Klimaschutz von Haus aus
Nun also soll das Heil vom Holz kommen. „Mit Holz aus der Klimakrise herausbauen“ will H. J. Schellnhuber,
Gründer des renommierten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und eine Lichtgestalt der Klimawandler.
Der Bauherr dieses Hauses würde es so sagen: Ein Baustoff mit geringem Energieinput, weil von Natur
aus da; ein Stoff, der Leib und Seele gut tut; der nicht um die halbe Welt
transportiert werden muss; der Hand und Kopf zum Mittun einlädt.
Autor: Florian Aicher | Fotos: Nicolas Felder
Martin Gehring, der mit Jennifer Boje und den drei erwachsenen Söhnen einen Bauernhof in sechster Generation mit 30 Kühen plus 50 Stück Nachzucht und 25 ha Wald und Gästewohnungen in Unterjoch im Allgäu (streng biologisch) bewirtschaftet, hat einen langen Weg hinter sich, an dessen Ende ein Haus steht, das ein Muster für solches Bauen abgibt. Das begann 1991 mit einem Austrags- und Gästehaus, unten rum Stein und oben mächtig Holz vor der Hütte – „meine Bausünde“, sagt er. 2004 zeigt die Stallerweiterung mit gedübelter Vollholzdecke ein Umdenken. 2014 ereignet sich die Katastrophe: das 380 Jahre alte, geliebte Bauernhaus brennt nach Blitzschlag ab. Als dies verdaut ist, wird ein neues Haus an neuem Standort geplant; es gibt mehrere Entwürfe, ein kurioses Gerangel um Genehmigung, dann: Stopp. Neustart und Suche nach Architekten mit Holzbaukompetenz; die Wahl fällt auf Walter Felder und Wise Geser aus Egg im Bregenzerwald. Ihnen gelingt der Entwurf nach Vorstellung der Bauherren für die eigene Wohnung mit zwei Gästewohnungen zu 100 m2 und einer zu 50 m2 unter einem Dach.
Apropos langer Weg: Gehring sucht die Fichten einzeln im eigenen Wald aus. Nach Zuschnitt folgt ein Jahr Lagerung an frischer Luft, dann 20 Wochen Trocknung mit Heulüfter unter provisorischem Zelt. Dann ist sein Holz baureif – reif, um das ganze Spektrum an Qualitäten des Stoffs, seine Trag-, Dämm-, Speicher,- und Pufferfähigkeit zu entfalten. Daraus folgt logischerweise: Holz wird massiv verbaut, Wand, Decke, Dach. Und: Kunststoffe haben hier nichts verloren, Metall nur wo unvermeidbar und – auch kein Leim. Wie das?
„Dieser Bauherr war unser strengster Bauleiter –
aber wir haben uns mit der Zeit gegenseitig immer mehr begeistert.“
Walter Felder und Wise Geser
Architekten
Gehring sucht und findet: einen Hersteller, der zwei Lagen genuteter Bohlen mit gespiegelt-trapezförmigen, konischen Gratkeilen unverrückbar verbindet. Zwei oder drei derartige Schichten, und die Wand ist fertig. Dazu außenseitig 12 cm Jutedämmung und ein Schindelschirm. Werden die Bohlen senkrecht verbaut, ist das Problem der Setzung beim Strickbau behoben.
Einziger Wermutstropfen: Die Fertigung findet nicht vor der Haustür, sondern ca. 170 km entfernt Richtung Stilfser Joch statt. Für Gehring kein Hindernis: Man vereinbart, dass die Firma Leerfahrten von einer anderen Baustelle für den Holztransport ins Werk nutzt. Und so wurde selbst Distanz nachhaltig bewältigt. Beim Entwurf stand das alpine Bauernhaus, ein Einfirstbau als Seitenflurhaus Pate – auf der einen Längsseite der Wohnteil, dazwischen Tenne und Stall, am anderen Ende Lager- und Bergeraum. Felder/Geser entwickeln eine raffinierte Variation dieses Typs – eine punktsymmetrische Spiegelung. So bieten beide Längsseiten ähnliche Ansichten: eine geschindelte und eine verschalte Haushälfte. Die traufhohen quergestellten Holzlamellen mit tragender Funktion dienen als Sichtschutz für gedeckte Freisitze. Die auf ganzer Länge verteilten Wohnungen haben jeweils eine geschlossene und offene Seite bei geringstmöglicher Beeinträchtigung durch den Nachbarn.
