Das Potenzial erkennen
Es ist eigentlich nicht ungewöhnlich. Viele junge Architekturbüros beginnen mit Wohnungsumbauten, kleineren Bauaufgaben im Bekanntenkreis. Doch dann? Dann kommen mit der Zeit neue, größere Projekte dazu und „kleinere“ Bauaufgaben treten in den Hintergrund. Aktuell ist in der Architekturszene viel los. Die Material- und Bauwende stellt die gängige Praxis in Frage und legt den Finger in die Wunde: Wo bleibt das Engagement für den Bestand? Lara Kaufmann und Martina Simoncini haben mit diesem Wohnungsumbau ihre gemeinsame Architekturpraxis begonnen. Das Ergebnis ist so erfrischend und einfach, dass man sich mehr davon wünscht.
Text: Verena Konrad | Fotos: Angela Lamprecht
Neuerdings gibt es eine ganze Reihe von interessanten Wortschöpfungen: So wird aus „Baukultur“ die „Umbaukultur“ und mit der Bezeichnung die Propagierung eines Umdenkens in Richtung Bestand sichtbar. Im Diskurs ist die Bauwende schon längst vollzogen, doch die Praxis hängt nach. Slogans wie diese sollen anregen, einen neuen Weg einzuschlagen und das Sanieren vor den Neubau stellen. Doch Moment? Einen neuen Weg? Die Nutzung des Vorhandenen ist doch nicht neu! Tatsächlich kann man heute das 20. Jahrhundert mit seiner wohlstandsvergessenen Wegwerfkultur als fatalen Irrweg bezeichnen. Lebensmittelverschwendung, Einwegplastik und Fast Fashion machen es vor – die Bauindustrie ebenso. Wo haben wir uns nur hinentwickelt? Noch vor 100 Jahren hätte niemand ein Stück Brot weggeworfen; fast jeder hätte ein Loch im Pullover geflickt, das Haus weiter umgebaut, Räume neu genutzt. Doch im 20. Jahrhundert wurde „das Neue“ zu einem Prestigefaktor.
Es ist nun Zeit, umzudenken und dem Bestand wieder mehr Bedeutung einzuräumen: in Wertschätzung der Arbeit, die hier schon vollbracht wurde, in Wertschätzung der materiellen Substanz, in Wertschätzung der bereits verbrauchten Energie, in Wertschätzung für die kulturelle Dimension des Bestands. So geschehen bei einer kleinen, doch umso bedeutungsvolleren Bauaufgabe, einem Wohnungsumbau in einer Bregenzer Wohnanalage. Diese wurde vor gar nicht langer Zeit von Architekt Gunter Wratzfeld geplant. Die meisten Menschen können den Wert von Bestand erst ab einer zeitlichen Distanz von mindestens zwei Generationen erkennen.
Bauen im Bestand erfordert Sensibilität und Feingefühl. Neue Elemente sollten sich harmonisch einfügen und die gestalterische Präsenz des ursprünglichen Entwurfs nicht überlagern.
Lara Kaufmann und Martina Simoncini
Architektinnen
Zu nahe ist uns die Generation davor, zu stark das Verlangen, sich abzuheben von dem, was uns unmittelbar mitgegeben wurde. Martina Simonicini und ihr Mann, ebenfalls Architekt, haben sich für den Kauf dieser Substanz entschieden. „Es war ein günstiges Angebot in großartiger Lage. Nicht oft findet man eine Wohnung mit so gutem Grundriss.“ Tatsächlich hat Gunter Wratzfeld dem Thema „Grundriss“ immer viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das fachkundige Paar hat dieses Potenzial erkannt und Martina Simoncini mit ihrer Büropartnerin Lara Kaufmann haben den ersten Auftrag umgesetzt.
Im unteren der zwei Geschoße der Wohnung, das im ersten Stock beginnt, sind Schlafraum, Kinderzimmer, Bad und WC sowie eine Garderobe angelegt. Ein Stiegenaufgang führt ins Wohngeschoß mit offener Küche und Wohnzimmer. Ein Balkon liefert großzügigen Außenraum mit fantastischem Ausblick Richtung Pfänder. Der bereits bestehende Einbau führt nochmals mit Treppe zu einem einsichtigen Arbeitsbereich und einem Bonuszimmer, das auch für Gäste genutzt werden kann. Die Küche hat mir ihrer Form und Gestaltung, der Dachschräge und den dort eingeschnittenen Fenstern Pariser Charme. Hier fand der stärkste Eingriff statt, war die Küche doch zuvor ein kleiner, separater Raum. Nun gehört das gemeinsame Kochen zum Familienleben und hauswirtschaftliche Tätigkeiten werden nicht versteckt. Über diese Maßnahme wurden auch die Träger freigelegt. Ein bestehender Kachelofen bekommt neue Wirkung.
Die sichtbare Konstruktion war bereits im Bestand angelegt.Die Kunst lag darin, diese Qualität zu erkennen und zu belassen. Lara Kaufmann, der ersten Frau Kaufmann, die Architektin ist, scheint diese Wertschätzung der konstruktiven Ehrlichkeit in die Wiege gelegt, war doch die offene Konstruktion mit Leimbindern das Markenzeichen des Großonkels Kaufmann. Nicht selten werden Bestandsobjekte zur Unkenntlichkeit „totsaniert“. Spannend sind Sanierungen dann, wenn sie den Bestand anerkennen und aus dem Besonderen nicht fanatisch etwas Anderes, Modisches machen wollen. Die erste realisierte Bauaufgabe des neuen Architekturbüros vom Martina Simoncini und Lara Kaufmann verspricht viel: den Blick für das Wesentliche, handwerkliches Verständnis, Fachkenntnis und Gespür in der Materialwahl, vor allem aber eine entspannte und souveräne Haltung, die sich in der gekonnten Reduktion zeigt. Die erste realisierte Bauaufgabe des neuen Architekturbüros von Martina Simoncini und Lara Kaufmann verspricht viel: den Blick für das Wesentliche, handwerkliches Verständnis, Fachkenntnis und Gespür in der Materialwahl, vor allem aber eine entspannte und souveräne Haltung, die sich in der gekonnten Reduktion zeigt.
Objekt: Umbau Wohnung S, Bregenz
Bauleute: Martina Simoncini, Julian Straub
Architektur: Kaufmann Simoncini Architekten ZT GmbH, Dornbirn, www.kaufmannsimoncini.com
Fachplanung: Bauphysik: Stefan Küng, Wolfurt
Planung: 11/2023–02/2024
Ausführung: 02/2024–06/2024
Nutzfläche: 106 m² (inklusive Galerie)
Bauweise: Bestand (Mischbauweise)
Ausführung: HKLS-Installationen: Siegfried Steurer Installationen Energietechnik, Andelsbuch; Elektroinstallationen: Pircher Elektrotechnik, Bregenz; Abbruch: Dietrich Abbrucharbeiten, Bezau; Fenster: Böhler Fenster, Wolfurt; Trockenbau: Formart Juen, Lauterach; Fliesenleger: S+Tile, Dornbirn; Innenverglasung: OK Glas, Dornbirn; Zimmerer: Kaufmann Zimmerei, Reuthe; Tischler: Tischlerei Übelher, Bizau
Energiekennwert: 70 kWh/m² im Jahr (HWB) (vor dem Fenstertausch: 117 kWh/m²)
Baukosten: ca. 150.000 Euro brutto