Das Kinderhaus in Sulz ist zuallererst ein Bildungs- und Entwicklungsraum
für die kleinsten und jüngsten Mitglieder der Gemeinschaft.
Doch wie eine Gemeinde mit Kindern umgeht, verrät auch viel
über die Verfasstheit von Gesellschaft insgesamt.

Autorin: Verena Konrad | Fotos: Adolf Bereuter

Die Gemeinde Sulz im Bezirk Feldkirch hat derzeit ca. 2600 Einwohner(innen). Umgeben von Dörfern wie Röthis, Zwischenwasser und Rankweil zeigt sich in der Gegend schon seit vielen Jahren, was baukulturelle Bewegung gesellschaftlich auslösen kann, und umgekehrt. Baukultur zeigt sich zuallererst in Entscheidungen, in Prozessen und schließlich in deren Umsetzung und der Nutzung entstandener Bauten und Freiraumplanungen. Auch für das Kinderhaus in Sulz spielen all diese Aspekte eine wesentliche Rolle. Die erste Entscheidung, die mit diesem Projekt verbunden war, ist die von dörflicher Nachverdichtung. Anstatt einen neuen Kindergartenbau auf ein angrenzendes Baufeld zu setzen, entschied man sich für eine Einbettung neben Volksschule und Pfarrhaus. Klingt einfach, war es nicht. Eine anspruchsvolle Topografie in Form eines Hügels machte aus dem Projekt in vielfacher Weise eine Herausforderung.

Kinder zu begleiten ist herausfordernd und schön. Und unbestritten wichtig. Welche Räume dafür in einem Dorf zur Verfügung stehen, verrät nicht nur etwas über Wohlstand und Möglichkeiten, sondern auch etwas über politischen Alltag und über Priorisierungen. Damit ein Bildungsbau in der Nutzung seine Wirkung entfalten kann, braucht es zuallererst Dialog. Denn Wirkung zu antizipieren und sich über angestrebte Wirkungen zu unterhalten, über Funktionen und Atmosphären, über die Bedürfnisse von Kindern, die oft so unterschiedlich sind, über Erfordernisse von Betreuung, Pädagogik, Teamkultur für Mitarbeiter(innen), über die Ansprüche und Wünsche von Eltern und selbst über Elemente der Pflege im Fall frühkindlicher Betreuung oder Integration – all das ist zunächst zu vermitteln – von jenen, die diese Räume nutzen wollen an jene, die bei der Umsetzung mit Expertise und Erfahrung helfen sollen.

„Die Räume sollen neben Gemeinschaftserlebnissen
auch Rückzug ermöglichen.“

Jochen Specht, Christian Mörschel
Architekten

Wer heute das Kinderhaus in Sulz betritt, ohne dort selbst Kinder zu haben, muss sich erst ein wenig umsehen. So vielfältig ist das Angebot, so wahrnehmbar differenziert sind Räume und Atmosphären. Und so wahrnehmbar ist auch die Freude, die Jochen Specht und Christian Mörschel als Architektengemeinschaft mit diesem Projekt gehabt haben mussten, denn das Kinderhaus strotzt vor Ideen und kleinen Gesten, die miteinander viel ausmachen. Der wahrnehmbarste Kniff ist der kindliche Maßstab. Schon von Weitem fällt die Fassade mit unterschiedlichen Fenstergrößen und Öffnungen auf. Diese Setzung führt nicht nur dazu, die monolithische Fassade wieder aufzubrechen und kleinteilig zu organisieren, sondern ist zunächst von innen gedacht. Die Fenster und Öffnungen orientieren sich an den Kleinsten, an dem Durch- und Ausblick, den ein Mensch mit einem Meter Körpergröße in diesem Räumen erfahren kann. Und Ausblicke sind wichtig. Kindergartenleiterin Sabine Mathies erzählt von Kindern, die an Fenstern stehen und die Umgebung, zuvor gerade noch beim Spiel draußen erlebt, nun aus der Distanz beobachten und so ganz neue Perspektiven gewinnen. Mit etwas Abstand schaut die Welt oft anders aus, kann beobachtend erlebt auch zu neuen gedanklichen Perspektiven führen. Auch die differenzierte Raumwahrnehmung wird damit aktiviert.

Im Schulbau nehmen die Räume mit Clusterordnungen zu, im Bereich der Kleinkindpädagogik hat sich dieser Trend nicht durchgesetzt. Auch Jochen Specht sieht das kritisch. „Ich denke, es ist wichtig, Sicherheit durch Übersichtlichkeit zu vermitteln und neben Gemeinschaftserlebnissen auch Rückzug zu ermöglichen. Kleinere Räume mit klarer Struktur kommen diesem Bedürfnis eher entgegen.“ So sind die Räume angemessen großzügig und teilweise multifunktional, wie etwa im ebenerdigen Saal, der für Bewegung und Spiel ebenso genutzt wird wie für Chor- und Musikproben oder Feste. Auch Küche und Kantine, mit kleinen Nischen für Tischgemeinschaften, sind anderweitig nutzbar.

Der Respekt vor Kindern zieht sich durch die gesamte Planung und Ausführung. Er beginnt beim Abholen von Bedürfnissen und geht bis in die Materialwahl, Lichtlösungen, Freiraumgestaltungen und setzt sich fort in einer guten Zusammenarbeit von Bauherr und Planer(inne)n. Große Freude haben die Kinder in Sulz mit dem Treppenhaus, das auch eine Rutsche beinhaltet. Sobald sich das Pandemiegeschehen entspannt, können Sie es bei der offiziellen
Eröffnung selbst probieren.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen (jetzt wieder geöffnet) und Veranstaltungen bietet das vai monatlich Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Kinderhaus, Sulz
Bauherr Gemeinde Sulz
Architektur Christian Mörschel, Jochen Specht, www.juniwind.com, www.jochenspecht.com
Landschaftsarchitektur: Marianne Schrötter-Raid, Alberschwende
Statik SSD Beratende Ingenieure, Röthis
Ausschreibung Querformat ZT, Dornbirn
Bauphysik Spektrum, Dornbirn
Haustechnik GMI Ingenieure, Dornbirn
Elektroplanung Hecht, Dornbirn
Planungsdaten Baubeginn: 05/2018; Fertigstellung: 12/2019
Objektdaten Nutzfläche 1348 m²
Bauweise Stahlbetonbau mit vorgemauerter Ziegelfassade
Ausführung Baumeister: Nägele Hoch- und Tief- bau, Röthis; Mauerwerk: Klinkerforum, Morsbach (D); Heizung/Sanitär/Lüftung: Stolz, Feldkirch; Elektrotechnik/; Beleuchtung: ETG/Aschaber, Mils; Fenster: i+R Fensterbau, Lauterach; Beschattung: Blank, Lustenau; Trockenbau: Ausbau Bohn, Feldkirch;
Holzböden/Holzdecken: Bechtold, Weiler; Tischlermöbel: Sternath, Hard; Maler: Liepert, Bludenz; u.a.
Energiebedarf 134 kWh/m² im Jahr