Seit Anfang des Jahres hat Dornbirn eine neue Stadtbibliothek. Rund 8000 stilisierte, wenngleich zerbrechliche Bücher an der Fassade deuten dezent auf den Inhalt dieses offenen, einladenden Bildungshauses hin. Wir haben uns eingelesen.

Autorin: Wojciech Czaja | Fotos: Albrecht Immanuel Schnabel

Buch und Kaffee Noch ist das kleine Café im Obergeschoß etwas leer, aber die Befüllung der Regale und gemütlichen Lounge-Sessel ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die Fassade aus stilistierten Keramikbüchern wirft ein angenehmes Licht- und Schattenspiel in den Innenraum.
Oval aus vier Parabeln Der amorphe Baukörper liegt wie ein eleganter Ausstellungspavillon zwischen Marktstraße und Schulgasse. Abends machen sich die versteckten Fenster hinter der Fassade bemerkbar.

Die ovale Keramikschatulle zwischen Marktstraße und Schulgasse gleicht dieser Tage mehr einem Fitnesscenter als einer Bücherei. Denn statt Besucher(inne)n, die hier üblicherweise in Büchern und Zeitschriften blättern, schmökern, recherchieren, laufen hinter verschlossenen Türen die Mitarbeiterinnen hin und her und stellen all jene Exemplare zusammen, die die Kund(inn)en telefonisch oder online bestellt haben. „Seit einigen Wochen ist das Haus offiziell geschlossen“, sagt Ulrike Unterthurner, Leiterin der Stadtbibliothek Dornbirn, „aber tatsächlich haben wir so viel zu tun, dass wir mit den Bestellungen kaum noch nachkommen.“ Für mobile Bürger(innen) werden die Bücher in Papiertaschen vor die Tür abgestellt. Das Kontingent der Entlehnungen beläuft sich auf durchschnittlich 50 Taschen pro Tag.

Schattenkeramik Die 8000 Elemente aus glasierter Keramik dienen als Schattenspender und wirken von der Seite hermetisch, aus der Nähe jedoch luftig und offen. Das Farbkonzept dafür stammt von Monika Heiss.

Für all jene, die es bevorzugen, in Zeiten von Corona das Haus nicht zu verlassen, wird die Literatur per Lastenrad vor die Wohnungstür geliefert. „Unsere Mitarbeiterin, die für die Auslieferung zuständig ist“, meint Unterthurner, „ist ziemlich sportlich, bei Adressen in höheren Lagen schnappt sie sich dann einfach das Mountainbike.“ Um die geltenden Corona-Sicherheitsmaßnahmen nicht unnötig zu strapazieren, sind die Mahngebühren bis auf Weiteres ausgesetzt. Ab 19. Mai, so der Plan, soll die Stadtbibliothek auch physisch ihre Pforten wieder öffnen.
„Es ist ein wunderschönes, gut funktionierendes und vor allem sinnlich gestaltetes Haus, in dem wir uns nun so entfalten können, wie es für einen modernen Betrieb nötig ist“, meint die Bibliotheksleiterin. Auf insgesamt 1200 Quadratmetern, verteilt auf drei Etagen, gibt es Tische, Pulte, Sitzecken, Regale für bis zu 100.000 Buch- und Zeitschriftentitel, Online-Stationen, Spielothek, Mediathek, Makerspace, Büros, Meetingräume sowie einen großen, flexibel nutzbaren Hauptraum, der je nach Bedarf als Lesebereich oder Veranstaltungssaal für Lesungen, Buchpräsentationen und Filmvorführungen genutzt werden kann. Eines der raffiniertesten Details verbirgt sich in der Treppenbrüstung im Erdgeschoß: Auf Knopfdruck entfaltet sich das hölzerne Möbel teleskopartig zu einer Leinwand. Am anderen Ende der Aula versteckt sich die entsprechende Projektionstechnik.

Das wilde Sockenparadies im Erdgeschoß richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche. Mit seinen flauschigen Farben und Oberflächen erinnert der Raum an einen frühen James-Bond-Film aus den Siebzigerjahren.

„Eine Bibliothek ist heute weit mehr als nur ein Haus für Bücher“, sagt Peter Nussbaumer, Partner und Projektleiter bei Dietrich Untertrifaller Architekten, die den 2015 ausgeschriebenen Wettbewerb gemeinsam mit dem Röthiser Architekten Christian Schmölz gewonnen hatten. „Neue Medien, die zunehmende Digitalisierung unseres Alltags sowie die damit verbundene Veränderung unserer gesamten Lese- und Kommunikationskultur haben dazu geführt, dass eine Bibliothek heute eine Art öffentliches Wohnzimmer ist, in dem neugierige Menschen mit ähnlichen Zielen zusammenkommen und sich mal zurückgezogen in die Materie vertiefen, mal miteinander ins Gespräch kommen können.“

