Die Kunstmeile in Krems hat eine neue Attraktion:
Die Landesgalerie Niederösterreich, eine Planung
der Architektenbrüder Marte.Marte. Mit der raffinierten Geometrie
eines verdrehten Pyramidenstumpfs glückte es ihnen, das Volumen
des Museums einmalig geschickt am strategisch bedeutsamen Bauplatz
der Kunstmeile unterzubringen. Der quadratische Erdgeschoßgrundriss
fügt sich selbstredend in die Stadtstruktur, während die oberen Geschoße
der Donau und dem Blick nach Göttweig zustreben.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Rokand Horn, Marc Lins

Niederösterreich ist ein großes Bundesland mit reichen Kulturschätzen. In unmittelbarer Nachbarschaft von Wien drohte es in der nationalen Wahrnehmung als Umland der Bundeshauptstadt unterzugehen. Ein absoluter Missstand, dem Niederösterreich erfolgreich zu begegnen wusste: Konsequent wurde in den letzten Jahrzehnten in über 60 Bauten für die Künste investiert. St. Pölten bekam einen Kulturbezirk mit Klangturm, Festspielhaus (Klaus Kada) und Landesmuseum (Hans Hollein), Grafenegg den spektakulären Wolkenturm (thenextENTERprise Architects) und Krems die Kunstmeile. Adolf Krischanitz baute die einstige Tabakfabrik zur Kunsthalle aus, schräg gegenüber ist das Karikaturmuseum von Gustav Peichl, das mit zackiger Haarschopf-Traufkante und roter Quadernase seinem Namen alle Ehre macht. Nordöstlich davon schließt mit dem Eyblgebäude ein Cluster mit weiteren kulturellen Institutionen wie dem niederösterreichischen Architekturnetzwerk ORTE und dem Literaturhaus an.

Die neue Landesgalerie Niederösterreich befindet sich direkt neben dem Karikaturmuseum von Gustav Peichl – und gegenüber der Kunsthalle.
Die Kunstmeile in Krems läuft außerdem direkt auf das Kremser Tor zu, einem historischen Stadtportal, hinter dem das idyllische Stein beginnt, dessen Wurzeln bis ins Mittelalter reichen.

Nordwestlich gegenüber der Kunsthalle aber war noch Platz. Die städtebauliche Lage ist höchst delikat: Als Gegenüber der Kunsthalle und Nachbar des Karikaturmuseums sollte die neue Landesgalerie Niederösterreich den spektakulären Schlusspunkt der Kunstmeile bilden, ohne den anderen Museen zur Gänze das Wasser abzugraben. Im Nordwesten geht die Kunstmeile über der Straße mit dem sogenannten Kremser Tor, einem historischen Portal, direkt auf den Hauptweg des denkmalgeschützten, mittelalterlichen Stadtteils Krems-Stein über. Im Nordosten hingegen bilden zwei Kreisverkehre die Überleitung zum nahen Donauufer mit der Schiffsanlegestelle von Najjar&Najjar, einem Touristenmagneten.

Im Jahr 2000 wurden die Altstädte von Krems und Stein gemeinsam mit der Kulturlandschaft Wachau zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Das Land Niederösterreich wollte an diesem besonderen Ort für seine nationalen Kunstschätze ein besonderes Museum. 2014 schrieb es daher einen offenen, EU-weiten Wettbewerb aus, bei dem die Vorarlberger Architektenbrüder Marte.Marte klar siegten. „Eigentlich war gefordert, das Museum mit der Schiffsanlegestelle über beide Kreisverkehre hinweg mit einem Steg zu verbinden“, erklärt Bernhard Marte. „Doch das schien uns zu urban. Daher überlegten wir, wie wir mit dem Gebäude diese Geste des Ankommens erzeugen konnten.“ So entwickelten sie eine Geometrie, die sich in die kleinteilige, beengte Stadtstruktur fügt, aber trotzdem eine gewisse Richtung zeigt und die Großzügigkeit eines öffentlichen Kulturbaus ausstrahlt.

„Wir haben das Gebäude auch von außen nach innen entwickelt.
Dass es ausschaut wie eine Skulptur, war uns ein großes Anliegen.“

Bernhard Marte
Architekt

„Wir haben das Gebäude auch von außen nach innen entwickelt. Dass es ausschaut wie eine Skulptur, war uns ein großes Anliegen.“ Marte.Marte entwarfen einen Baukörper auf quadratischem Grundriss mit 33 Meter Seitenlänge, der sich im Erdgeschoß ganz selbstverständlich in seine Umgebung einpasst: In einer Flucht nimmt er im Nordwesten die Richtung der Kunstmeile auf und öffnet sich mit einem Café zum Vorplatz und zur Kunsthalle gegenüber. Jede Seite zur Gänze öffnende, bogenförmige Fenster sorgen dafür, dass man auch von innen sein Umfeld hier bestens im Blick hat. Außerdem geben sie dem Museum eine sehr transparente, tänzerische Anmutung. Das Lokal und sein Schanigarten sind jetzt schon hoch frequentiert.

