Reduktion auf das Wesentliche
Ein kleines Siedlungshaus, vor drei Generationen errichtet, kommt in den Besitz einer jungen Familie.
Die will zunächst alles neu machen. Da die Siedlung unter Ensembleschutz steht, muss das historische Gesamtbild
erhalten bleiben, das heißt, ein Neubau hätte die gleiche äußere Gestalt annehmen müssen.
Bei näherem Hinschauen wird klar, wie gut sich die Struktur von 1928 für heutige Wohnansprüche eignet.
Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Karin Nussbaumer
Das schlanke Wohnhaus für Lehrer Dobmayer wurde 1928 am westseitigen Rand der Siedlung am Stein errichtet. Die Stadtgemeinde Bregenz hatte den Bau der Siedlung in Auftrag gegeben und als Architekten Willibald Braun verpflichtet, von dem auch das Alte Landhaus in der Bahnhofstraße oder die Hauptschule Belruptstraße in Bregenz stammen, beide stehen heute unter Denkmalschutz.
Braun stand der süddeutschen Handwerkstradition näher als den internationalen Tendenzen zur Industrialisierung des Bauens. Die Siedlung am Stein entwarf er als eine Serie von dreißig freistehenden, etwa gleich großen Einfamilienhäusern mit Steildächern, die sich bei aller prinzipiellen Ähnlichkeit aber in architektonischen Details voneinander unterscheiden. Das Lehrerhaus ist das einzige, bei dem das Stiegenhaus wie ein Mittelrisalit an der Giebelseite angesetzt ist, und das einzige mit prominentem, straßenseitigem Eingang.
„Man muss einmal an alles
gedacht haben, auch an Abriss und Neupositionierung auf dem Grundstück,
damit man nicht das Gefühl behält, etwas versäumt zu haben.“
Philipp Gmeiner
Architekt
Nach neunzig Jahren wirkte es abgewohnt und veraltet, die Energiekennwerte waren betrüblich. Der Ensembleschutz für die Siedlung hätte bei Abriss und Neubau bedeutet, dass das Haus äußerlich gleich ausschauen müsste, bei gleichem Volumen und gleicher Dachneigung. Das führte zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Substanz sowie der Geschichte von Haus und Siedlung, bei der die Architekten Philipp Gmeiner und Benjamin Miatto voll Elan als Gegenspieler agierten. Fand der eine nichts Erhaltenswertes, sah der andere nur gutes Ausgangsmaterial. Lobte der andere die Entwicklungsmöglichkeiten, beklagte der eine die Einschränkungen. Zuletzt entschied die Bauherrschaft: Das Haus bleibt stehen. Und um die Silhouette nach der Außendämmung stimmig zu erhalten, versetzten Gmeiner & Miatto sogar die Fensterlaibungen und bildeten die alte Traufenkehle nach. Aber: „Man muss einmal an alles gedacht haben, auch an Abriss und Neupositionierung auf dem Grundstück, damit man nicht das Gefühl behält, etwas versäumt zu haben“, resümiert Philipp Gmeiner lachend.
Dass im Erdgeschoß Wände fielen, entspricht einer inzwischen weit verbreiteten Praxis beim Umbau von Siedlungshäusern. Auf diese Weise wird aus drei Zimmern auf einer nicht allzu üppigen Grundfläche von etwa 60 Quadratmetern ein moderner, weitläufiger Wohn-/Essraum mit Verbindung zur Küche. Passend dazu wurden zwei Sprossenfenster beim Essplatz zu einem großen Panoramafenster zusammengefasst. Eine Besonderheit ist die Balkenkonstruktion der Zwischenwand, die nach Entfernen der Ziegelausfachung stehen blieb.
Das Stiegenhaus befindet sich teils im Risalit, teils schiebt es sich in das Grundquadrat hinein. Dadurch wurde es ins neue Wohnkontinuum einbezogen, bis sich herausstellte, dass Geräusche und Luftzug doch mehr stören als angenommen. Eine zweiflügelige Glastür schafft inzwischen Abhilfe. Der Blick bleibt also frei, dennoch wirkt der Raum viel wohnlicher, sobald die Türen
geschlossen sind.
Im ersten Obergeschoß wurde bei der Adaptierung des Bades ein Balken freigelegt und freigelassen, auf dem noch der Name des ersten Besitzers stand, dazu eine Maßangabe. Der Balkon auf der Gartenseite wurde verbreitert, da das Flachdach über dem Erdgeschoßerker, gleichzeitig der Boden des Balkons, erneuert werden musste und durch eine durchgehende Betonplatte über die ganze Breite des Hauses ersetzt wurde.
Das Dachgeschoß wurde zu einem zweiten Wohnraum mit Panoramafenster nach Süden ausgebaut. Dabei blieb ein Drittel des früheren Spitzbodens erhalten und bekrönt das Stiegenhaus.
Die wirksamste Veränderung passierte in der Organisation des Eingangs. Das Haus steht auf gewachsenem Stein, der südseitige Garten endet mit ihm an einer steilen Geländekante, an deren Verlauf sich auch die Straße orientiert. Das Kellergeschoß ist daher ein Souterrain, und vor den Stufen zum Hochparterre wurde das Entrée durch einen kaum spürbaren Vorbau und das Einkerben von Nischen in das alte Mauerwerk so geschickt vergrößert, dass die Straße draußen bleiben kann. Nasse Mäntel, Jacken, Schuhe – alles kann ebenerdig verstaut werden. Und vor allem ist plötzlich genug Platz da, um sich umzuziehen.
Eine Baukulturgeschichte von
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Daten & Fakten
Objekt Haus am Funkenbühel, Bregenz
Architektur Gmeiner & Miatto Architekten, Hard; www.gmeiner-miatto.com
Statik Mader-Flatz, Bregenz
Fachplanung Bauphysik: Künz, Hard
Planung 07/2015–06/2016
Ausführung 06/2016–06/2017
Grundstücksgröße 1071 m²
Nutzfläche 158 m² (zzgl. Keller 59 m²)
Bauweise Bestand isoliert und verputzt; Holzbalkendecken; innen gemauertes Riegelwerk; Heizung: Gas mit Solarunterstützung über Fußboden und Radiatoren
Besonderheiten errichtet als Teil einer Siedlung von Architekt Willibald Braun 1928
Ausführung Baumeister, Zimmerer, Verputz: Keckeis, Lustenau; Elektrik: Kirchmann, Langen; Sanitär: Steurer, Andelsbuch; Tischler: Hofer, Höchst; Fenster: Sigg, Hörbranz; Spengler: Dachi, Lustenau; Böden: Fischer, Hard; Schlosser: Rusch, Dornbirn; Maler und Putz: Fetzcolor, Alberschwende
Energiekennwert 32 kWh/m² im Jahr (HWB)
Fotonachweis: Titel, S. 4/5: Philipp Gmeiner; alle übrigen: Karin Nussbaumer