„Eine Bibliothek ist heute eine Art öffentliches Wohnzimmer, in dem neugierige Menschen mit ähnlichen Zielen zusammenkommen und sich mal zurückgezogen in die Materie vertiefen, mal mit-einander ins Gespräch kommen können.“

Peter Nussbaumer
Dietrich Untertrifaller Architekten

Die zweigeschoßige Aula wird im Alltag als Empfangs- und Lesebereich genutzt, kann jedoch für Lesungen, Filmvorführungen und Abendveranstaltungen jederzeit umfunktioniert werden. Zwischen den Betonlamellen in der Decke fällt Sonnenlicht in den Raum. Bei Bedarf können die Oberlichten verschattet werden.

Hinter dem scheinbar ovalen Betonbauwerk verbirgt sich eine amorphe Freiform aus vier in-einander geschobenen Parabeln, die durchaus als Anspielung auf das literarische Gleichnis verstanden werden können. Die Fassade besteht aus Holz und Glas mit Flügeln, die sich öffnen können. Geheizt und gekühlt wird das Haus mittels kontrollierter Be- und Entlüftung. „Doch der Energiebedarf ist sehr gering“, so Nussbaumer, „denn rundherum ist das gesamte Gebäude in eine Struktur aus vertikalen und diagonal gekippten Keramikelementen eingehaust, die zugleich als dauerhafte Verschattung dienen und den Sonneneintrag auf diese Weise reduzieren, ohne dabei die Aussicht zu hindern.“ Rund 8000 Stück dieser keramischen, elfenbeinfarben glasierten Buchzitate kamen dabei zum Einsatz. Das Farbkonzept dafür, das sich an hellen Tönen der umliegenden Bauten und der alten Stieger-Villa orientiert, stammt von der Farbgestalterin Monika Heiss. Die Errichtungskosten liegen bei rund 6,4 Millionen Euro, für deren langfristige Finanzierung die Dornbirner Sparkasse aufkommen wird. Eine kleine Metall-tafel neben dem Eingang deutet auf die großzügige Spende hin. Eine Parabel, muss man wissen, enthält im Kern meist eine Lehre oder einen Appell. Mögen sich auch andere Unternehmen diese literarische Gattungsform zu Herzen nehmen.

Über eine einläufige Treppe gelangt man ins Untergeschoß, in dem sich unter anderem die Mediathek, die Spielothek sowie ein offener Makerspace befinden. Durch die Treppenlandschaft fällt ausreichend Tageslicht nach unten.
Strenge Geometrie: Hinter den warmen und einladenden Materialien verbirgt sich ein konsequenter Raster aus Linien und Kanten, dem sogar die Beleuchtung und die Aufstellung der Bücherregale folgen.

Daten & Fakten

Objekt Stadtbibliothek Dornbirn

Eigentümer/Bauherr Stadt Dornbirn

Architektur Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH, Bregenz, www.dietrich.untertrifaller.com, Christian Schmoelz Architekt ZT, www.christianschmoelz.com

Projektleitung Peter Nußbaumer, Christopher Braun

Statik gbd, Dornbirn, www.gbd.group

Fachplanung: Bauphysik: Weithas, Lauterach, www.weithas.com, Haustechnik: GMI Ing. Peter Messner, Dornbirn, Elektro: Hecht, Rankweil, www.hecht.at, Bodenmechanik: 3P Geotechnik, Bregenz, www.3pgeo.com, Landschaft: Balliana Schubert, Zürich, www.balliana-schubert.ch

Planungszeitraum: 09/2015 – 03/2019

Ausführungszeitraum: 11/2017 – 12/2019

Grundstücksgröße: 2776 m²

Nutzfläche: 1486,6 m² netto (1595,3 m² brutto)

Bauweise: Tragwerk aus Stahlbeton und Stahlbeton-Verbundstützen. Zweischalige Fassade: Innen Kranz aus fächerartig angebrachten, raumhohen Holz-Aluminium-Fenstern mit Dreifachverglasung, Außenfassade als fixer Sonnenschutz in Form von abstrahierten Bücherwänden.

Ausführung (Auswahl): Baumeister: Wilhelm+Mayer, Götzis und Rümmele, Dornbirn; Keramikfassade: Spiegel Fassadenbau, Koblach; Holz-Alu-Fenster und Portale: Böhler Fenster, Wolfurt; Sonnenschutz/Verschattung: Wohlgenannt Raum & Textil, Dornbirn; Innenverglasungen: Glas Marte, Bregenz; TMF Wand- und Deckensysteme, Hohenems; Wohlgenannt Raum & Textil, Dornbirn; Möbel: Reiter Design, Rankweil u.v.a.

Energiekennwert (HWB): 42 kWh/m² im Jahr

Fotonachweis: Albrecht Imanuel Schnabel