Kindergärten sind für die Entwicklung der kleinen Menschen essenziell:
Hier lernen sie, sich eigenständig unter ihresgleichen zu behaupten,
Freundschaften zu schließen und den Raum zu erfahren. Der neue, sechsgruppige
Kindergarten der Pfarre St. Gebhard bietet dazu viele Möglichkeiten.
Die Architekten Dorner\Matt konzipierten den puristischen Bau als Ort
erlebnisreicher Raumerfahrung. Das beginnt beim Städtebau und endet beim
liebevollen Detail – wie der Eingangstür mit Gucklöchern für Kinder.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Petra Rainer

DornerMatt

Einfamilienhäuser, soziale Wohnbauten und Industrie prägen den Bezirk Vorkloster am westlichen Rand von Bregenz. Die dortige Pfarre St. Gebhard ist ein soziales Zentrum. 1961 wurde die Kirche mit dem charakteristischen, viereckigen Turm von Wilhelm und Willibald Braun eröffnet, 1968 baute Architekt Guntram Mätzler im rechten Winkel dazu an der Holzackergasse einen Pfarrsaal mit Schmetterlingsdach und einen dreigruppigen Kindergarten an. Gemeinsam bilden die zwei Sichtbetonbauten mit ihren fröhlichen roten Fensterrahmen einen L-förmigen Winkel. Liebevoll umarmten sie den sonnigen Garten zwischen Kirche und Kindergarten. Der Rasen mit altem Baumbestand und Hügel ist ein wundervoller Abenteuerspielplatz.
Architekt Christian Matt ist im Vorkloster aufgewachsen und selbst in den alten Kindergarten gegangen. Als die Stadt Bregenz 2017 einen geladenen Wettbewerb für einen sechsgruppigen Neubau ausschrieb, war er längst an seine Kapazitätsgrenzen gelangt. Dorner\Matt gewannen den Wettbewerb. Ihr Projekt fügt sich bestens zum Bestand. Er führt das Vordach des benachbarten Pfarrsaals weiter, der anschließende Bewegungsraum fungiert als Nahtstelle zwischen Stadt, Pfarre und Kindergarten. In dessen Eingangstür sind Glaskreise eingelassen. So kann jeder Knirps, der eintritt – egal, wie groß – in das acht Meter hohe Foyer schauen. Dieses geht nahtlos in den ebenso hohen, breiten Mittelgang über. Wie ein Rückgrat durchmisst er die gesamte Gebäudelänge von 50 Metern. „Diese offene Aula entspricht dem neuen pädagogischen Konzept“, erklärt Matt.

119 Kinder zwischen drei und sechs Jahren besuchen den Kindergarten, die zwei Gruppen im Erdgeschoß sind Inklusionsgruppen für 16 beeinträchtigte Kinder, für welche ein besonderes Raumkonzept entwickelt wurde. Die anderen vier Gruppen liegen im ersten Stock. Jeder Stammgruppe steht ein Gruppen- und Ausweichraum zur Verfügung. Diese sind als Sprach-, Musik-, Kreativ-, Sinnes-, Bewegungs- und Kons-truktionswerkstätten bestimmten Themen zugeordnet. „Wir haben ein offenes, inklusives Konzept“, erklärt Ulrike Österle, Leiterin des Kindergartens. „Die Kinder suchen zu bestimmten Zeitfenstern die unterschiedlichen Spiel- und Lernwerkstätten auf und wählen Beschäftigung, Spiel und Partner selbst. Begleitung erhalten sie in der vorbereiteten Spiel- und Lernumgebung und in der festen Stammgruppe, wo sie Sicherheit und Geborgenheit erfahren.“ Den Kindern wird eigenes Tun zugetraut und Raum für Wachstum gegeben. Im Kindergarten ist das Spiel die wichtigste Form selbstbestimmten Lernens.

