Architektin Judith Wellmann ist in Langen bei Bregenz aufgewachsen. Ihre Oma führte am Ortsrand eine Gemischtwarenhandlung, die die Eltern später übernahmen. Schon in den 1970ern hatten sie in ein zentral gelegenes Grundstück investiert. Dort realisierte das Büro Gamsfels von Judith und Til Wellmann nun zwei lange Häuser mit Satteldach, die es in sich haben: 18 Wohnungen, Gästebetten, Supermarkt, Tierapotheke und – ganz wichtig! – einen Bäcker. Da treffen sich nun alle.

Text Isabella Marboe · Fotos Darko Todorovic

Deine Viertelstunde nordöstlich von Bregenz liegt der kleine Ort Langen auf knapp 660 Meter Seehöhe. Für Ortsfremde ist allein die Fahrt durch das Wirtatobel und entlang der sonnigen Südhänge des Pfänderstocks eine Sensation: Von der Straße sieht man weit in den Bregenzerwald. Die Naturlandschaft rund um Langen ist ein Wanderparadies, Bregenz mit all seinem Kulturangebot quasi vor der Haustür und der deutsche Luftkurort Scheidegg nicht weit. Langen hat beste Voraussetzungen für Tourismus, allerdings nur eine überschaubare Zahl an Gästebetten in Privatquartieren oder am Bauernhof.

Die Gemeinde wird als Wohnstätte für Familien immer beliebter, Einwohnerzahl und Häuserbestand haben sich die letzten 50 Jahre fast verdoppelt, derzeit leben rund 1500 Menschen hier, Tendenz steigend. Trotzdem standen die zwei traditionsreichsten Gasthäuser – der Hirschen und der Adler – lange leer. Seit einiger Zeit investiert man viel in einen lebendigen Ortskern: Altersheim „Abt Franz Pfanner“ am östlichen Zentrumsrand wurde erweitert, das denkmalgeschützte Gasthaus Hirschen umgenutzt, die Straßenführung geändert und das Gemeindehaus um einen Proberaum für den rührigen Musikverein aufgestockt und erweitert. Auch der Kindergarten bekam einen Gruppenraum dazu.

„Durch den offenen Laubengang sieht man, wo Licht brennt. Das ermöglicht die kleinen, alltäglichen Begegnungen, die Nachbarschaft und eine lebendige dörfliche Gemeinschaft schaffen.“

Judith Wellmann
Architektin

Das „Dorfzentrum Langen“ bildet nun gleichermaßen das Entrée zum Ort. Es besteht aus zwei wesensverwandten, solide vom ortsansässigen Bau Moosbrugger gemauerten Häusern mit hinterlüfteten Fassaden aus unbehandelter Fichte und Satteldach. Das passt typologisch in die Gegend, wo fast jedes Haus ein Satteldach hat und es langgestreckte Bauernhöfe gibt. Über 30 Meter lang, gut vierzehn Meter hoch, bilden die weithin sichtbaren Neubauten des „Dorfzentrum Langen“ nun das Entrée zum Ort. L-förmig zueinander angeordnet, fassen die zwei Häuser den Parkplatz ein. Im Erdgeschoß des ersten ist der Supermarkt angesiedelt, im zweiten die Bäckerei, darüber wird gewohnt: im ersten Stock ebenerdig, im zweiten satteldachbedingt in Maisonette, sie werden von einem offenen Laubengang erschlossen.

Ziel ist es, Räume für Selbstentfaltung und Gemeinschaft zu schaffen. Junge Menschen können hier einfach ankommen, reden, spielen, Musik machen, Unterstützung suchen oder sich zurückziehen. Gleichzeitig versteht sich die Gute Stube als generationsübergreifende Brücke zwischen Gemeinde und Jugend: Ein Ort, an dem junge Menschen sichtbar werden und ihre Anliegen Gewicht bekommen. Zudem setzt die Jugendarbeit bewusst auf Beteiligung. Jugendliche gestalten Teile der Räume selbst, entscheiden über Angebote mit und können Projekte initiieren, die ihnen wichtig sind. Damit wird das Schulhaus, das früher ein Ort der Belehrung war, zu einem Ort der Mitgestaltung.

„Man sieht wo Licht brennt, kennt und begegnet seinen Nachbarn“, sagt Judith Wellmann. Am Laubengang liegen auch die Küchen. „Oft schaut wer bei mir durch das Fenster und schon bin ich zum Frühstück eingeladen“, sagt Alma, die hier wohnt. „Ich will nie wieder weg, weil ich mich so wohlfühle.“ Die Wohnräume mit den eingebauten Küchen erweitern sich zu Loggien mit Bergblick. Diese sind in die Fassade aus unbehandelter Fichte integriert. „Wo es möglich war, haben wir mit Handwerkern aus dem Ort gearbeitet“, sagt Til Wellmann. „Bei Bedarf sind sie rasch zur Stelle!“ Um die Hausverwaltung kümmern sich die Wellmanns selbst, von Anfang an wohnt ein Hausmeisterpaar in einer Wohnung über dem Supermarkt. Das Grundstück fällt von der Straße bis zum Ort um ein Geschoß ab. Dort setzt das etwas kleinere, kompaktere Haus mitten im Dorf gleich gegenüber von Gemeindehaus und Feuerwehr auf. Hier zog die Bäckerei Mangold ein. Mit ein paar Tischen vor dem Eingang breitet sie sich in den öffentlichen Raum Richtung Supermarkt aus, im Südosten erweitert sich die Bäckerei zu einer Loggia, wo man witterungsgeschützt draußen sitzen und in den Ort schauen kann. Im Untergeschoß gibt es auf Dorfniveau einen weiteren Gastraum, dessen Vorplatz von der auskragenden Loggia beschirmt wird. Auch die Seniorenschaft aus dem Altersheim jausnet gern in dieser Bäckerei. In dem Zeitfenster, in dem sich für kein Gasthaus im Ort mehr ein Pächter fand, wurde sie zum Rettungsanker des sozialen Lebens. Das ist dort eingezogen, um zu bleiben, und längst Dorfalltag geworden.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Es bietet Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen zu diversen Bauten. Mehr Infos auf www.v-a-i.at

Gamsfels, Dorfzentrum Langen

Bauherrschaft/Architektur: Judith und Til Wellmann; Gamsfels
Architektur GmbH, www.gamsfels.com
Generalunternehmer: Bau Moosbrugger (in Zusammenarbeit mit Firmen aus und um den Ort)
Nutzfläche (Wohnen/Gewerbe/Supermarkt): 1900 m² GGF (oberirdisch)
Heizwärmebedarf: 34 kWh/m²a / Gesamtenergieeffizienzfaktor: 0,69 (Klasse A+)
Nutzung: Supermarkt, Bäckerei, Gewerbe-fläche, 18 Wohnungen zwischen 50 und 80 m² (davon 3 Gästeappartements)
Bauweise: Ziegelmauerwerk gedämmt mit hinterlüfteter Holzfassade, Holz-Alu-Fenster dreifach verglast. Decken und Wohnungstrennwände in Beton, Holzsparrendach