1843 kaufte Franz Martin Hämmerle ein Gebäude in der Kirchgasse 4 im
Dornbirner Oberdorf. Heute ist dieses Haus bekannt als Gründerhaus des bereits
1836 gegründeten Textilunternehmens F.M. Hämmerle, das es in 150 Jahren familiengeführten Unternehmertums
an die Spitze der österreichischen Textilwirtschaft
schaffen sollte.
Das bauliche Erbe dieses Unternehmens ist auch nach der Textilkrise

in den 1980er-Jahren präsent im Bild der Stadt. Ein Blick auf die Spuren der
frühen Industrie und die Nachnutzung ihrer Bauten.

Autorin: Verena Konrad | Fotos: Michael Kemter

Es ist nun ziemlich genau 20 Jahre her, da konnte ich mit einer kleinen Gruppe von Mitstudent(inn)en einige Tage in Südtirol und Vorarlberg verbringen. Begleitet von unserem Professor Christoph Bertsch, einem Kunsthistoriker mit Vorarlberger Wurzeln, war sein und damit auch unser Thema das Feld der „Industriearchäologie“. Industriearchäolog(inn)en beschäftigen sich mit dem Erbe der frühen Industrie und der Kultur, die aus ihr erwachsen ist. Dabei geht es um die Bedingungen der Produktion, aber auch um Logistik und Verkehr, um Infrastruktur, um das Wohnen und soziale Einrichtungen, die mit diesen Standorten entstanden sind und ganz spezifisch auch um das bauliche Erbe dieser Zeit. Wir mussten nicht graben, nur schauen und staunen. Denn was uns etwa am Standort im Dornbirner Oberdorf rund um die Kirche, das sogenannte „Magazin Oberdorf“ und am Standort Steinebach gezeigt wurde, war mehr als beeindruckend.

Die Entwicklung des Unternehmens war für das Erscheinungsbild des Dornbirner Oberdorfs prägend. Die Fabrik, das Magazin als Warenlager, die Unternehmervillen der zweiten Generation und schließlich die zahlreichen Arbeiterwohnhäuser in der Umgebung sind Zeugen der frühen Industrialisierung Vorarlbergs. Dabei orientierte man sich an englischen Vorbildern – der sonst in Vorarlberg nicht gebräuchliche Backstein ist ein Relikt dieser Zeit und dieses Einflusses. Mit dem Wachstum wuchs auch die Verantwortung – der Familie, dem Unternehmen, den Mitarbeiter(inn)en und dem Erfolg gegenüber, den es zu erhalten galt.

Die pionierhaften Sozialinfrastrukturen des Unternehmens erzählen davon: Es gab einen Betriebskindergarten, ein Mädchenheim, eine Werksküche, ab 1888 ein Betriebsschwimmbad und sogar Räumlichkeiten für einen Betriebsarzt. Letztere wurden nun zu einem Kindergarten umgestaltet. Das Unternehmen produziert schon lange nicht mehr am Standort. Eine Holding verwaltet nun unter anderem die Bestandsflächen- und bauten und ist heute in Vermietung und Neubau von Wohnobjekten und Gewerbeflächen aktiv. Dafür setzt das Unternehmen auf einen guten Mix in der Vermietung und Nutzung und so eben auch weiterhin auf eine soziale Infrastruktur.

Die bauliche und baukulturelle Weiterentwicklung am Standort Steinebach wird seit vielen Jahren vom Dornbirner Architekturbüro Heim Müller Partner begleitet. So auch vor gut zwei Jahren der Umbau eines alten Arzthauses in einen Kindergarten. Dafür wurde das Bestandsgebäude vorsichtig und respektvoll saniert. Von außen kaum erkennbar, wurde nur verändert, was für die neue Nutzung unabdingbar war. Die Flächen wurden so organisiert, dass die Parkierung für das Personal, die Anfahrt für Eltern und der fußläufige Zugang über den östlich gelegenen Parkplatz der F.M. Hämmerle Holding erfolgen können. Ein Teil der bestehenden Mauer wurde dafür abgebrochen. Zum Schutz der Kinder wurde auf der Mauer zur Straße ein Metallzaun errichtet.

„Uns war ein sensibler,
wertschätzender Umgang
mit dem Bestand wichtig.“

Mark Falger
Heim Müller Partner Architekten

Auch im Inneren hat man sich für Weniges und Gutes entschieden. So wurden die für das Haus und seine Atmosphäre prägenden Treppengeländer auf die notwendigen Höhen angepasst und durch zusätzliche Stäbe ergänzt, im Wesen aber belassen. Unnötig gewordene Zusatzöfen wurden entfernt, die Kamine stillgelegt und verschlossen. Bestehende Fenster wurden aus Sicherheitsgründen versperrbar gemacht und mit Splitterschutzfolie bzw. neuer Verglasung ertüchtigt. Bei zu geringer Brüstungshöhe der Fenster (unter 85 cm) wurde außen ein zusätzlicher Stab als horizontale Absturzsicherung angebracht.

Im Erdgeschoß entstand durch einen kleinen, südseitigen Zubau ein neuer Eingangsbereich. Durch Mauerausbrüche wurden zwei Gruppenräume realisiert, eine Garderobe und ein Waschraum für die Kinder. Im ersten Obergeschoß wurden zwei bestehende Räume zum Bewegungsraum. Die angrenzende Veranda wird als Lager verwendet. Zwei Büroräume und ein Besprechungsraum sind genauso wie ein Aufenthaltsraum für das Team gedacht. In Kindergärten gehen nicht nur Kinder ein und aus. Sie sind auch Arbeitsorte und verlangen auch nach Qualität für Besprechungen, Vorbereitungsarbeiten und Pausen. Der Keller und das Dachgeschoß blieben unverändert. Betrieben und im Alltag belebt wird der Kindergarten durch die gemeinnützige Kinderbetreuung Vorarlberg, die unter dem Namen „Zwergengarten“ an 14 Standorten Begleitung und Betreuung von Kleinkindern anbietet.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Zwergengarten Steinebach, Steinebach 12, 6850 Dornbirn
Bauherr F.M. Hämmerle Holding AG, Dornbirn
Architektur heim + müller architektur zt, Dornbirn, www.heim-mueller.at
Mitarbeit Architektur: DI Mark Falger
Bauherrschaft F.M. Hämmerle
Mitarbeit Bauherrschaft: Dieter Greussing
Planung 02/2019–03/2019
Ausführung 04/2019–08/2019
Grundstücksgröße 1629 m²
Bruttogeschoßfläche 685 m²
Nutzfläche 483 m²
Bebaute Fläche 218 m²
Umbauter Raum 973 m³
Bauweise Mischbau aus bestehendem Ziegelmauerwerk und Holzdecken
Ausführung Konstruktiver Holzbau: Fussenegger, Dornbirn; Baumeister: Rümmele, Dornbirn; Elektro: Willi, Andelsbuch; Sanitär: Berchtold, Dornbirn
Energiekennwert nicht bekannt, durch den Umbau unverändert
Baukosten 400.000 Euro; Kosten pro Quadratmeter: 203 EUR
Energiesysteme Gas-/Ölbrennwertkessel
Materialwahl Mischbau, Bestandssanierung