Das Haus mit der Nr. 38 in der Bludenzer Werdenbergerstraße ist eines der ältesten und nach seiner sorgsamen Sanierung und Revitalisierung durch mitiska . wäger architekten wieder eines der prächtigsten in der inneren Stadt.

Autorin: Edith Schlocker | Fotos: Christa Engstler, Cornelia Hefel

Das in seinem Kern ins 14. Jahrhundert zurückgehende, in den vergangenen 15 Jahren praktisch unbewohnte Haus erlebte in seiner langen Geschichte zahlreiche Phasen des Wiederaufbaus bzw. Umbaus. Nicht nur als Folge der verheerenden Stadtbrände in den Jahren 1491, 1638 und 1682, sondern auch die baulichen Eingriffe im frühen und späten 19. Jahrhundert haben deutliche Spuren hinterlassen genauso wie die großen Schaufenster im Erdgeschoß, die Ende der 1930er-Jahre in die straßenseitigen Fassaden geschnitten wurden. Da das Denkmalamt keinen kompletten Rückbau des seit 1964 unter Schutz stehenden Hauses verlangt hat, wurden Spuren aller dieser Bauphasen beim aktuellen Umbau belassen.

Das bis ins 14. Jahrhundert zurückgehende Haus wurde immer wieder umgebaut bzw. etwa nach den diversen großen Stadtbränden teilweise neu gebaut. Erst in den 1930er-Jahren wurden die Schaufenster im Erdgeschoß ausgebrochen.
Obwohl das an der Ecke Kirchgasse-Werdenbergerstraße liegende „Stadthaus 38“ mitten im geschlossenen Bludenzer Stadtkern liegt, ist es eigentlich ein komplett freistehendes Gebäude.

Anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums der Getzner, Mutter & Cie-Holding hat sich die Firma das „Stadthaus 38“ in der Werdenbergerstraße sozusagen zum Geburtstag geschenkt. Nicht zuletzt aus sentimentalen Gründen, wurde hier doch laut Firmenchronik 1818 der Gesellschaftsvertrag von Getzner, Mutter & Cie unterschrieben. Unter anderem von Christian Getzner, der 1806 in dieses Haus eingeheiratet und hier sein erstes Kolonialwarengeschäft betrieben hat. Hier gewohnt hat aber auch sein späterer Compagnon Andrä Gassner, dem Getzner 1815 das Haus verkauft hat, sowie dessen Nachfahren, weshalb es im Volksmund noch heute das „Gassner-Hus“ ist.

Die Sanierung bzw. Revitalisierung ihres „Stammhauses“ hat die Firma Getzner in die Hände des erfahrenen Immobilienentwicklers Beatus Fleisch gelegt, der als Architekten Markus Mitiska und Markus Wäger mit ins Boot geholt hat. Deren ganz große Leidenschaft ist es, alte Gemäuer, die Geschichte atmen und Geschichten erzählen, für heute fit zu machen, so Mitiska. Bevor mit dem Umbau des Hauses begonnen wurde, wurde es genau vermessen, das Alter der verwendeten Hölzer wurde bestimmt und die stilistischen Merkmale wurden untersucht. Um auf dieser Basis ein Konzept für eine sinnvolle Revitalisierung zu erstellen.

Vom großen Umbau des Hauses 1885 stammt auch sein prächtiges Portal. Die geschnitzte Holztüre genauso wie die Bauplastik aus Marmor und verschiedenfarbigem Sandstein im Stil des Historismus.
Der von spätgotischen Kreuzgratgewölben dominierte breite mittige Flur wird in den beiden Obergeschoßen – wie hier bei Beatus Fleischs Primus Immobilien – als stimmungsvolle Erschließungszone genutzt.
„Es ist unsere große Leidenschaft, alte Gemäuer fit für heute zu machen.“

Markus Mitiska
mitiska . wäger architekten

Von zentraler Bedeutung war diesbezüglich eine neue Erschließung des dreigeschoßigen ursprünglichen Mittelflurhauses durch einen rechts des breiten Foyers situierten Lift, um dessen Schacht herum sich eine neue Treppe bis ins Dachgeschoß schlängelt. Unter dem First wurde dieses in einen stimmungsträchtigen Sitzungssaal für die Firma Getzner verwandelt, wobei so mancher der Sitzungsteilnehmer darauf achten wird müssen, sich an den dunklen Balken des offenen Dachstuhls nicht den Kopf zu stoßen. Die Basis des Dachgeschoßes teilen sich zwei Augenärzte, im zweiten bzw. ersten Stock ha­t ein Rechtsanwalt seine Kanzlei und Be­atus Fleisch sein Immobilienbüro.

