Eine Naht in der Stadt
Öffentlicher Raum ist mehr als nur eine möblierte Platzoberfläche. Es geht auch darum, einen Bezug zum bereits Vorhandenen herzustellen und einen Mehrwert abseits der reinen Funktion als Verkehrsfläche zu schaffen. In der Dornbirner Innenstadt ist dies Kathrin Aste und Frank Ludin vom Innsbrucker Architekturbüro LAAC vortrefflich gelungen.
Autorin: Franziska Leeb | Fotos: Cornelia Hefel, Marc Lins Photography
Französische Naht und Rollsaum für dünne Gewebe, eine Wiener Naht für den figurnahen Schnitt oder dekorative Biesen –
je nach Material und Anforderungen kennen wir aus der Schneiderei eine reiche Anzahl an Nähten, die richtig eingesetzt zur Qualität und Ästhetik eines Kleidungsstückes beitragen. Die Naht kann verbindendes Konstruktionselement sein, sie betont Schnittführungen und kann Akzente setzen. Ähnlich einer Schneiderarbeit, die Bedacht auf den zu umhüllenden Körper und die zu verbindenden Textilteile nimmt, sind auch Kathrin Aste und Frank Ludin an die Neugestaltung des öffentlichen Raumes um den Dornbirner Marktplatz herangegangen.
„Stadtnaht“ benannten sie ihren Entwurf, womit zugleich auch der lokalen Textilgeschichte Reverenz erwiesen wäre. Das Projekt ging aus einem 2013 von der Stadt Dornbirn ausgeschriebenen Wettbewerb hervor. Das Ziel: die alte traditionelle Innenstadt mit der angrenzenden neuen Generation der Innenstadt besser zu einem Gesamten zu verbinden und als Stadtraum zu stärken.
„Das Projekt zeichnet sich durch einen sehr differenzierten Umgang mit der Stadtkante und den Stadtniveaus aus, was in Summe einen hohen Merkcharakter für den Stadtraum erzeugt. „Das Thema Stadtnaht … lässt Neues entstehen und hat zugleich hohen Charme im Weiterbauen des öffentlichen Raumes.“ So lautete die Begründung der Jury. Wie sich das umgesetzte Projekt in der Praxis bewährt, lässt sich seit vergangenen Herbst anhand des ersten Bauabschnittes rund um die Pfarrkirche St. Martin beobachten.
Noch konnten die neuen Plätze, Wege und Parkflächen sich nicht unter Idealbedingungen – sprich an warmen Sommertagen, die zum längeren Verweilen, Spielen und Flanieren im Freien einladen – beweisen. Trüb, regnerisch und kalt war es auch beim Treffen mit Stadtplaner Stefan Burtscher unter dem mächtigen Portikus der Pfarrkirche. Das Testen der neugeschaffenen Sitzflächen war also nicht drin. Da der Stadtraum aber täglich, zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei jedem Wetter genutzt wird und funktionieren muss, sind widrige Umstände gar nicht so übel, um die Qualitäten eines städtischen Freiraums zu überprüfen.
„Es geht uns nicht um den Spaß an der freien Form, sondern um die Gestaltung einer funktionalen Verbindung mit Mehrwert.“
Kathrin Aste/Frank Ludin
Architekturbüro LAAC
Wir beginnen am Marktplatz. Seit 1989 ist dieser zentrale Ort im Vorfeld der Pfarrkirche Fußgängerzone und zugleich ein Platz von angenehmer Weite. Die neue Gestaltung übernahm mit einer Pflasterung aus hellem Granit in Kombination mit gliedernden Streifen aus anthrazitfarbenem Basalt Materialität und Textur des Platzes und führt sie nun entlang und um die Kirche in die Schulgasse.
Besondere Orte – dort gelegen, wo Straßenzüge aufeinandertreffen, es also quasi Nahtlinien zu schließen gibt, besetzten Kathrin Aste und Frank Ludin vom Innsbrucker Büro LAAC mit besonderen „Interventionen“: Da wäre einerseits das Marktplatzfoyer mit der kreisförmigen Sitzbank oder das Forum, wo sie im Anschluss an den Kirchpark mit Rampen und einer geschwungenen Treppenanlage auf den Höhenunterschied in der Innenstadt reagieren. Da sei jeher Brunnen ganz wesentlich zum Wohlbefinden auf Plätzen beitragen, durfte auch hier das Wasser nicht fehlen. Hier fand es Platz in Formeiner runden Fläche, die in der warmen Jahreszeit mit Wasser überspült wird und so nicht nur zum Mikroklima beiträgt, sondern auch zum ungefährlichen Wasserspielplatz in der Stadt wird.
Die an den Flanken der Rampen schmal zulaufende Treppenanlage vermag sich zur Tribüne zu wandeln. Oder dient einfach nur zum Rasten und zum Beobachten des Treibens am Platz. Zarte Geländer begleiten elegant den Abstieg und wurden nachträglich auch am oberen Treppenansatz eingefügt, damit auch unachtsamen Stadtflaneuren mit Sicherheit kein Unfall passiert.
Den Kirchpark selbst gestalteten LAAC als grüne Anhöhe, deren Wiesenflächen mit organisch geformten Rändern aus Beton gesäumt wurden. Eine Platane, eine Roteiche, ein Schnurbaum, eine Silberlinde, eine Zerreiche und eine Zierkirsche wurden neu gepflanzt. Bänke, mit Sitzflächen aus Holz und einer Basis aus Fertigbetonelementen laden ein, sich an diesem ruhigen Ort niederzulassen. In den Grasflächen setzen skulpturale Gruppen von schwarzen Betonpunkten prägnante Akzente. Der Weg durch den Park wurde als „wassergebundene Decke“ ausgeführt, also aus gebrochenem Natursteinmaterial, ist somit weicher und gelenkschonender als Pflaster oder Asphalt und lässt noch dazu Niederschläge versickern.
Sie spürt sich gut an, die neugestaltete Dornbirner Innenstadt. Wo früher so etwas wie eine Vornaus-Hintaus-Beziehung zwischen alter und neuer Innenstadt herrschte und zwar der tatsächliche Weg kurz, die gefühlte Distanz aber groß war, legte die Neugestaltung von LAAC Bezüge frei, die vorher weder sichtbar noch erfahrbar waren.
Daten & Fakten
Objekt Stadtnaht Dornbirn: Erweiterung der Fußgängerzone in die Schulgasse und Neugestaltung Kirchenpark
Bauherr Stadt Dornbirn, Bürgermeisterin Andrea Kaufmann
Architektur LAAC, Innsbruck, www.laac.eu
Fachplanung Bauleitung: Rau Landschaftsarchitekten, Ravensburg (D); Elektro: Willi Meusburger Ingenieurbüro, Bezau
Bürgerbeteiligung 2010
Planung 7/2013–10/2017
Ausführung 5/2017–10/2017
Besonderheiten Granitplatten Bianco Sardo wie im Bestand; Stärke 14 cm auch für schwere Fahrzeuge geeignet;
Feldgliederung: Basalt
Ausführung Vermessung: Gerhard Lackinger, Feldkirch; Straßenbau: Strabag, Dornbirn; Landschaftsbau: Hilti & Jehle, Feldkirch; Betonfertigteile: Stangl, Waldkraiburg (D); Zimmerei: Gerhard Berchtold, Schwarzenberg; Schlosserei: Markus Kalb, Dornbirn); Beleuchtung: Thorn Lighting und Zumtobel, Dornbirn
Baukosten 1,8 Millionen Euro