Wie geht man mit dem Bestand von Alltagsbauten um? Eine Frage, die aktueller ist denn je. Abbruch und Neubau ist oft die vermeintlich einfachste Lösung, verursacht aber bekanntlich große Mengen an CO₂ und lässt auch die Geschichte der alten Häuser für immer verschwinden. Der Umbau eines Wohnhauses mit Werkstatt in Wolfurt zeigt auf, wie es auch gehen kann.

Text Clemens Quirin · Fotos Philipp Salzgeber

Der ursprüngliche Bau aus dem Jahr 1897/98, in einem Seitenarm der Hofsteigstraße, war nur eingeschoßig angelegt und beherbergte die Werkstatt eines Klöppeleibetriebs. Hier wurden also wie vielerorts in Vorarlberg echte Spitzen hergestellt. In den 1920-Jahren erweiterte man den Bau um ein Vollgeschoß mit einer Wohnung, später wurde auch das Dachgeschoß zu einer weiteren Wohneinheit ausgebaut. Trotz laufender Instandhaltung – 2006 erhielt das Haus eine Erdwärmepumpe als Heizanlage – stand das Haus dann doch irgendwann leer. Der Verkauf gestaltet sich schwierig. Das kleine und steile Grundstück eignet sich nicht für eine Wohnanlage. Für eine Einfamilienhausnutzung war das Haus wiederum fast zu groß und gegen eine gewerbliche Nutzung der Werkstatt im Erdgeschoß sprachen die fehlenden Flächen für Parkplätze. „Zu klein, um für einen Bauträger attraktiv zu sein, zu groß für eine Kleinfamilie“, so beschreibt es die Architektin Simone Burtscher, die per Zufall mit ihrem Büropartner Reinhard Weber das eher unscheinbare Haus entdeckte und dessen Potenzial erkannte.

Für ihr Architekturbüro war die Werkstätte mit einer Raumhöhe von 3,15 Metern ideal, die Wohnungen darüber sollten ganz einfach saniert und vermietet werden. Doch die heutigen, zusätzlichen Anforderungen an das Wohnen (Nebenräume wie Müll- und Fahrradraum, Kellerabteile, private Freiräume etc.) waren im Bestandsbau kaum unterzubringen, die enge und steile Treppe durchkreuzte auch alle Ideen für ein zeitgemäßes Wohnen in den Obergeschoßen. Ein auf den ersten Blick sehr zurückhaltender Zubau löst nun alle Probleme. Die genannten Nebenräume, das im Bestand störende Treppenhaus, eine dritte, zweigeschoßige Wohneinheit und zusätzliche Loggien für die Wohnungen im Bestandsbau finden hier ihren Platz.

„Beim Volumen und der Farbgebung des Zubaus waren wir in enger und vor allem sehr guter Abstimmung mit dem Gestaltungsbeirat von Wolfurt. Uns war allen schnell klar, dass die Erweiterung farblich behandelt werden muss, damit sie sich behaupten kann und der Anbau nicht als Schopf verstanden wird.“

Simone Burtscher
Architektin

Auf den zweiten Blick erkennt man dann die feine Klinge, mit der die Erweiterung gestaltet ist. Obwohl unscheinbar hinter das Haus und an den Hang gesetzt, ergänzt der Neubau den Bestand durchaus mit einiger Kraft und wechselt in seiner Wirkung geschickt zwischen Selbstständigkeit und Anpassung. Im Süden ist der Anbau leicht zurückversetzt und lässt einen kleinen Vorplatz mit Brunnen für den neuen Haupteingang der Wohnungen entstehen. Die Werkstatt, bzw. jetzt das Büro, erhält einen separaten Zugang über den alten Hauseingang. Erst wenn man am fast 130 Jahre alten Haus der Straße folgend vorbeigeht, sieht man den dreigeschoßigen Anbau in voller Größe mit seinem Satteldach und der Holzfassade. Letztere ist in einem unaufdringlichen Graugrün gestrichen. Die Farbe dient als verbindendes Element und taucht bei den Fensterläden des Bestandes wieder auf. Die Dachform hingegen bedingt sich umgekehrt, sprich von alt zu neu.

Trotz aller Zitate und Verweise entsteht in Summe ein klarer Kontrast zwischen den beiden Bauteilen. „Beim Volumen und der Farbgebung des Zubaus waren wir in enger und vor allem sehr guter Abstimmung mit dem Gestaltungsbeirat von Wolfurt. Uns war allen schnell klar, dass die Erweiterung farblich behandelt werden muss, damit sie sich behaupten kann und der Anbau nicht als Schopf verstanden wird“, so die Architektin Simone Burtscher und weiter, „wir haben uns im Bestand jedes Bauteil angeschaut und versucht so viel wie möglich zu erhalten“. An manchen Stellen wie der Geschoßdecke zwischen Erd- und erstem Obergeschoß und beim Dach musste man dann doch stärker eingreifen als ursprünglich geplant. Das Ergebnis ist eine Sanierung, die das alte, ganz alltägliche Haus respektiert und um eine maßvolle und passgenaue Erweiterung wachsen lässt.

Die drei Wohnungen bieten offene, zeitgemäße Grundrisse und vor allem hohen Komfort. Nicht zuletzt: Im Erdgeschoß wird wieder gearbeitet! Damit verbindet der Umbau – also eine Bestandsnutzung statt Abbruch und Neubau – hoffentlich für viele weitere Jahrzehnte Gewerbe mit Wohnen. Eine resiliente Nutzungsmischung, die heute wieder mehr denn je gefragt ist und gebraucht wird. Oder – anders ausgedrückt – das Projekt ist damit gleich im doppelten Sinne ganz weit vorne und das, obwohl es in zweiter Reihe steht.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur und Baukultur in Vorarlberg. Es bietet eine Bibliothek, Aus-stellungen, Veranstaltungen und Vor-Ort-Termine in den Gemeinden: Mehr Infos auf www.v-a-i.at

HOF 29, Wolfurt

Bauherrschaft: SR-Liegenschaftsverwaltung OG
Architektur / örtliche Bauaufsicht: querschnitt architekten zt gmbh, Wolfurt, www.querschnitt.cc
Statik: gaisberger zt gmbh, Dornbirn, www.zt-gaisberger.at
Planung: 05/2021–02/2024
Ausführung: 11/2023–07/2024
Grundstück: 622 m2
Bruttogeschoßfläche: 595 m2
Nettonutzfläche: 300 m2
Energiekennwert (HWB): nach der Sanierung 51 kWh/m2a, vor der Sanierung: 218 kWh/m2a
Fachplanung: Hangsicherung: 3P Geotechnik West ZT GmbH, Bregenz; Bauphysik: Hafner Weithas Bauphysik GmbH, Lauterach