Neueste Erkenntnisse der Pflegewissenschaften
fließen in diesem Pflegeheim in ein Raumkonzept,
das alle Sinne anspricht: Tageslicht und klare Strukturen unterstützen
die Orientierung in den großzügigen Aufenthalts- und Bewegungsräumen.
Niedrige Einbaumöbel erlauben Überblick und geben im Sitzen,
beim Fernsehen zum Beispiel, Rückendeckung.

Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Cornelia Hefel

Die alte „Seniorenresidenz“ in Höchst war zwar keine 40 Jahre alt, ihr pflegerisches und räumliches Konzept war aber unpraktisch geworden. Es gab kleine Wohnungen, ein bis zwei Zimmer groß, mit Bad, Küche und Balkon. Im Inneren des Gebäudes führten schmale, verwinkelte Gänge ohne Tageslicht zu den einzelnen Wohnungen. Nicht leicht für Pflegende, aber auch nicht ideal für Bewohnerinnen und Bewohner, denen der tägliche Weg in den Ort mühsam geworden ist, die aber dennoch gerne unter Menschen wären. Barrierefrei geht anders. Da zeitgemäße Pflegeheime erst ab einer gewissen Größe so geführt werden können, dass Wirtschaftlichkeit und hohe Qualität miteinander vereinbar sind, beschlos­sen 2012 die Gemeinden Höchst und Fußach, gleich neben der alten Seniorenresidenz, gemeinsam ein neues Pflegeheim zu bauen.

Die Gemeinschaftsterrassen in den Obergeschoßen sind nach Süden offen, der Blick geht in den Ort mit dem markanten Kirchturm von St. Johann.
Klar ablesbar im Erdgeschoß: seitlich die Praxisräume hinter seriellen Fassadenelementen, an der Rückseite Umkleiden, Wäscherei und vor allem die Großküche, in der auch für die Volksschule und das Sozialzentrum nebenan gekocht wird.
Licht und Schatten, verschieden hohe Lufträume, Blickverbindungen in alle Richtungen, dazu Glas und strahlendes Weiß - hier treffen sich Bewohner- und Besucher(innen).

Sie luden zu einem Architekturwettbewerb ein, aus dem der Entwurf von Dorner|Matt Architekten als bester hervorging. Nach der Beauftragung planten die Architekten nicht nur das Gebäude, sondern entwarfen auch ein Außenraumkonzept, das über die unmittelbare Umgebung des Neubaus hinausging. Das Zentrum von Höchst sollte bei dieser Gelegenheit nach Norden erweitert werden, von der alten Schule neben der Kirche St. Johann mit dem markanten Turm zur Volksschule Kirchdorf hin. Die nach Fertigstellung des Pflegeheims leer stehende Seniorenresidenz sollte einem neu zu errichtenden Sozialzentrum weichen, die Volksschule erweitert werden. Beide Projekte konnten noch nicht konkret geplant werden, mussten aber im Außenraumkonzept mit bedacht werden.

Das Pflegewohnheim wurde als Solitär fast in der Mitte des neu definierten Ortskerns platziert. Seine Eingangsfassade ist nach Süden gerichtet. Eine zurückgesetzte Öffnung im Erdgeschoß und zwei Terrassen, die Panoramadecks gleichen, geben ihr ein Gesicht. Betrieben wird das Heim nach dem Hausgemeinschaftsmodell. Es gibt vier Wohngruppen zu zwölf Personen, die jeder ein Zimmer mit Bad für sich haben. Vier Essbereiche mit offenen Küchen, in denen das Essen aus der Großküche den letzten Schliff bekommt, sind die Zentren der Gruppen.

„Eingebunden in ein generationenübergreifendes
Zentrum lässt es sich vornehm durch
die Offenheit des Hauses flanieren!“

Andreas Gimpl
Architekt

Erschließungskern: Zwischen dem halbverglasten Dienstzimmer und dem Lift ist der übersichtliche Empfangsbereich, gleichzeitig ein großzügiger Bewegungsraum. Neben dem Lift geht es ins Stiegenhaus.

Wie auf einem Ausflugsdampfer halten sich die Bewohne­rinnen und Bewohner hauptsächlich in den beiden oberen Stockwerken auf. Die allgemein nutzbaren Flächen sind so großzügig und multifunktional, dass fast jede Tätigkeit möglich ist, auch dem Promenieren rund um die zwei Lichthöfe und den Erschließungskern herum steht nichts entgegen. „Wir sehen es gerne, wenn die Bewohner(innen) aus ihren Zimmern herauskommen, in den Gemeinschaftsbereich“, erzählt eine Pflegerin. Dann bekomme man einfach gleich mit, wie es ihnen gerade geht. Auch die einheitlichen Einbauschränke in den Zimmern erleichtern die Arbeit, es gibt keine Stolperfallen, wenn es einmal eilig ist.

