Die alte Volksschule in Bersbuch wurde zur „Guten Stube“ – einem lebendigen Treffpunkt für Jugendliche. Ein Beispiel dafür, wie Architektur im Bestand soziale Räume neu erschaffen kann.

Text: Verena Jakoubek-Konrad · Fotos: Nina Bröll

Es gibt Gebäude, die tief im kollektiven Gedächtnis eines Dorfes verankert sind. Die alte Volksschule in Bersbuch ist ein solcher Ort. Jahrzehntelang lernten hier Generationen von Kindern rechnen, schreiben und die Welt verstehen. Dann wurde es still im Haus – zu groß, zu alt, zu wenig gebraucht. Dass es heute wieder voller Stimmen ist, voller Bewegung und Neugier, ist einer selten gelungenen Verbindung zu verdanken: der Offenen Jugendarbeit Bregenzerwald und der Architektin Nina Beck, die dem Thema Umbau und Transformation von Bestand mit besonderer Sensibilität begegnet. Gemeinsam schufen sie aus dem verlassenen Schulhaus „Die Gute Stube“ – einen Ort, der jungen Menschen im Bregenzerwald neue Möglichkeiten eröffnet. Die Offene Jugendarbeit Bregenzerwald musste unlängst ihr langjähriges Quartier, ebenso eine Zwischen- oder Nachnutzung, in Andelsbuch verlassen und stand vor der Frage, wohin sie sich künftig verorten könnte. Sie suchte nicht einfach Räume, sondern ein Umfeld, das Jugendlichen gerecht wird – zugänglich, selbst bestimmbar, frei von Konsumzwängen, autonom, aber doch auch erreichbar und ein Teil des Bregenzerwaldes.

Als die leere Schule in Bersbuch ins Blickfeld rückte, wurde rasch klar: dieser Ort hat Potenzial. Gut erhalten, kaum beschädigt bot sich der Raum ideal für eine „minimalinvasive Transformation“ an. Nina Beck arbeitet seit Jahren mit und im Bestand. Für sie ist Umbauen kein rein technischer Vorgang, sondern eine kulturelle Haltung. Sie geht vom Vorhandenen aus, erkennbare Qualitäten werden nicht ausradiert, sondern freigelegt. „Transformation ist das Fortschreiben eines Gebäudes“, lautet einer ihrer Leitsätze. In Bersbuch bedeutete das: Die räumliche Großzügigkeit des Schulhauses bewahren, seine robuste Bauweise respektieren und zugleich offen genug sein, um neue Formen des Zusammenlebens zu ermöglichen. Am Beginn der Zusammenarbeit stand so auch eine gemeinsame Analyse, denn, das ist durchaus besonders: Die Offene Jugendarbeit Bregenzerwald hat schon Expertise im Nachnutzen und auch Expert(inn)en für Gestaltung im Team. So enstand eine Kooperation auf Augenhöhe, die zunächst auf die Reflexion von Nutzungen und dann recht schnell auf mögliche, natürlich auch kostengünstige Eingriffe abzielte.

„Wir sind ein Team aus starken Frauen mit unterschiedlichsten Kompetenzen. Diese kombinieren wir und setzen sie für unsere Tätigkeit bei der OJB ein.“

Simone Angerer
Gestalterin und Projektleiterin OJB

Die Gute Stube trägt diesen Ansatz sichtbar in sich. Aus ehemaligen Klassenräumen wurden offene Aufenthaltsbereiche, die unterschiedliche Atmosphären zulassen – Flächen zum Chillen, Räume für Gespräche, Nischen für Rückzug. Die Materialien sind ehrlich, funktional und warm. Vieles blieb, manches wurde ergänzt, alles bekommt nun eine neue Bedeutung. Die Patina des Hauses ist nicht Makel, sondern Erinnerung: ein Teil der Identität des Ortes. Doch ein Haus ist nur so stark wie das Leben, das es beherbergt. Die Gute Stube verfolgt einen klaren sozialpädagogischen Anspruch. Sie möchte Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren einen Ort geben, an dem sie ernst genommen werden – ohne Leistungsdruck, ohne Konsumzwang, ohne Erwartung, etwas „sein zu müssen“.

Ziel ist es, Räume für Selbstentfaltung und Gemeinschaft zu schaffen. Junge Menschen können hier einfach ankommen, reden, spielen, Musik machen, Unterstützung suchen oder sich zurückziehen. Gleichzeitig versteht sich die Gute Stube als generationsübergreifende Brücke zwischen Gemeinde und Jugend: Ein Ort, an dem junge Menschen sichtbar werden und ihre Anliegen Gewicht bekommen. Zudem setzt die Jugendarbeit bewusst auf Beteiligung. Jugendliche gestalten Teile der Räume selbst, entscheiden über Angebote mit und können Projekte initiieren, die ihnen wichtig sind. Damit wird das Schulhaus, das früher ein Ort der Belehrung war, zu einem Ort der Mitgestaltung.

Dass die Gute Stube in Bersbuch liegt, ist Zufall, aber ein sehr glücklicher. Der Standort schafft Nähe zu mehreren Gemeinden. Er macht Jugendarbeit öffentlich sichtbar – nicht als Randerscheinung, sondern als zentralen Bestandteil einer lebendigen Dorfgemeinschaft. Und last but not least: Auch die Bushaltestelle vor dem Haus gibt es schon. So zeigt dieser Umbau, wie man im ländlichen Raum intelligent mit leer stehenden Gebäuden umgehen kann. Er beweist, dass Bestand nicht nur eine energetische oder wirtschaftliche Frage ist, sondern eine kulturelle und soziale. Aus einer alten Schule wird ein Ort für Zukunft – zart, robust, offen für das, was kommen mag. Die Gute Stube erzählt damit eine einfache, aber kraftvolle Geschichte: Wenn man Gebäuden zuhört, erzählen sie, was in ihnen möglich ist. Und manchmal wird aus einem Ort des Lernens wirklich ein Ort des Lebens.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Es bietet Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen zu diversen Bauten. Mehr Infos auf www.v-a-i.at

Die Gute Stube, Bregenzerwald

Bauherr: Offene Jugendarbeit Bregenzerwald (OJB)
Architektur: Nina Beck, www.becknina.com
Ursprungsgebäude: Planung: BM Fridolin Geser, Egg
Planung: 11/2024–04/2025
Nutzfläche: ca. 340 m²

Team OJB:
Agnes Hollenstein, Jugendkoordinatorin und Geschäftsführerin; Simone Angerer, Gestalterin (Fokus räumliche Inszenierung) und Projektleiterin; Anna Hopfner, Malerin und Jugendarbeiterin; Sarah Greber, Jugendarbeiterin; Stefanie Weis, Jugendarbeiterin; Katharina Kleiter, Kulturmanagerin; Maria Angerer, Objektbetreuung