Das Grundstück am „Oberen Tobel“ in Götzis hat gerade knapp 820 m2.
Das reicht normalerweise für zwei Einfamilienhäuser.
Stemmerarchitekten
planten für diesen Bauplatz einen gekonnt reduzierten, schlichten,
dreigeschoßigen Riegel mit hochwertiger Schindelfassade. Sie umhüllt sieben Wohnungen mit Sonnenlicht
aus mehreren Himmelsrichtungen, schönen Ausblicken, Terrasse und Balkon.

Die ruhige Architektursprache der Anlage fügt sich sehr gut
in ihr Umfeld aus Einfamilienhäusern ein.

Text: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel

Grund und Boden sind Basis unserer Nahrung und Landschaft. Nicht vermehrbar und viel zu wertvoll, um sie achtlos zu verbauen. Verdichtung ist ein Gebot der Stunde, trotzdem erfreut sich das Einfamilienhaus ungebrochener Beliebtheit. Der Preis dafür ist hoch und nicht zu übersehen: die Zersiedelung der Landschaft. In Götzis ist das nicht anders. Ein dicht gewobener Einfamilienhausteppich umkreist den zentralen Garnmarkt mit seinen Einkaufszentren.

Unweit davon erwarb der Bauträger IP Immobilienprojektent-wicklung ein Grundstück von knapp 820 m2. Normalerweise reicht das für zwei moderate Einfamilienhäuser. Stemmerarchitekten legten für den Bauplatz das verdichtete Konzept einer kleinen, kompakten Wohnanlage vor. Die sprach für sich und überzeugte den Bauherren. Selbstbewusst steht nun ein knapp 30 Meter langer, 12 Meter breiter, dreigeschoßiger Quader am Rand der Wiese, die das Grundstück im Osten begrenzt und den Lärm der Straße „Oberes Tobel“ filtert. 2017 wurde die Anlage fertig, ihre Schindelfassade ist ergraut, wunderbar harmoniert sie mit den Schafen, die auf der Wiese grasen. Die Architektursprache des Hauses ist ruhig und schlicht, im Prinzip erlaubt sie sich nur drei Gestaltungselemente: Die Schindelfassade, die Fenster und die Balkone. Im ersten Obergeschoß – in der Mitte des Hauses – werden sie zum plastischen Schmuckelement. Boden-, Seitenwand- und Flachdach bilden eine dreiseitige Umhüllung aus eloxiertem Aluminium. An den Gebäudeecken sind sie in die Baukörper eingeschnitten, alle haben gläserne Brüstungen und wandfüllende Glasschiebetüren zwischen Innen- und Freiraum.

Die Fenster wirken als vertikale Elemente in der Fassade. Alle Fenster sind durchwegs raumhoch, in den Wohnungen 98 cm breit, rückseitig beim Stiegenhaus und den Nebenräumen noch schmäler. Dort taucht auch die Zufahrtsrampe dezent in die Tiefgarage ein.

„Die hohe Qualität des Baukörpers war sehr wichtig.
Ich hatte auch die Bauleitung in der Hand und bin dem Bauträger sehr dankbar,
dass er mir in der Umsetzung so viele
Freiheiten gelassen hat.“

Roland Stemmer
Architekt

„Die Qualität des Baukörpers war sehr wichtig“, sagt Roland Stemmer. Er zeichnete alle Details, holte die Angebote ein, hatte die Bauleitung über und achtete genau auf die Einhaltung des Budgets. Dank seiner langen Erfahrung wusste er, wo sich Kosten zugunsten von nachhaltigem, qualitativem Mehrwert wie der Schindelfassade einsparen ließen. „Ich bin dem Bauträger sehr dankbar, dass er mir bei der Umsetzung so viele Freiheiten gelassen hat“, sagt Stemmer. „Da ich auch die Bauleitung mitmachen konnte, blieben alle Ausführungsdetails bis am Schluss in einer Hand, was man der Anlage – glaube ich – auch ansieht.“ Man tut – sie ist gut. Auch der Grundriss ist verdichtet, die Erschließung höchst effizient: Ein Vordach beschirmt den rückseitigen Eingang und den Fahrradparkplatz daneben, das einläufige Stiegenhaus in der Mitte ist kompakt, doch natürlich belichtet, sein Umgang großzügiger als üblich. Es erschließt sieben unterschiedliche, individuell zugeschnittene Wohnungen. Die kleinste Wohnung liegt im ersten Obergeschoß in der Mitte zwischen den zwei anderen Einheiten und ist die Einzige, die nur von Osten belichtet wird. Sie hat knapp 51 m2, ihre riesige Wohnküche lässt sich mit Glasschiebetüren zur 9 m2 großen Terrasse öffnen. Die größte Wohnung im Erdgeschoß hat gut 105 m2 und einen eigenen Garten inklusive Gerätebox.

Die Bewohnerschaft ist sehr gemischt. „Ich hatte es noch nie in meinem Leben so schön“, sagt die ältere Dame aus dem ersten Stock. Ihre über 80 Jahre sieht man ihr nicht an, fröhlich winkt sie von ihrem Balkon. David E. stammt aus Vorarlberg und lebte jahrelang in der Millionenstadt Taipeh, wo er auch seine Frau Lynn kennenlernte. Ihre Kinder sollten mit Natur aufwachsen, die Entscheidung für seine Vier-Zimmer-Wohnung im zweiten Stock fiel in 15 Minuten. „In dieser Anlage ist alles optimiert“, sagt David. „Es gibt die schöne Fichtenfassade und das einladende Stiegenhaus. Außerdem haben wir einen Ausblick auf die Appenzeller Berge – und die österreichischen.“ Das passt zum weiten Horizont dieser Familie. Davids Frau arbeitete in einem Fünf-Sterne-Hotel in Taipeh, vor ihrem Herdblock wünschte sie sich eine Lehmwand. Diese war statisch eine Herausforderung, schirmt die Küche etwas ab, lässt aber doch den Blick frei. „So können wir sehen, was die Kinder tun“, sagt Lynn. Und zum Fernsehen schafft sie der Couch eine gemütliche Nische im selben Raum.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Wohnanlage Oberes Tobel, Götzis
Bauherr IP Immobilien Projektentwicklung, Feldkirch
Architektur stemmerarchitekten, Roland Stemmer, Götzis, www.stemmerarchitekten.at
Statik Robert Kofler, Götzis
Fachplanung Bauphysik: Spektrum, Dornbirn
Planung 4/2015–5/2016
Ausführung 3/2016–5/2017
Grundstück 792 m² (zzgl. Straßenanteil); Keller: 379 m² (inkl. Tiefgarage)
Bauweise Massivbauweise, Ziegel; hinterlüftete Schindelfassade gedämmt mit Mineralwolle; Holzfenster lasiert; Innenwände Gipskarton; Gasheizung mit Solarunterstützung
Ausführung Baumeister: Wälderbau, Schwarzenberg; Fassade: Reinhard Bischof, Schwarzenberg; Fenster: Längle, Götzis; Trockenbau: Reuplan, Hard; Spengler: Mathis, Altach; Heizung/Lüftung: Dorfinstallateur, Götzis; Elektro: Dorfelektriker, Götzis
Energiekennzahl 30 kWh/m² im Jahr (HWB)