Die im unteren Teil des offenen Dachstuhls eingerichtete Praxis von zwei Augenärzten erhält durch das dunkle Holz der freiliegenden Dachbalken ein ganz besonderes Flair.

Wobei verblüffend ist, wie unterschiedlich die jeweilige Stimmung in diesen drei Geschoßen ist. Während die Dachschrägen und Balken des Dachstuhls der Arztpraxis fast rustikalen Charme verleihen, atmet das erste Obergeschoß eher schlicht biedermeierliches Flair, während es im zweiten durch sein hell gestrichenes Getäfer, edle hölzerne Kassettendecken und -türen großbürgerlich nobel zugeht. Ein Erbe des großen Umbaus von 1885, als das Haus auch die prächtige Umrahmung seiner geschnitzten Eingangtüre im Stil des Historismus erhalten hat.

Großbürgerliche Atmosphäre herrscht in den Räumen des zweiten Stocks durch die in einem ganz zarten Grünton gestrichene Vertäfelung der Wände, der Türen und Kassettendecken. Auf den Böden liegt neues Eichenholz.
Unter dem Dachfirst wurde ein großer Saal eingerichtet, in dem u.a. die Gremien der Firma Getzner tagen, der aber auch für kleinere Feste oder Trauungen gemietet werden kann. Für Tageslicht sorgt neben dem originalen kleinen Giebelfenster ein in das Dach hineingeschnittenes Fensterband.

Mit Säulen aus grauem Sandstein, einem Giebel aus rotem Marmor und der Umrahmung des darüber liegenden Fensters aus gelbem Sandstein. Der Eingangsbereich trägt noch sein originales spätmittelalterliches Gewölbe. Im linksseitigen Geschäftslokal findet bis 20. Oktober eine Ausstellung zum 200-Jahr-Jubiläum der Firma Getzner statt.

Um das „Stadthaus 38“ zukunftsfit zu machen, wurde das Dach außen gedämmt, die rund einen Meter dicken Außenmauern nicht. Die originalen Holzbalkendecken wurden durch schalldämmende Estriche verstärkt. Die Fassaden erhielten einen neuen hellen Strukturputz, die alten – neu verglasten – Kastenfenster wurden, wenn möglich, erhalten, wobei die äußeren schwarz gestrichen sind, ganz so, wie sie es immer waren.

Neu erschlossen wird das „Stadthaus 38“ durch den rechts des mittigen Flurs gebauten Liftschacht, um den herum sich eine Treppe bis ins Dachgeschoß schlängelt.
Ein gutes Team: Architekt Markus Mitiska (links) und Immobilien-entwickler Beatus Fleisch in dem mit einem neuen hellen Terrazzoboden ausgestatteten Foyer des „Stadthaus 38“.

Daten & Fakten

Objekt Stadthaus 38, Geschäfts- und Bürohaus, Bludenz

Eigentümer Getzner, Mutter & Cie, Bludenz

Projektentwicklung PRIMUS Immobilien, Bludenz

Architektur mitiska . wäger architekten, Bludenz/Wien, www.mitiska-waeger.com

Statik Christian Gantner, Bludenz

Fachplanung bauhistorische Befundung: Raimund Rhom­berg, Dornbirn; Dendrochronologie: Klaus Pfeifer, Egg; Brandschutzkonzept: IBS, Linz; Bauphysik: BDT-Wille, Frastanz

Planung 1/2016–9/2017

Ausführung 1/2017–4/2018

Grundstück 334 m²

Nutzfläche 940 m²

Bauweise Natursteinmauerwerk verputzt; Zwischendecken
Gewölbe und Holzbalkendecken mit verputzten Schilfrohrmatten; liegender Dachtuhl von 1684; Biberschwanzdoppeldeckung; historische Kastenfenster; kontrollierte Be- und Entlüftung

Besonderheiten denkmalgeschützes Stadthaus

Ausführung Generalunternehmer: Tomaselli Gabriel, Nenzing; Baumeister: Gabriel, Nüziders; Zimmerer: Sutter, Ludesch; Spengler: Fritz, Bludenz; Dachdecker: Ess, Feldkirch; Kastenfenster: Engstler, Dalaas; Alufenster: Jobarid, Röthis; Verputz: Preite, Bürs; Heizung-Sanitär: Summer, Frastanz; Lüftung: Kranz, Weiler; Elektro: Neyer, Bludenz; Parkett: Wohnfloor, Bludenz

Energiekennwert 35,7 kWh/m² im Jahr