Geförderter Wohnbau ist wichtig. Er schafft Menschen mit mittleren und geringen ­Einkommen eine Bleibe. Gute Grundrisse, helle, brauchbar proportionierte Zimmer, die sich unkompliziert möblieren lassen, und private Freiräume: Das ist schon sehr viel. In Bürs gelang den Architekten Dorner/Matt noch mehr. Sie platzierten drei Baukörper mit großzügigen Terrassen, Loggien und einer wertigen Holzfassade so, dass sich zwischen ihnen öffentliche und halböffentliche Freiräume bilden.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel

Grün Die Wohnanlage Bürs liegt auf einem großen Grundstück am sonnigen Ortsende. Unweit von Autobahn und Zimbapark bietet sie Infrastuktur im Grünen.
Begegnungszone Jeder, der zu seiner Wohnung oder zu seinem Auto geht, muss über diesen breiten, bekiesten Platz in der Mitte der Anlage.

Bauherr eines maßgeschneiderten Hauses zu sein, braucht Zeit und Kapital. Anfang der 1960er schlossen sich idealistische junge Architekten, Handwerker (u. a. Rudolf Wäger, Hans Purin, Jakob Albrecht, Gunther Wratzfeld, Leopold Kaufmann) und engagierte Bauherren zu einer Gruppe zusammen, um gemeinsam moderne, kostengünstige Häuser zu errichten. Sie bewiesen, dass gute Architektur nicht teuer sein muss. Dieser ersten Generation der „Vorarlberger Baukünstler“ folgten zwei weitere: Sie legten den Grundstein dafür, dass die Dichte qualitätsvoller zeitgenössischer Bauten in Vorarlberg außergewöhnlich hoch ist. Das „Vorarlberger Architekturwunder“ machte international Furore.

Die großzügige Verglasung sorgt dafür, dass man die Loggia als logische Verlängerung des Wohnraums wahrnimmt. Weil sie sehr tief ist, bietet sie viel Platz für Möbel im Freien.
Private Paradiese: Jede Wohnung im Erdgeschoß verfügt über eine witterungsgeschützte Terrasse und ein Stück Eigengarten.

Wohnen ist ein Grundrecht des Menschen. Es mit Würde zu erfüllen, eine wesentliche Aufgabe des Sozialstaates. In unseren Breiten bildete sich das Instrumentarium des geförderten Wohnbaus heraus, um auch jenen, die wenig verdienen, Wohnraum zu schaffen. Mit steigendem Wohlstand stiegen die Ansprüche an den sozialen Wohnbau, der längst auch für bessere Einkommensschichten attraktiv ist. Er unterliegt strengen Kostenkriterien. In einer Zeit, in der Immobilien zu Wertanlagen werden und Grundstückspreise explodieren, gerät er zunehmend unter Druck.
Die Vorarlberger Wohnbauselbsthilfe wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – 1950 – gegründet. Damals hatte kaum jemand Geld, viele Menschen hatten Wohnbedarf. Da kam man auf die Idee , das fehlende Kapital mit Arbeitsleistung wett zu machen: die künftigen Nutzer(innen) bauten ihre Eigenheime selbst. Heute reichen die Leistungen der Wohnbauselbsthilfe von der Projektentwicklung über den Bau, die Hausverwaltung bis zur Sanierung. Die unabhängige Genossenschaft verwaltet derzeit etwa 6000 Wohnungen, rund ein Drittel besitzt sie selbst, zwei Drittel gingen über die Mietkaufoption in das Eigentum einstiger Mieter über. Pro Jahr errichtet die Wohnbauselbsthilfe rund 200 Wohnungen. Den Bedarf legen die Gemeinden fest. Georg Bucher, der Bürgermeister von Bürs, einem Ort mit etwa 3300 Einwohnern, widmete eine Baufläche von 7200 m2 dem sozialen Wohnbau. Sie liegt unweit von Zimbapark und Autobahn am sonnigen, südlichen Rand des Ortes.

