Mit viel Fingerspitzengefühl machten firm Architekten
ein altes Haus im Appenzell wieder komfortabel wohnlich.
Es bekam eine gedämmte Fassade, ein neues Schindelkleid
mit dichten Fenstern und eine neue Erschließung an der Nordostseite,
die großzügigere Zimmer ermöglichte.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel, Jürg Zimmermann

Das Appenzellerland ist fast unwirklich idyllisch. Die bestens gepflegte Kulturlandschaft der Schweiz mit ihren dörflichen Strukturen aus Bauernhöfen und Weiden voller Kühe wirkt sehr unverfälscht. Hier bildete sich eine eigene Haustypologie heraus: Das sogenannte Appenzellerhaus ist ein „gestrickter“ Holzbau auf einem steinernen Sockel. Seine kleinen, schmalen Fenster sind einzeln, im Doppel oder in bandartiger Anordnung über die Fassade verteilt. Fensterstock an Fensterstock nebeneinander könnte man sie fast als Vorläufer des horizontalen Bandfensters der klassischen Moderne betrachten. Die Fensterläden lassen sich nach oben verschieben und so gleichermaßen in der Fassade versenken.

Augen des Hauses: Die Fenster in ihrer horizontalen, bandartigen Anordnung sind typisch für das Appenzellerhaus und geben ihm seinen spezifischen Charakter.
Jeder Himmelsrichtung zeigt dieses Haus eine andere Fassade: Hier die Stirnseite zur Straße im Südwesten, die von der Abendsonne beschienen wird.

Rehetobel liegt auf knapp über 800 Meter Seehöhe. Von hier blickt man bei guter Sicht bis zum Bodensee, St. Gallen ist mit dem Auto in einer Viertelstunde zu erreichen. Hier hatten die zwei Bauherrinnen ihr Haus gefunden und sofort in ihre Herzen geschlossen. Es steht exponiert an einer Wegkreuzung, hat einen fast quadratischen Grundriss und eine sehr spezielle Dachform.

Die ersten Plandokumente datierten aus 1835. Ursprünglich war das Haus eine Schule, dann wurde es zur Stickerei und später vermietet. „Wir suchten etwas in der Gegend und waren sofort begeistert,“ erzählt Silvia S., Schulleiterin und eine der Baufrauen. Bettina Z. arbeitet als Grafikerin. Das Haus war abgewohnt, zugig, kalt: Trotzdem zogen sie sofort ein. Denn es hatte Patina, Charme und Charakter. „Wenn der Wind ging, blies der Föhn durch unsere Doppelfenster.“ Nachdem sie es drei Jahre mitunter frierend, aber glücklich bewohnt hatten, bat sie der Besitzer zu einem Gespräch. „Wir hatten Angst, dass wir raus müssten, doch er fragte, ob wir das Haus kaufen wollten“, erinnert sich Silvia. Sie erbaten Bedenkzeit und konsultierten Experten. „Die ersten Holzbauer, die wir kontaktierten, meinten, wir sollten es abreißen.“ Dann sahen sich die firm Architekten den Bestand an. „Eigentlich war das Haus durch. Die Fenster waren nicht dicht, das Heizsystem bestand aus einem Kachelofen, die Elektrik war am Ende. Aber es hatte eindeutig Charisma.“ Vor allem zwei Punkte sprachen dafür, es zu erhalten: Die Liebe der Baufrauen zu ihrer Behausung und – dass der Holzbau weitgehend intakt und das Dach trocken war.

Die typische Fassade mit Fichtenholzschindeln wurde erneuert – mit dichten Fenstern und um eine Dämmebene mit mindestens 10 cm Zellulose ergänzt.

Firm entwickelten eine Strategie, die das Wesen des Hauses wahrte, den Wohnkomfort aber stark verbesserte. Ein wesentlicher Punkt waren die Fenster: Diese waren zwar die Schwachstelle der Fassade, aber auch die charakteristischen Augen des Hauses. „Wir hatten Angst, dass ihm neue Fenster seinen Charme nehmen könnten,“ erinnert sich Silvia. Daher gingen die Architekten besonders vorsichtig vor. „Wir waren uns einig: Die Atmosphäre muss erhalten bleiben. Hier darf nichts tot saniert werden. Wir entschieden uns also im Diskussionsprozess mit unseren Baufrauen für eine sanfte Sanierung. Die Position der Fenster war gege­ben, konnte jedoch in Abstimmung mit dem Kanton an der Westseite leicht ergänzt werden.“ Die Fenster wurden umsichtig erneuert. „Das sind nicht irgendwelche Fenster von der Stange, sondern sie weisen dieselbe Teilung auf wie die alten, haben innen und außen Sprossen, die sich verjüngen und verdeckte Scharniere.“ Die neue Fassade ist mit Fichtenschindeln verkleidet und wurde um eine Dämmebene mit mindestens 10 cm Zellulose ergänzt.

