. In einem mächtigen Bogen, der in fruchtbarer Aulandschaft ausufert, umkreist der wilde Alpenstrom das Dorf Diepoldsau. 1888 und 1890 überfluteten zwei verheerende Hochwasser ganze Ortschaften im Rheintal. 1892 schloss die Habsburgermonarchie mit der Schweizer Eidgenossenschaft einen Staatsvertrag zum länderübergreifenden Hochwasserschutz ab, 1923 wurde der Alte Rhein durch den Diepoldsauer Durchstich vom Neuen Rhein abgetrennt.

Der Lustenauer Abschnitt des Alten Rheins ist gut zwei Kilometer lang. Etwa 25 Jahre blieb dieses wichtigste Naherholungsgebiet der Gemeinde mehr oder weniger sich selbst überlassen, ab den 1950er-Jahren baute man dort Millionen Kubikmeter Kies ab. Heute nutzen Tausende die parkartige Landschaft zum Sonnen, Baden, Grillen, Sporteln, Joggen, Spazierengehen und Radfahren. Einmal im Jahr lockt das Szene Open Air rund 20.000 Musikfans auf das Gelände.

Den überfälligen Ausbau des Radwegs nahm die Gemeinde 2014 zum Anlass für eine landschaftliche Begleitplanung durch das Büro stadtland. „Das Wasser zieht alle an, viele verbringen ihre Freizeit da“, sagt Landschaftsplaner Thomas Loacker. „Da kommt es leicht zu Nutzungskonflikten. Der Landesradweg führte mitten durch die Liegewiese. Wir haben Funktionen zugeordnet, Nutzungen entflochten, neue Wege angelegt und dabei immer auf die Naturverträglichkeit geachtet.“ 2015 war die Eröffnung. Landschaftsarchitekten planen mit lebender Materie und denken in Jahrzehnten. Sie betreuen den Naturpark kontinuierlich weiter, der von den Lustenauer Gemeindegärtnern gepflegt wird. Mit jedem Jahr wird er schöner.

An den Ufern des Alten Rheins wachsen Tausende Gehölze. Es gibt Sümpfe, Gräser, Weiden, Blumen und Wiesen. Zwanzig Fischarten leben im Alten Rhein, man kann Nilgänse mit ihren Familien durch das Wasser gleiten sehen, Gelbbauchunken, Eisvögel und viele andere Tiere entdecken. Der Hochwasserdamm wurde abgeflacht, an das Gelände angepasst und bepflanzt. Der Radweg führt nun dort entlang, Fußgänger benutzen den alten Uferweg, der näher am Wasser liegt. „Die Einbettung der Infrastruktur in den Naturraum war mir eine Herzensangelegenheit“, sagt Rudi Alge, der Leiter der Umwelt- und Abfallwirtschaft Lustenau. „Für mich ist das ein Sehnsuchtsort. Die Besucher sollen die Harmonie der Natur nachspüren können.“ Sein Lieblingsplatz ist die Lagune bei der Seelachenmündung mit den zwei Säulenpappeln, die einem Naturgewässer nachempfunden ist.

„Das Wasser zieht alle an, da kommt es
leicht zu Nutzungskonflikten. Wir haben Funktionen zoniert,
Nutzungen entflochten, neue Wege angelegt und dabei auf die
Naturverträglichkeit geachtet.“

Thomas Loacker
Landschaftsplaner

Was Loacker und Alge wirklich schmerzt: Landesradwege müssen asphaltiert sein. Loacker hätte verdichteten Flickschotter bevorzugt; der lässt Wasser versickern und ist auch für Rollstühle und Kinderwägen geeignet. „In Zeiten der Klimaerhitzung muss man sich mehr denn je fragen, ob in einem natursensiblen Bereich wirklich versiegelt werden muss“, sagt Alge. „Auf der Schweizer Seite in Diepoldsau geht es auch ohne Asphalt. Die Natur sollte mehr wert sein als ein leicht befahrbarer Radweg.“ Die Einstiege in den Alten Rhein wurden abgeflacht, damit man leichter ins seichte Wasser kommt, die Ufergehölze blieben. Für Vögel sind Hecken wichtige Brutplätze, die Auswahl der Arten wichtig: Zaunkönige brüten nur in blumentragenden Sträuchern wie Schlehdorn und Liguster. „In den 1970ern wurden hier Fichten gepflanzt. Zum Glück haben wir sie stehen gelassen“, sagt Thomas Loacker. „Sie sind für die Waldeulen, sehr seltene Nachtvögel, essenziell.“

An milden Herbstabenden tauchen die Strahlen der Abendsonne den Alten Rhein in warme Farben und spiegeln sich die bunten Blätter der Laubbäume am Ufer im Wasser. Dann liegt der Alte Rhein wie ein See in der Landschaft. Bei starken Unwettern wird die Parklandschaft zum Überschwemmungsgebiet. Ziehen feuchte Nebel auf, verschwinden die wenigen Menschen, die noch unterwegs sind, wie Schemen in der dunstigen Landschaft, wagen sich Tiere aus ihrer Deckung im Gehölz und genießen Schwäne und Enten, dass der Alte Rhein bei
Regen ihnen allein gehört.

Daten und Fakten

Objekt Naturpark Alter Rhein, Lustenau, Landschaftspflegerische Begleitplanung Landesradweg
Bauherr Marktgemeinde Lustenau und Land Vorarlberg
Architektur Landschaftsarchitektur: Stadtland Ingenieurbüro für Landschaftsökologie und Landschaftspflege, DI Thomas Loacker, Hohenems. www.stadtland.at
Verkehrsplanung Besch & Partner, Feldkirch
Planung 2013/2014
Ausführung 2014/2015
Grundstück 60.000 m²
Besonderheiten Ausführung der Pflanzarbeiten in Eigenregie durch den Bauhof mit örtlicher Aufsicht durch das Landschaftsarchitekturbüro
Ausführung Tiefbau: Rhomberg, Bregenz; Rodung: Kurt Rauch, Lustenau; Ansaaten: Philipp Alge, Lustenau; Pflanzenlieferung: Alois Stöckl, Zell an der Pram; Pflanzarbeit: Gemeindebauhof Lustenau
Baukosten 700.000 Euro; davon 100.000 Euro für Landschaftsplanung und Bepflanzung