„In Vorarlberg ist kaum ein Wohnbau über vier Geschoße hoch. Wir tun, als ob wir unendlich viel Boden hätten. Gefördertes Wohnen rechtfertigt eine höhere Bebauungsdichte. Es ist der soziale Kitt der Gesellschaft.“

Christian Matt
Architekt

Die Architekten Dorner/Matt gewannen den geladenen Wettbewerb. Sie nutzten die maximale Bauhöhe mit drei Geschoßen aus und zielten auf die höchst zulässige Dichte ab. Das Motiv dahinter war nicht schnöde Flächenoptimierung, sondern ein städtebaulicher Ansatz. „In Vorarlberg ist kaum ein Wohnbau über vier Geschoße hoch. Wir tun so, als ob wir unendlich viel Boden hätten“, sagt Christian Matt. „Dabei ist der Kostendruck immer derselbe. Leistbares Wohnen rechtfertigt durchaus eine höhere Bebauungsdichte.“ Die Bürser Anlage fügt sich gut in die niedrige, dörfliche Struktur, die sie umgibt. Nun wohnen hier etwa 200 Menschen sehr hochwertig.
Die Zufahrt – der Krüzbühel – befindet sich am südöstlichen Rand der Anlage: Von hier führt ein langer, bekiester Platz zu allen Häusern. Hier sind auch der Zugang zur Tiefgarage und zwei Bäume. „Das ist ein halböffentlicher Raum, in dem man sich gegenseitig treffen muss. Er forciert Begegnung. Hier gehen alle in ihre Häuser und zum Auto. Das ist die maximale Interaktion“, so Matt. „Der geförderte Wohnbau ist auch der soziale Kitt der Gesellschaft.“ Die grünen Streifen der Eigengärten der Erdgeschoßwohnungen säumen den Platz. An seinem Ende zweigt ein schmälerer Weg zwischen den zwei hinteren Wohnbauten zu einem intimeren Freiraum ab: Hier steht im Gras eine Schaukel und können die Kinder ungestört spielen. Die Baukörper sind vorwiegend nach Südosten und Südwesten orientiert, haben raumhohe Fenster und daher sehr helle Räume. Wirklich jede Wohnung hat mindestens einen großzügigen, barrierefrei von Wohnraum und oft auch Zimmern zugänglichen privaten Freiraum – Balkon, Loggia oder Garten. „Die Loggien liegen am Eck. Da hat man das Gefühl, man wohnt am Maisfeld“, so Matt. „Wir bemühen uns immer sehr um das Detail. Die Stiegenhäuser sind von oben natürlich belichtet, die Rahmen über den Loggien aus Schwarzstahl, die Holzfassade dunkelbraun gestrichen und imprägniert. So muss man sie nicht jedes Jahr reinigen.“ Seit Sommer 2019 sind alle Wohnungen bezogen. 20 wurden verkauft, 43 vergab die Gemeinde als geförderte Miet- oder Mietkaufwohnungen.

Partitur von Freiräumen: Blick vom gedeckten Bereich vor dem Hauseingang auf den zentralen Platz mit Gebirgskulisse im Hintergrund, davor ein kundiger Passant: Architekt Christian Matt
Großzügige Grundrisse: Jede Wohnküche hat eine fast raumhohe Verglasung und einen direkten, barrierefreien Zugang auf den zugeordneten privaten Freiraum. Terrasse, Balkon, Loggia oder Eigengarten.
Spielplatz Die zwei hinteren Wohnquader nehmen behutsam ein Stück Rasen in ihre Mitte, sodass die Kinder hier ungestört spielen können.
Auch das ist Wohnqualität: Ein Stiegenhaus mit großzügigen Gangflächen und natürlichem Licht von oben.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Wohnanlage Krüzbühel, Bürs

Bauherr Wohnbauselbsthilfe Vlbg.gem.reg.GmbH, Bregenz

Architektur Dorner\Matt Architekten, Bregenz

Projektleitung DI Michael Lammer

Statik DI Peter Nagy, Dornbirn

Fachplaner Bauphysik: IB Andreas Ellensohn, Dornbirn; Haustechnik: TB Ing. Günther Sillke, Wolfurt; Elektroplanung: BIW Walter Bischof, Tschagguns; Landschaftsarchitektur: Gruber+Haumer OG, Bürs

Wettbewerb 02/16

Planung 02/16-07/19

Ausführung 07/17-07/19

Grundstücksgröße 7209 m²; Wohnnutzfläche 4666 m²; Keller inkl. Tiefgarage 2964 m²

Ausführung Baumeister: Hilti & Jehle, Feldkirch; Zimmerer/Fassade: LOT Holzbau, Feldkirch; Spengler/Fassade: Heinzle, Koblach; Fenster: Zech Fenster, Götzis; Innenausbau: Rudigier Trockenbau, Bludenz; Estrich: Burtscher Böden, Nüziders; Parkett: Raum & Zeit Fechtig Parkett, Dornbirn; Heizung/Sanitär: Dorf-Installationstechnik, Bludenz; Lüftung: Kranz Luft-Klima-Technik, Weiler; Elektro: Jovitech Elektro-Installationen, Dornbirn; Garten: Ideengärtnerei Müller, Thüringen

Energiekennwert 17 kWh/m² im Jahr (HWB)

Fotonachweis Cornelia Hefel