Als Mehrfamilienhaus wurde das stattliche Gebäude an der Zubringerstraße
der Autobahnabfahrt Feldkirch revitalisiert. Verborgen hinter üppigem Grün
eröffnet sich dort ein Paradiesgarten. Im Erdgeschoß der ehemaligen
Süßwarenproduktion Schatzmann ist dem Architekten Martin Häusle
Spektakuläres gelungen: Ein gefinkeltes Spiel mit Variation von
Neigungswinkeln der Spiegelflächen rund um die raumhohen Öffnungen
löst die Grenze zwischen innen und außen komplett auf.

 

Text: Martina Pfeifer Steiner | Fotos: Markus Gohm

Der Großvater des Bauherrn Tibor Naphegyi baute einst das herrschaftlich anmutende Haus an der Feldkircher Reichsstraße, im Erdgeschoß befanden sich die Räumlichkeiten für die Süßwarenproduktion. Hier wurden die beliebten Schatzmann-Schokobrezel hergestellt und andere Leckereien abgepackt. Die Familie wohnte in den oberen Stockwerken. Nach bewegter Geschichte stand das Gebäude längere Zeit leer, bis sich einer der Erben an die Revitalisierung als Mehrgenerationenhaus wagte. Tibor und Mary Naphegyis Kinder waren inzwischen schon erwachsen, und die Tochter hatte gerade beschlossen, mit ihrer
Familie von Wien wieder ins Ländle zurückzukehren. Die Jungen suchten also ihre Architekten selbst. Diese gestalteten außergewöhnlich spannend die oberste Wohneinheit bis in den offenen Dachraum um. Aber das wäre eine eigene Geschichte. Der erste Stock blieb relativ unverändert und ist zu vermieten. Im Erd-geschoß sollten schlussendlich die Eltern ihre Wohnvorstellungen verwirklichen.

„Warum nicht unseren Freund Martin Häusle fragen …“, dachten sie, er sei doch Architekt. Seine Werke kannten sie eigentlich nicht, schätzen jedoch die Gespräche und seine kontemplative Art. Einige seiner Umbauten waren gleich mal besichtigt, und man hatte allseitig das Gefühl, dass Auffassung und Herangehensweise gut zusammenpassen könnten. Für Martin Häusle ist nämlich die Zeit auch ein wesentlicher Faktor: „Der Architekt muss in einem ausführlichen Entwurfsprozess für die Baufamilie etwas entwickeln können, das zu ihren Wohnvorstellungen passt, wie ein handgemachter Schuh!“

„Der Architekt muss in einem
ausführlichen Entwurfsprozess für die Baufamilie
etwas entwickeln können, das zu ihren Wohnvorstellungen
passt, wie ein handgemachter Schuh!“

Martin Häusle
Architekt

Er begriff die ehemalige Produktionsstätte – die der Bauherr zuvor aber eigenhändig von sinnlos gewordenen Gipskarton-Trennwänden befreit hatte – und den davorliegenden üppigen Garten größenmäßig im ähnlichen Format. Dass zum Außenraum die bestehenden Fenster bis zum Boden aufgerissen werden sollten, lag nahe. Ein Wintergarten würde jedoch eine zusätzliche Schicht bilden und das grüne Paradies deutlich ausgrenzen. Die Idee war, den Garten in den Innenraum zu ziehen. Der Architekt experimentierte so lange herum, bis er eine geniale Lösung fand: Mit Spiegelflächen in ausgeklügelter Winkelstellung umrahmt er die raumhohen Fensteröffnungen. Drei Bücherregale, die wie schwarze Säulen wirken, verstärken die Mauer und bilden Nischen, gleichzeitig lösen die Spiegel die Außenwand auf, saugen quasi den Garten ins Innere. Anhand eines Modells aus dem 3D-Drucker studierte Martin Häusle genau den Sonneneinfall. Es ist atemberaubend geworden!

Von der Straßenseite her lässt sich dieses Baujuwel ganz und gar nicht vermuten. Am freundlich mit Rundbögen gestalteten Eck der Giebelfront ist die Haustüre. Über Garderobe und das anschließende Musikzimmer – mit dem antiken Flügel und der wandfüllenden Plattensammlung sofort eine eigene Atmosphäre versprühend – betritt man den spektakulären Wohnraum. Gegenüberliegend eine Raumverlängerung ins Endlose, weil die eine Hälfte der ursprünglichen Doppeltüre zum Stiegenhaus mit einem Spiegel ausgefüllt ist. „Diesen haben wir beim Requisiten-Abverkauf des Feldkirch-Festivals erstanden“, erzählt Tibor Naphegyi, und überhaupt bemerkt man gleich, dass Mary und er auch insgesamt bei ihrer gediegenen Einrichtung das Besondere aussuchen.

Dass die Küche offen sein soll, war Programm, also wurde die Wand zum Lager aufgebrochen. Hier bleiben sehr schön die Bruchstellen sichtbar, der dicke Lehmputz – unter dem sich nach dem Prinzip einer Fußbodenheizung die Rohre in der Wand verstecken – wird mit kantigen Stahlprofilen versäubert. Der durchlaufende Terrazzoboden war nämlich unantastbar und nur sorgfältig zu restaurieren. Spürbar sind auch die qualitätsvollen „Le Corbusier“-Farben: Porzellanweiß an den Wänden, Dunstblau an der Decke, Pariser Nachtblau macht das kleine Badezimmer größer und korrespondiert mit dem schwarzen Spachtelboden. Sogar der Wunsch nach einer Badewanne konnte erfüllt werden: angedockt ans Schlafzimmer – das wiederum in der früheren Backstube seinen heimeligen Platz findet – wird noch ein Luxusräumchen unter das Terrassendach geschoben, mit hemmungslos zu genießender Aussicht ins Gartenparadies.

Objekt: Haus Schatzmann, Feldkirch
Bauherrschaft: Mary und Tibor Naphegyi
Architektur: DI Martin Häusle, Feldkirch
Statik: DI Eugen Schuler, Dornbirn (statische Beratung)
Planung:  02/2015–02/2017
Ausführung: 02/2017–07/2018
Grundstück: 1200 m²
Nutzfläche: 130 m²
Bauweise: Sanierung und Umbau des Erdgeschoßes einer ehemaligen Süßwarenfabrik
Besonderheiten: Die Beauftragung von Firmen und Handwerksbetrieben aus der Region Feldkirch war für die Baufamilie selbstverständlich.
Ausführung: Bauarbeiten: Wilhelm & Mayer, Götzis; Zimmerer: Mayer, Götzis; Fenster: Zech, Götzis; Innenausbau/Holzböden: Werner Graf, Feldkirch; Terrazzosanierung: Lerbscher, Hard; Heizung: Dorfinstallateur, Götzis; Elektro: Lude-scher, Rankweil; Schlosser: Gassner, Rankweil; Spengler: Zerlauth, Feldkirch; Küche: Küchenwerkstatt, Götzis; Malerarbeiten: Krista, Frastanz
Energiekennwert: 40,5 kWh/m² im Jahr (HWB)
Baukosten: 280.000 Euro