Den Wohnbereich auf der Rückseite des Dienstzimmers nutzen beide Wohngruppen gemeinsam. Er geht, auch optisch, barrierefrei in die Terrasse über.
Die Gänge sind breit und nach einer Seite blickoffen, um die Situation überschaubar zu machen.
Beide Lichthöfe gehen über alle drei Geschoße. Durch die Verwendung von Eiche für Parapet, Fensterrahmen und Deckenabschluss wirken sie fast wie weitere Einbaumöbel.

Die Oberflächen sind glatt und widerstandsfähig, das heißt aber auch, sie sind schallhart. Dennoch gibt es nur im Bereich der Essplätze Lochdecken, um die Akustik zu verbessern. Da ihre Moiréeffekte zu optischen Irritationen führen können, bevorzugten die Architekten akustisch wirksame Schlitze mit hinterlegter Dämmung in den Eichenholzwänden – und dies ist nur ein genau ausgeführtes Detail unter vielen. Die Terrassen mit ihrem Panora­mablick nach Süden zur neuen Begegnungszone sind natürlich auch wichtige Orte für die rauchenden Bewohnerinnen und Bewohner sowie für deren Gäste. Aber selbst diese Terrassen sind so groß und räumlich so differenziert, dass die einen mit ihren Besuchern plaudern, die anderen still genießen können, ohne einander zu stören.

Im Erdgeschoß gibt es eine große Lobby, die sich nach links zu einem Mehrzweckraum erweitert, an den eine Teeküche sowie Büro- und Besprechungsräume angrenzen. Nach rechts geht es zu einer Ordination für Gynäkologie und einer Praxis für Physiotherapie. Auf der Rückseite im Norden, hinter dem Erschließungskern mit Lift und Stiegenhaus, liegen Umkleideräume, Wäscherei und vor allem die Großküche, in der auch für die Volksschule und das Sozialzentrum gekocht wird. Der Garten ist nicht eingezäunt, meistens wird er nachmittags in Gruppen aufgesucht. Ein Getränkewagen kommt dann mit, manchmal wird das Kneippbecken mit Wasser gefüllt. Das geht nur unter Aufsicht, um Unfälle zu vermeiden. Einzeln geht kaum jemand in den Garten. Nach der Übersiedlung in den Neubau im Jänner 2017 haben alle voll Anteilnahme zugeschaut, wie „ihr“ altes Haus nebenan abgerissen wurde. Die Unsicherheit, wie es sich im neuen Haus leben und arbeiten lassen wird, ist inzwischen einer breiten Sicherheit und Zufriedenheit gewichen, bei den Bewohnerinnen und Bewohnern und bei den Pflegenden.

Hell und freundlich auch die privaten Rückzugsräume mit eigenen Badezimmern, von denen auf beiden Etagen je zehn nach Westen und nach Osten ausgerichtet sind.
Im Erdgeschoß führen sehr schmale Türen in die Lichthöfe, um die herum ein Andachtsraum und die Sakristei sowie Friseur, Personalraum, Pflegebad und Räume der Praxis für Physiotherapie angeordnet sind.
Gestaffelter Übergang von der Empfangshalle nach draußen: durch den Windfang geht es auf einen geschützten Vorplatz unter den auskragenden Terrassen, dann zwischen zwei üppig gestalteten Beeten hindurch zum Parkplatz, der Straße, dem Ort.

Daten & Fakten

Objekt Pflegeheim Rheindelta

Bauherr VOGEWOSI (im Baurecht der Gemeinde Höchst]

Betreiber BENEVIT Vorarlberger Pflegemanagement gGmbH

Architektur Dorner|Matt Architekten, www.dorner-matt.at

Statik DI Ingo Gehrer, Höchst

Fachplanung Bauphysik: Spektrum, Dornbirn; Elektro­: Hämmerle, Lus­tenau; Haustechnik: Stefan Ammann, Bregenz; Landschaft: Land Rise, Egg; Kunst am Bau: Heike Weber, Köln

Ausführung Frühjahr 2014–Herbst 2016

Grundstücksgröße 8500 m²

Nutzfläche 4200 m²

Bauweise Holzständerwerk/Stahlbeton mit Wärmedämmverbundsystem; Pelletsheizung; Holzfenster mit Markisen

AusführungBaumeister: Hilti & Jehle, Feldkirch; Zimmerer: Dobler, Röthis; Fenster: Tiefenthaler, Ludesch; Trockenbau: Bohn, Feldkirch; Tischler: Schwarzmann, Schröcken; Elektro: EGD, Dornbirn; Großküche: Lohberger, Schalchen (Oberösterreich), Heizung/Lüftung: Markus Stolz, Bregenz; Maler: PG, Höchst; Möbeltischler: Schwab, Götzis; Schlosser: Harald Simeoni, Andelsbuch

Energiekennwert 40 kWh/m² im Jahr (HWB)

Baukosten ca. 12 Mill. Euro