„Die Atmosphäre muss erhalten
bleiben. Hier darf nichts tot saniert wer­den.
Uns war deshalb eine sanfte Sanierung besonders wichtig.“

firm Architekten

Neuer Lebensmittelpunkt: Die neue Küche, die sich über die gesamte Nordwestseite des Hauses erstreckt.
Salon am Eck mit Licht von zwei Seiten.
An die Küche schließt das Wohnzimmer an: Die alten Decken, Fußböden, Kacheln und Öfen geben dem Haus eine bestimmte Aura.

Ein weiterer Knackpunkt war die Erschließung: Früher führte eine extrem steile, schmale, mehrfach geknickte Treppe wie eine Hühnerleiter durch alle Geschoße. Ihr Anfangs- und Endpunkt lag auf jeder Ebene anders, so kam man auf einer schrägen Stufe durch eine verzogene Tür in der kleinen Küche an. Sie sollte zum neuen Lebensmittelpunkt werden. Die Architekten ordneten in einem 1,40 Meter breite Streifen an der Nordostseite des Hauses ein Stiegenhaus mit einläufiger Treppe an, was die Organisation der Räume wesentlich vereinfachte. Dieser holzverkleidete Vorbereich sorgt nun für eine klare, separate Erschließung der Ferienwohnung im Erdgeschoß und der darüberliegenden Wohngeschoße der Baufrauen.

Die neue Küche erstreckt sich über die gesamte Nordwestseite. Ihre Längsfront ist eine einzige 8,30 Meter lange, schwarze Küchenzeile, die in der Abendsonne an einer Dreiergruppe von Fenstern und einem Fensterdoppel entlang führt. „Ich hatte etwas Angst wegen dem Schwarz. Und war dann wirklich sehr positiv überrascht von der Weite und Großzügigkeit des Raumes“, sagt Bettina. Von dieser Küchenzeile hat man einen wunderbaren Ausblick. Sie hat keine Oberschränke, dafür viele Laden und eine Arbeitsplatte aus Nirosta. Auf der modernen Eckbank aus Eiche kann man entspannt den Köchinnen Gesellschaft leisten. Der alte Eisenofen, mit Holz geheizt und der Ofen im Wohnzimmer sind bis heute die einzige und höchst effektive Wärmequelle. An die Küche schließt ein von zwei Seiten belichteter Ecksalon an, daneben befindet sich das Wohnzimmer mit Bibliothek, im Stock darüber das Schlafgeschoß. Alte Holzdielen, Öfen, Kacheln und Decken verleihen allen Räumen eine spezielle Aura.

Auf einer Leiter erklimmt man das Dachgeschoß: ein faszinierender Raum unter überkreuzten Sparren mit fünf Fenstern, der in der Mitte gerade 1,70 Meter hoch ist, dafür aber vom Bett ein fulminantes Panorama bietet. Bettina: „Für unsere Gäste ist das immer abenteuerlich, da oben zu schlafen. Sie genießen das sehr.“

Nachhaltig: Geheizt wird immer noch mit dem alten Ofen in der Küche.
Abenteuerlich: Diese Leiter führt auf den Dachboden hinauf.
Der Raum unter dem Dach ist als atmosphärischer Schlafplatz für viele Gäste hervorragend geeignet.

Daten & Fakten

Objekt Haus im Appenzellerland

Eigentümer privat

Architektur firm Architekten, Lustenau, www.firm.at

Planung 2016–2018

Ausführung 2017–2018

Grundstücksgröße 415 m²

Hauptnutzfläche 240 m²

Konstruktion Bauweise: Holzbau; Strickwand Bestand mit außenliegender Zellulosedämmung und Holzschindelung; Ziegeldach

Ausführung Baumeister: Andreas Graf, Speicher (CH); Holzbau: Rolf Waldburger, Teufen (CH); Fenster: Claus Schwarzmann, Schoppernau; Schindeln: Helmut Lo­renzi, Au; Tischler: Stefan Moos­brugger, Egg-Großdorf; Dach: Hans Schiess, Teufen; Sanitär: Paul Kobelt, Heiden (CH); Gebäude­technik: Elektro Schwizer, Speicher; Landschaftsbau: Städler Gärten, Heiden