„Alle Erschließungs- und Bewegungsflächen sind aus Sichtbeton,
die großen Lufträume ermöglichen eine neue Perspektive von oben.
Die Gruppenräume sind so konzipiert, dass
sie heimeliger sind als zu Hause.“

Christian Matt
Architekt

Der Kindergarten ist sehr gut überblickbar und strukturiert. „Alle Erschließungs- und Bewegungsflächen sind aus Sichtbeton, die großen Lufträume ermöglichen eine neue Perspektive von oben“, erklärt Matt. Die Kinder können über die Ebenen hinweg kommunizieren, für die Pädagoginnen sind sie gut zu beaufsichtigen. „Die Gruppenräume sind so konzipiert, dass sie heimeliger sind als zu Hause“, so Matt. „Wände, Boden und Decke sind aus Holz, das große Fenster wirkt wie ein Bildschirm in den Garten und ist ein unglaublicher Ruhepunkt.“ Alle Gruppen- und zugehörigen Ausweichräume sind zum Garten hin orientiert und teilen sich eine Terrasse, jeder Einheit ist auf der gegenüberliegenden Gangseite eine offene Garderobe zugeordnet, dahinter liegen im Nordwesten die Räume der Kindergartenpädagog(inn)en. Das obere Geschoß folgt demselben Prinzip, nur dass hier die Gruppen über Stege erschlossen sind. Oberlicht-Sheds hinter den eleganten Stahlbetonlamellen im Nordwesten lassen mildes Licht in den Luftraum und auf den Gang fallen und erweisen formal dem Schmetterlingsdach ihre Referenz. Den direkten Gartenzugang im Erd-geschoß machen hier Loggien mit Aussicht wett. Wie Landschaftsgemälde wirken die Sitzfenster in den hölzernen Raumschatullen.

Kinder brauchen Orientierung. Die Treppe und die Luftbrücken sind eine Sensation der Raumerfahrung. Erschließungswege werden hier zu Orten der Bewegung, Begegnung und des Abenteuers, die Gruppen- und Ausweichräume zu Stätten für Geborgenheit und Rückzug. Viel Achtsamkeit steckt im Detail: So hat der offene Küchenblock ausziehbare Podeste, damit die Kleinen die Arbeitsfläche erreichen. Dahinter gibt es vor dem ersten Gruppenraum eine gemütlich gepolsterte Wartezone für Eltern und Kinder, die dortige Bibliothek ist mit mehrsprachigen Büchern bestückt, weil der Migrationsanteil hoch ist. Die Untersicht der Treppe ins Obergeschoß ist mit Filz gepolstert. Als Schallschutz und damit man sich dort ungefährdet verstecken kann. Mutige erobern die lange Stiege.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen (jetzt wieder geöffnet) und Veranstaltungen bietet das vai monatlich Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Kindergarten St. Gebhard, Bregenz
Bauherr Landeshauptstadt Bregenz
Architektur Dorner\Matt\Architekten, Bregenz
www.dorner-matt.at
Statik Hämmerle-Huster, Bregenz
www.diestatiker.at
Fachplanung Heizung, Lüftung, Sanitär: Walter Pflügl, Bregenz; Elektro: Hiebeler + Mathis OG, Hochstegstraße 10, A-6912 Hörbranz; Bau- und Raumakustik – Thermische Bauphysik DI Bernhard Weithas GmbH, Rosenweg 3c, 6923 Lauterach; örtliche Bauaufsicht: Christian Freuis, Bregenz
Planung Wettbewerb: 03/2018
Planung: 04/2018 – 07/2020
Ausführung: 04/2019 – 07/2020
Eröffnung: 09/2020
Grundstücksgröße 4490 m²
Bruttogeschoßfläche BBF: 1.625 m²
Netto-Nutzfläche: 1.547 m²
Bruttorauminhalt BRI: 8.269 m³
Bauweise Massivbauweise mit Sichtbetonoberflächen und gedämmten Holz-Außenwandelementen, geschliffene Estrichböden in den Gängen, Parkett, Wandtäfer + Akustikdecken in Eiche, PV-Anlage mit Gründach
Energiekennzahl 12,6 kWh/m² a HWBSK im Jahr
(HWB Energieausweis)

Fotonachweise: Bruno Klomfar, www.klomfar.com,
Petra Rainer, www.petra-rainer.at