Ein Haus in einer Arbeitersiedlung in Dornbirn von Architekt Fleisch aus dem Jahr 1929
verwandelten ARSP Architekten durch einen sensiblen Umbau zum modernen Lebensumfeld.
Ein „vertikaler Garten“ aus Stahl erweitert jede Ebene um einen privaten Freiraum,
im ersten Stock schlägt das Herz des Familienlebens,
darüber haben die Bauherren ihre Rückzugszone.
Innen erzeugen bewusst gesetzte Wanddurchbrüche,
entfernte Zwischenwände, schöne Möbel und
ein spezielles Farbkonzept eine fröhliche Atmosphäre.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Zooey Braun

Die Straßenseite des alten Hauses mit den ums Eck geführten Fensterleisten blieb so, wie sie war.

Inspiriert von der Gartenstadtidee, plante Architekt Wilhelm Fleisch, von dem auch das Rathaus in Dornbirn ist, 1929 eine Arbeitersiedlung aus typengleichen Häusern mit etwa 70 m2 Grundfläche. Die Räume sind klein, aber sehr ausgewogen proportioniert und gut belichtet. Jedes Haus steht im eigenen Garten, was eine schöne, grüne Nachbarschaft schafft. Eines davon war zu kaufen. Die Stirnseite unterm steilen Dachgiebel ist etwa 8,5 Meter breit. Sie ist nach Südwesten und zur Straße orientiert, der Raum im sonnigen Eck des Erdgeschoßes von zwei Seiten natürlich belichtet. Eine horizontale Deckleiste, die ums Eck führt, fasst beide Fenster optisch zusammen. Rike Kress und Frank Stasi von ARSP Architekten war das Haus sofort sympathisch. „Details wie die rahmenden Fensterleisten, die auch ums Eck gehen, fanden wir sehr charmant.“ Das Haus hatte zwei Geschoße und ein Steildach mit Schleppgaube überm Stiegenhaus. Das Erdgeschoß ist um sieben Stufen erhöht und von einer Außentreppe erschlossen. Dahinter war 1936 ein weiterer, vier Meter breiter Streifen mit je zwei Zimmern – also gute 30 m2 Wohnfläche pro Stock – angebaut worden.

An der Rückseite wurde dem Haus eine weitere Raumschicht im gleichen Umriss angefügt, die jede Ebene um einen privaten Freiraum erweitert.
Im ersten Stock bietet er der Wohnküche einen Tisch im Freien – und frische Kräuter.

Der Verkäufer wollte sein Haus in guten Händen wissen, Kress und Stasi überzeugten ihn. „Hätten wir ein Wärmeverbundsystem gewählt, wären solche Fensterdetails und ihre Proportionen verloren gegangen.“ Zur Straße blieb das Haus originalgetreu erhalten, innen und an der Rückseite griffen sie stärker ein. „Wir wollten es von seinem Mief befreien.“ Der hintere Zubau hatte kleine Fenster und keinen Bezug zum Garten. Hier erweiterten ARSP alle Fenster bis zum Boden auf Fenstertüren und bauten einen „vertikalen Garten“ an: Eine selbsttragende Konstruktion aus Stahlrahmen, die das Innere in jedem Stock über die Gesamtbreite um fast zwei Meter erweitert – und dank Außentreppe auch vom Garten begehbar ist. Dieser „vertikale Garten“ schafft dem Haus privatem Freiraum. Und das voll Respekt: Denn er folgt genau dem Umriss des Bestands. Er wirkt als angefügte Raumschicht, die die Möglichkeiten des Bewohnens eklatant erweitert. Sie schenkt dem Grillplatz im Garten einen schattigen Unterstand, im ersten Stock wachsen Kräuter vor der Küche und steht ein Tisch im Freien, ganz oben kann man hier vorm Schlafengehen in die Sterne schauen. Das feinmaschige Netz aus Edelstahl als Absturzsicherung stört die Aussicht nicht.

Herz des Familienlebens: die Wohnküche im ersten Stock.
Alle Tür- und Fensterrahmen sowie die Sockelleisten wurden weiß gestrichen, die Durchbrüche der Küchenwand sind in derselben Flucht wie die Türen zu den Kinderzimmern.
„Details wie die rahmenden Fensterleisten,
die auch ums Eck gehen, fanden wir sehr charmant.
Hätten wir ein Wärmeverbundsystem gewählt, wären solche
Details und ihre Proportionen verloren gegangen.“

Rike Kress und Frank Stasi
ARSP Architektenr

Im Erdgeschoß gibt es eine Dreizimmerwohnung, die vermietet wird. An der zentralen Eingangsdiele liegt außerdem noch ein fast quadratisches Zimmer, das mit Teeküche und Minibad ausgestattet wurde. „Dieser Raum ist unser Joker: Man kann ihn als Gästezimmer oder Gemeinschaftsraum nutzen.“ Die Architektenfamilie lebt im ersten und zweiten Stock. Alles, was am Bestand schön ist, blieb erhalten: abgeschliffen, geseift und weiß pigmentiert, verbreitet der alte Schiffboden edle Wohnlichkeit, alle Fensterrahmen und -stöcke, Türstöcke und Sockelleisten sind weiß gestrichen, die meisten Wände pastellfarben. Das gibt jedem Raum seine eigene Atmosphäre.

