„Döt um gliech i am Rieso und hunna blos am Zwerg“
heißt es in einem bekannten Wälderlied und jeder weiß dort,
wo „döt um“ ist: Auf der Alp.
Ein ganz eigener Zauber geht davon aus, etwas,
das einen erhebt und heiter stimmt
und das trotz all der Entbehrung dort oben.

Autorin: Florian Aicher | Fotos: Nicolas Felder

Die Kanisfluh im Blick. Hangseitig duckt sich die vergrößerte Sommerresidenz für 75 Rinder und 25 Sauen so in den Berg, dass im Winter manche Skifahrt übers Dach möglich wäre.
Klare Linien, gradheraus, entschieden im Ausdruck-Holzbau wie immer. Und wer genau hinschaut, bemerkt ornamentales Spiel – ganz funktionell.

Ab halb fünf steht Monika Natter in der Milchkammer der Wildguntenalpe, Jodok Natter hat bereits erste Kühe gemolken. Mit drei Praktikantinnen treiben die Bauern aus Egg die Alpe um – 52 Milchkühe, zehn Mutterkühe, sechs Jungvieh, sieben Kälber, 24 Sauen, sieben Hühner und 42 Pferde. Wenn um halb elf die Milchkammer gesäubert wird, ist der „Output“ um drei Käselaibe gestiegen, täglich. Nun unterstützt sie ihren Mann beim Umtrieb des Anwesens, bevor ab späten Vormittag die Gäste der Jausenstation versorgt werden wollen. Mit Sonnenuntergang ist der Tag zu Ende; „Fernsehen braucht’s da nicht“, sagt Jodok Natter, „die Arbeit geht nicht aus, aber sie ist anders.“
Liegt da der Zauber? Frische Luft, grandiose Landschaft, Ausblicke? Eher zählt: Dinge schaffen, die nahrhaft und gut sind, in einem Umfeld, das man versteht; zum Sinn dieses Ganzen beitragen, nach eigener Anschauung in selbst bemessener Zeit; sein eigener Herr sein. „Hier geht’s um gute Arbeit, nicht Verwaltung von Arbeit“, so Jodok Natter, „das ist anders als drunten.“

Künftig wird von hier oben eine Krananlage die Arbeit vor dem Haus erleichtern; heute schon geht der Gruß zur Kanisfluh.
Auch der Stall: Massivholzbau ab 50 cm über dem Stallboden mit enger Balkenlage für den befahrbaren Bergeraum darüber.

Es ist diese Unmittelbarkeit im Umgang mit den Dingen, die fasziniert – nicht nur Senn und Bauer, sondern auch Bauleute, so Michael Kaufmann, der den Bau erstellt hat und der Bruder Johannes Kaufmann, der ihn in seinem Architekturbüro gezeichnet hat. Michael, weit herumgekommener Zimmerer, vertraut mit dem Dachstuhl, abgebunden vor Ort bis zur Vorfertigung, als Elementbau oder Raumzellen in mancher Metropole, bekennt: „Dieser Bau ist mir eine Herzensangelegenheit, weil’s klassische Zimmererarbeit ist und ich mit meinem Vater vor einem Vierteljahrhundert hier oben geschafft habe – eine Lage mit Herausforderung.“

„Dieser Bau ist mir eine Herzensangelegenheit,
weil’s klassische Zimmererarbeit ist und ich mit meinem Vater vor
einem Vierteljahrhundert hier oben geschafft habe – eine Lage mit Herausforderung.“

Michael Kaufmann
Zimmerer

Damals: Ausbau der Hüttenstube. Seit je wurde am Haus gebaut; die Urform liegt im Dunkeln. Die Alp gehört zu den Uralpen der Gegend, ist vor 500 Jahren erstmals namentlich erwähnt, doch gewiss deutlich länger bestoßen. Wieder stand eine Veränderung an, veranlasst durch Vergrößerung der Herde, andere Tierhaltung, neue Sennereitechnik. Doch da war das alte Haus; dem Gestaltungsrat Mellau lag daran, die traufständige Lage beizubehalten und zu erhalten, was möglich ist. Unter dem verlängerten, erhöhten First des Altbaus mit Gasthaus und alten Käseräumen entwickelt sich ein teilüberdachter Wirtschaftshof mit neuer Sennerei und anschließend neuem Stall – „Fress-Liege-boxen-Laufstall“, so der korrekte Terminus technicus – mit Melkständen. Apropos Stall: Vom Bauern erfährt man, was erfahrungsferne Landwirtschaftspolitik mit Freilaufställen angerichtet hat. Hier dagegen laufen Rinder, behornt, frei, finden jedoch in Boxen Rückzug vor dem Hierarchiegerangel der Herde – wenn sie nicht von 7°°-17°° im Freien weiden und nach dem Melken auf der Abendweide.