„Mit dem Holz kann man immerzu schaffen“, sagt der Bauherr, der sich für den Bau Zeit genommen hat und immer und überall mit Hand angelegt hat. Mit dabei waren die Söhne, selbst im Baugeschäft aktiv und für den betonierten Keller verantwortlich. Ebenso für die Treppe, die an Stelle der Tenne liegt. Die fein gearbeiteten Podeste wollte kein Profi als Fertigteil liefern; also konstruierte man sich vor dem Hof einen Rütteltisch, auf dem die Teile betoniert wurden – von höchster Qualität. Subsistenzwirtschaft der neueren Art!
Auch beim Ausbau galt: Beste Ausführungsqualität – in der Regel in unbehandeltem Vollholz. Etwa die Bohlendielen, bis zu 50 cm Breite, die nach jahrhundertealter Art dem Wuchs des Baumes gemäß von einem Meister seines Fachs keilförmig verbaut wurden. Das kommt der Stabilität des Holzes zugute. Damit ist die Fußbodenheizung unproblematisch, die in Formsteinen aus Lehm verlegt ist, dies wiederum zum Vorteil der Wärmespeicherung. So könnte man durchs Haus gehen und findet überall wohl durchdachte Lösungen bei sorgfältiger Ausführung. Besonders erwähnt werden sollen noch die Fensterelemente mit integrierten Schiebeläden – eine Weiterentwicklung eines Prototyps, mit dem die Architek-ten vor sechs Jahren einen Preis beim renommierten Wettbewerb „handwerk+form“ gewannen. Man glaubt ihnen gern: „Dieser Bauherr war unser strengster Bauleiter – aber wir haben uns mit der Zeit gegenseitig immer mehr begeistert.“ Und dem Klima wurde gewiss ein Dienst erwiesen.
Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at
Daten & Fakten
Objekt Erlenhof Gehring, Unterjoch, Allgäu
Bauherr Martin Gehring
Architektur Architekturbüro Felder/Geser, Egg; www.felder-geser.at
Statik Dipl.-Ing. Klaus Kreyenberg, Weitnau (D)
Fachplanung Elektro: Barbara Waldmann, Haldenwang (D); Bauphysik: Angelika Dautzen-berg, Pfronten (D); Innenausbau: Felder/Geser, Egg
Planung 01/2017 – 04/2018
Ausführung 03/2018 – 12/2019
Grundstücksgröße 10.656 m²
Wohnnutzfläche 487 m² (zzgl. Keller 296 m²)
Bauweise Massivholzbau, System Holzius (Prad am Stilfser Joch (I); Mehrere Schichten gekoppelter verzinkter Bohlen; Jute- und Holzfaserdämmung; Schindeln auf hinterlüfteter Unterkonstruktion; Dach Naturschiefer und Kupfer
Besonderheiten Holz aus eigenem Wald, mondgeschlagen; Ausführung m. großem Anteil Eigenarbeit
Ausführung Baumeister: Martin Gehring, Unterjoch; Zimmerer: Doser, Pfronten; Spengler: Rusch, Alberschwende; Fenster: Schwarzmann, Schoppernau; Tischler: Kaufmann, Reuthe; Lindauer, Steinen (CH); Mohr, Andelsbuch; Böden: Fink, Au; Polsterer: Mohr, Andelsbuch; Heizung/Lüftung: Thomma, Wertach (D); Elektro: Lipp, Bad Hindelang (D)
Energiekennwert 29 kWh/m² im Jahr (HWB)