Im Erdgeschoß sorgen vier bogen- förmige Fensteröffnungen für viel Licht und Bezug zum Außenraum.

Darüber aber beginnt sich das Grundrissquadrat zu drehen und gleichzeitig zu verjüngen: Im obersten, vierten Geschoß beträgt seine Seitenlänge nur noch 30 Meter. „Für die Dynamik des Gebäudes ist das enorm wichtig. Sonst wäre es viel zu plump geworden,“ so Bernhard Marte. „Wir hätten nie gedacht, dass die Niederösterreicher so mutig sind, es zu bauen.“

In jedem Eck und auf jeder Ebene zeigen sich die Innenräume der Landesgalerie von einer anderen Seite.
Schräg: Die Wände des Museums, die sich auf jede Richtung anders neigen, sind für Ausstellungsgestalter eine große Herausforderung.

Als einzige Konstante ragt die nordwestliche Kante des Museums gerade gegen den Himmel: Sie nimmt so Bezug zum Steiner Tor auf und gibt optisch und psychologisch Halt. Die anderen Seiten aber sind nach und nach gegen Südosten, zur Donau hin gedreht. So ergibt sich ein Museum, das auf jeder Seite wesentlich anders aussieht. Geometrisch ist das Gebäude, das die menschliche Wahrnehmung in der besten Manier eines Kunstwerks herausfordert, ein gedrehter Pyramidenstumpf. Das heißt, dass all die auf zwei Ebenen gekrümmten Flächen eigentlich aus windschiefen – also nicht zueinander parallelen – Geraden gebildet sind. Daher war seine bauliche Umsetzung aus einschaligen, tragenden Betonscheiben zwar eine Herausforderung, aber durchaus bewältigbar.

Abgesehen vom Erdgeschoß und von der obersten Ebene, wo die Terrasse für natürliches Licht sorgt, sind alle Räume der Landesgalerie mit Kunstlicht beleuchtet.

Innen gibt es zwei quadratische Stiegenhäuser aus Sichtbeton, die gleichfalls gerade nach oben führen: Das Hauptstiegenhaus ist mit vier Stiegenläufen an jeder Wand windradartig organisiert und liefert so ein einmaliges Raumerlebnis. Durch seine konstante Lage in den verdrehten Grundrissen erscheint jede Ausstellungsebene anders. Ganz oben haben Marte.Marte eine Terrasse eingeschnitten: Von hier sieht man wunderbar zum Stift Göttweig hoch über der Donau. Eine kleine, dreieckige Öffnung nimmt noch das Kremser Tor ins Visier. Im Erdgeschoß sorgen auf jeder Seite bogenförmige Fenster dafür, dass man sowohl vom Café als auch vom Ausstellungsraum wunderbar hinaus sieht und beobachten kann, wie Kinder draußen an Renate Bertlmanns Kunst vorbeiradeln oder Passanten die schiefe Wandkante bestaunen.

Auch das Stiegenhaus mit seinen windradartig angeordneten Stiegenläufen ist ein Erlebnis.
Höhepunkt: Die Dachterrasse bietet einen Blick zu Stift Göttweig – und einen nach Stein. Außerdem ein Kunstwerk von Dan Graham.

Daten & Fakten

Objekt Landesgalerie Niederösterreich

Bauherr Landes Niederösterreich

Architektur und Landschaftsarchitektur Marte Marte Architekten, Feldkirch, www.marte-marte.com

Statik M+G Ingenieure, Feldkirch, www.m-g.at

Fachplanung Management: Albert Tripolt Consult, Klagenfurt; Bauphysik: Bernhard Weithas, Lauterach; Brandschutz: Huber, Weiler; Fassade: KuB Fassadentechnik, Schwarzach; Küche: Gastro Plan, Götzis; Ausstellung: mm+, Berlin; Heizung, Klima, Lüftung, Sanitär: Dick + Harner, Salzburg; Elektro: Herbst, Salzburg; Geotechnik: 3P, Wien; Sicherheit : Risk Control, Steyr

Wettbewerb 9/2014

Planung 4/2015–5/2016

Ausführung 5/2016–12/2018

Grundstücksgröße 4150 m²

Nutzfläche 5550 m²

Bauweise Keller: Beton; Innenwände: Beton und Trockenbau; Fassade: Metallschindeln aus Titanzink, mit Mineralwolle gedämmt; Fenster: Dreischeibenverglasung, zum Teil sphärisch gekrümmt; Bodenbeläge: geschliffener Estrich und Parkett; Heizung/Kühlung: über Bauteilaktivierung aus Wärmepumpen mit Erdsonden

Ausführung Baufirma: Dywidag, Linz; Glasfassade: SFL, Stallhofen; Blechfassade: Heinrich Renner, Langenlois; Trockenbau: Baier & Demmelhuber, Wien; Böden: Spoma, Magdeburg (D); Elektro: Klenk & Meder, St. Pölten; Heizung, Klima, Lüftung: Bacon, Wien; Sanitär: Ledermüller, Martinsberg; Außenanlagen: Porr, Wien

Baukosten 32,8 Mill. Euro

Energiekennwert 19 kWh/m² im Jahr