Hebt die Dachbalken hoch, Zimmerleute! Montage des robusten, im Tal abgebundenen Holzbaus im Herbst mit ersten Schneeboten.

Die 18 m x 28 m große Halle wirkt trotz nur ca. 2,40 m Höhe großzügig dank Fensterbändern an zwei Seiten. Oberhalb des Betonbodens und 50 cm hoher Betonstümpfe ist es eine reine Holzkonstruktion. 16 freistehende Holzstempel gliedern Raum und Wände und tragen ein klassisches Gefüge aus Haupt und Nebenträgern in dichter Lage. Der Raum darüber, Bergeraum für Einstreu und Zufutter, ist mit Traktor befahrbar. Weite Öffnungen öffnen sich zum Stall und verbessern die Zirkulation. Das Obergeschoß ist hangseitig befahrbar. Daraus ergibt sich ein Wechsel der Firstrichtung. Unterhalb des gemeinsamen Firstes greifen der alte und, versetzt, der neue Richtung Berg; eine Gaube für den Kran zeigt talseitig diesen Wechsel. Obergeschoß und Dachstuhl sind (außer den Pfetten aus Leimholz) Vollholz, Fichte massiv aus dem Wald der Agrargemeinschaft; senkrecht bzw. geneigt stehender Stuhl, Stützen in engem Raster, Zangen und Büge mit Schubknaggen, Pfetten, Rafen in engem Raster (wegen der hohen Schneelast), Holzschalung mit ornamen-talen Lüftungsschlitzen. Aufwendig? Michael Kaufmann nennt als Bauzeit rund zwei Monate; fünf Wochen Arbeit in der Werkstatt, zwei Wochen Aufrichten am Berg, dann Arbeiten unter Dach. Im September 2019 begonnen, war Mitte November Fertigstellung. Nicht gerechnet die sorgfältige Werkplanung, die aus eigenem Haus kommt. Kosten? Die komplexe Anlage lässt sich nicht ohne Weiteres mit Stall und Scheune von der Stange vergleichen; dennoch urteilt er: „Kostengünstiger als Massivbau kenn ich nicht. Bei uns ist das gar kein Thema.“ Klassische Zimmererarbeit, massiver Holzbau – gerade für ein Unternehmen, das für innovativen Holzbau steht, ist das unersetzlich: So bleibt Holzbau lebendig. Stütze und Balken, Bau-stoff und Maß, kräftig und gradaus, ganz anschaulich – Hausbau ohne Wenn und Aber.

Die Verwitterung verrät es: Die alte, erhaltene Alpe wurde aufgestockt und gab die Struktur der erweiterten Neuanlage vor. Für Gäste gibt es 100 Plätze.
Der liegende Stuhl des Daches: außer Pfetten kräftiges (hohe Schneelast!) Massivholz aus dem Wald der Agrargemeinschaft.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Alpe Wildgunten, Mellau

Eigentümer Agrargemeinschaft Wildgunten

Architektur Johannes Kaufmann Architektur, Dornbirn, www.jkarch.at

Statik zte Leitner ZT, Schröcken, www.zte.at

Fachplanung Werkplanung: Michael Kaufmann, kaufmann zimmerei und tischlerei, Reuthe

Planung Herbst 2018

Ausführung Sommer 2019 bis Frühjahr 2020

Fläche Abbruch 280 m²

Dachfläche Bestand 290 m²

Dachfläche Neubau 780 m²

Bauweise: Erdberührende Bauteile sowie Sennhaus, Schweinestall und Melkstand aus Stahlbeton; sonst HolzRiegelwerk; Pfetten/Sparrendach; Stall mit Holzbalkendecke; Fassade Fichte; Dach mit beschichteten Aluschindeln; Stückholzheizung

Besonderheiten: Gesamtes Bauholz aus dem eigenen Wald der Agrargemeinschaft

Baumeister: Feuerstein DER Bau, Andelsbuch; Zimmerer: kaufmann zimmerei und tischlerei, Reuthe;
Fenster: Wälderfenster, Bizau; Heizung: Tobias Metzler, Egg; Erdbau: Kaspar Natter, Egg und Felder, Mellau; Stall: Elfried Winder, Bildstein; Sennerei: Josef Eberle, Hittisau; Dach: Rusch, Alberschwende

Baukosten 850.000 Euro

Fotonachweis: Seite 6: Michael Kaufmann; alle übrigen: Nicolas Felder