Dem Wald ganz nah
Am Waldsaum hinter der Pferdekoppel realisierte der Bauherr den Traum
seines Lebens: ein Baumhaus zum Wohnen. Architekt Georg Bechter plante
den smarten Holzquader auf Stahlstützen, dessen Eingangsebene etwa
fünfeinhalb Meter über dem Boden liegt. Hier ist man dem Wald ganz nah.
Auf mehreren Plateaus schrauben sich die Wohnfunktionen bis zur Dachterrasse
hinauf weiter. Der Bauherr ist Tischlermeister, in 3500 Stunden
Eigenleistung errichtete er das Baumhaus mit seinen beiden Söhnen selbst.
Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Jessica Alice Hath
Bauherr Bernhard Baldauf liebt Baumhäuser. Er ist Tischlermeister, unterrichtet an der Berufsschule in Dornbirn und bewohnt ein Haus in Oberköhler am Sulzberg. Dort hat er seinen Tischlereibetrieb und hält die Familie vier deutsche Reitponys. Nördlich der Koppel beginnt ein kleines Waldstück. Baldauf träumte von einem Baumhaus, in dem man ständig wohnen könnte. Ein vollwertiges Miniwohnhaus in den Bäumen braucht auch eine Baugenehmigung. 2013 hatte er den Altbürgermeister von Sulzberg, Helmut Blank, erstmals darauf angesprochen. Damit das Projekt vorankam, ging er gleichermaßen in Vorleistung und beauftragte Architekt Georg Bechter mit der Planung. Als dessen Entwurf so weit gediehen war, stellte man dem Bürgermeister und Gemeinderat das Projekt vor, 2018 erfolgte der positive Baubescheid.
Die Position des Hauses ist so ausgesucht, dass es den vom Sturm gebeutelten Bäumen nicht in die Quere kommt, seine Statik hält Windböen bis zu 150 km/h stand. „Wir waren einmal bei einer Windgeschwindigkeit von über 100 km/h drinnen“, erinnert sich der Bauherr. „Die Bäume rundherum haben gewackelt, das Haus nicht.“ 13 schräge, schlanke Stützen aus Cortenstahl tragen das kompakte Gebäude, das genau genommen kein Baumhaus, sondern ein Hybrid zwischen Hochstand und Miniwohnung ist. „Das Haus durfte nicht mitten im Wald stehen, keinesfalls am Boden, Erschließung und Raumprogramm mussten funktionieren,“ sagt Bechter. „Vor allem sollte man das Gefühl haben, zwischen den Ästen zu stehen. Das gehört zum Baumhaus einfach dazu.“ Größe, Proportion und Bauweise waren wichtig, ein Waldsaum in der Natur ist schließlich ein sensibles Territorium. Nun steht ein schlanker, hoher, kubischer Baukörper aus Holz mit 24 m2 Grund- und 48 m2 Wohnfläche auf staksigen Stützenbeinen am Waldrand. Statisch eine Herausforderung. In bester Loos’scher Raumplanmanier winden sich innen die unterschiedlichen Wohnbereiche auf zueinander versetzten Ebenen an einer gewendelten Treppe von einem Plateau zum nächsten, jedes gibt einen neuen Blick frei und inszeniert seine Lage.
Im Osten, Süden und Westen, wo das Haus von Wald umgeben ist, herrscht eine schattige, dichte Atmosphäre, im Nordwesten rahmt ein Sitzfenster den weiten Blick über die Wiese und die Schweizer Berge. Die Schindelfassade ist mit schwarz pigmentiertem Öl gebeizt. „Dieses Haus integriert sich sehr gut in die Natur, aber wir tun nicht so, als ob es nicht da wäre“, sagt Bechter. Die Neigung der Stützen gegeneinander ist so berechnet, dass ihr Kräfteverlauf einem Raumfachwerk entspricht, sein Stahlbetonfundament wiegt an die 100 Tonnen. Das Gegengewicht für den Sturm.
„Dieses Haus durfte nicht mitten
im Wald stehen, keinesfalls am Boden,
die Erschließung musste funktionieren.
Es integriert sich sehr gut in die Natur, aber wir tun nicht so,
als ob es nicht da wäre.“
Georg Bechter
Architekt
Baldauf baute dieses Haus in 3500 Arbeitsstunden gemeinsam mit seinen zwei Söhnen. Lukas, der Schlosser, fertigte die Stützen. Man betritt erst die Garderobe, die auch ein Teil des Bades ist. „Hier ist jeder Quadratmeter doppelt genutzt“, sagt Bechter. Ein weißes Waschbecken, ein Spiegel, sonst alles Holz – Rüster, also Ulme, geölt. Boden, Wand, Decke, sogar die Dusche mit dem raumhohen Glasschlitz zum Wald. Fünf Stiegen führen weiter hinauf in die Schlafkoje, wo einen nur eine Glasscheibe von den Bäumen trennt und man von Vogelgezwitscher geweckt wird. Ein Vorhang verwandelt diese waldnahe Exponiertheit zum Kokon. Sieben Stufen höher liegt die Wohnküche, an der sich der Detailierungsgrad dieser Planung exemplarisch zeigen lässt: Hier gibt es in jeder Himmelsrichtung eine Öffnung, jede ist anders. Das relativ kleine Fenster über der Küchenzeile lässt sich zum Lüften öffnen, an der Stirnseite des Esstisches ragt eine 70 cm tiefe Sitznische wie ein kleiner Erker aus dem Baumhaus. Sie bezeichnet die extrovertierte Hauptaussicht über die Wiese zu den Schweizer Bergen.
Über der langen Sitzbank am Tisch ist eine große Fensteröffnung eingeschnitten, der Bauherr liegt gern auf Bänken, daher ist sie 80 cm tief. Weil das zum Sitzen nicht so angenehm ist, lässt sich aus der Holzwand eine Rückenlehne klappen, die ganz unprätentiös eine bequeme Sitzposition schafft. „Ich habe dieses Baumhaus in erster Linie für uns gebaut. Es ist ein Familienprojekt,“ so Baldauf. Die Familie freut sich daran und nutzt es oft. Außerdem wird es vermietet. Etwa 40-mal wurde hier schon allein, zu zweit oder als Familien genächtigt. Einige sind so begeistert, dass sie das Haus gar nicht verlassen.
Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at
Daten und Fakten
Objekt Baumhaus Sulzberg, www.erlebnisbaumhaus.com
Bauherr Familie Baldauf
Architektur Georg Bechter Architektur + Design, Hittisau, www.bechter.eu
Statik zte Leitner ZT, Schröcken, www.zte.at
Fachplanung Geologie: Geomac, Andelsbuch; Bauphysik: DI Günter Meusburger, Schwarzenberg
Grundstück Am Rand einer Pferdekoppel
Nutzfläche 48 m²
Planung 3/2017–3/2018
Ausführung 3/2018–12/2020
Bauweise Holzbau auf Stahlstützen mit Betonfundament, Infrarotheizung
Besonderheiten Ausführung zum größten Teil in Eigenleistung
Ausführung Baumeister: Haller, Sulzberg; Holzbau: Bernhard Baldauf, Sulzberg; Heizung, Elektro: Österle, Doren; Sanitär:
Heizfink, Sulzberg; Fenster: Stefan Hagspiel, Doren; Schindeln: Theo Moosbrugger, Sulzberg; Beleuchtung: Georg Becher Licht, Hittisau