Gegenüber von Abwasch und Stauraum der Küche befindet sich das familienfreundliche lange Sofa, das über die ganze Stirnseite reicht.

Die einläufige Stiege in der Mitte bildet das verbindende Rückgrat zwischen den Ebenen. Das Herz des Familienlebens schlägt im ersten Stock: Hier wurde die Wand zwischen den zwei Räumen im Nordosten abgerissen – nun ist die Wohnküche ein loftartiger Einraum mit salbeifarbenen Wänden und zwei Fenstertüren auf den „vertikalen Garten“, Küchenkräuter inklusive. Das Farbkonzept entwickelten ARSP mit Monika Heiss, das schräge Design des offenen Herdblocks wurde mit dem Dornbirner Grafikbüro Sägenvier und Monika Heiss konzipiert. Quadrate und Streifen in Zitronengelb, Salbei und Schwarz geben dem Korpus einen individuellen Touch. An den Stirnseiten sind Abwasch und Stauräume, gegenüber eine lange Couch, in der Mitte der Esstisch. Morgens steht die Sonne in der Küche, abends wandert sie zu den Kids. Die zwei Küchendurchbrüche liegen genau in der Türflucht der Zimmer von Clara und Linus, die nach Südwesten orientiert und über einen Durchgang in der mit Kork verkleideten Zwischenwand verbunden sind. So können die Kids zwischen den Zimmern und um die Treppe flitzen. Am Ende der Spieldiele führt eine Glastür auf den Balkon.

Die gesellige Mitte der Wohnküche bildet der Esstisch, den die Architekten selbst entworfen haben.
Ein Durchgang in der mit Kork verkleideten Wand zwischen den Kinderzimmern sorgt für genug Austausch und Bewegungsfreiheit für Clara und Linus.

Der neue Raum unter dem Dach auf der sonnigen Südwestseite ist zum Lesen, Denken und Arbeiten für die Eltern da, auf der Gartenseite schlafen sie. ARSP verkleideten den Dachstuhl mit hellem Birkensperrholz, was eine sehr ruhige Oberfläche schafft. Einzig der alte Hauptsparren ragt vor. Drei schräge Dachflächenfenster im Südosten, sowie zwei Pendants im Nordwesten geben wunderbares Oberlicht. Den niederen Raum unter der Dachschräge gestalteten die Architekten auf beiden Seiten über die gesamte Länge als Regalfläche für Bücher. Hier lesen und arbeiten sie privat. Falls es dabei sehr spät wird, trennt sie nur ein Durchgang vom Schlafzimmer.

Der Dachraum ist mit hellem Birkensperrholz verkleidet. Den niederen Bereich unter der Dachschräge nutzten ARSP für ein langes Regal voller Bücher.
Die Stiege zum Dach führt nun in einen ganz neuen Raum und in eine andere Atmosphäre.

Daten & Fakten

Objekt Villa Fleisch, Revitalisierung Gründerzeithaus in Dornbirn

Bauherren Rike Kress und Frank Stasi

Architektur ARSP Architekten, Dornbirn, www.arsp.cc

Statik Mader & Flatz, Bregenz

Fachplanung Bauphysik: BDT, Frastanz; Grafik: Sägenvier, Dornbirn; Farbdesign: Monika Heiss, Dornbirn

Planung 12/2017–8/2018

Ausführung 5/2018–10/2018

Grundstücksgröße 615 m²

Wohnnutzfläche 232 m² (zzgl. Keller 75 m²)

Bauweise Bestand: Massivbau (Klinker), Holzbalkendecken mit Blindboden, Holzsparrendach, Holzfenster mit Fensterläden; Adaptierung: Holzständer­wände mit Hanfdämmung, Lehmbauplatten und -putz, neue Dacheindeckung (Biberschwanz), Holzfenster und Holzläden, Wandbeklei­dungen Birkensperrholz, geschliffene Dielenböden; Erweiterung: Stahlbau, Streckmetall, Edelstahl-Webnet, Holzbelag (Lärche)

Besonderheiten Ausführung mit großem Anteil Eigenarbeit

Ausführende Baumeister: Oberhauser & Schedler, Andels­buch; Stahlbau: Markus Kalb, Dornbirn; Fenster: Herbert Düringer, Schwarzenberg; Dachdecker: Josef Schwen­dinger, Dornbirn; Spengler: Bejos, Dornbirn; Lehmputz: Markus Lerch, Dornbirn; Trockenbau: Dominic Silva-Dominguez, Bregenz; Maler: Farben Krista, Frastanz; Tischler/Innenausbau: Michael Kaufmann, Bezau; Küche: Hutle, Dornbirn; Bodenleger: Gerhard Ilg, Dornbirn; Fliesen: Markus Moosbrugger, Au; Elektro: Schwendiger, Dornbirn; Sanitär: Engel, Dornbirn; Garten: Daniel Meusburger, Bezau