Mehrere Architekturbüros aus Vorarlberg haben mittlerweile Niederlassungen in Paris. Seitdem DietrichIUntertrifaller 2015 ein Büro in Frankreich gegründet haben – heute sind 17 der insgesamt 140 Mitarbeiter dort beschäftigt – wurden rund 15 Gebäude errichtet, sechs befinden sich aktuell in Bau. Die meisten davon sind Sport- oder Schuleinrichtungen wie die neue Schule in Bretenoux im Südwesten Frankreichs.

Text: Dominique Gauzin-Müller | Fotos: Aldo Amoretti

Seit Ende der 1990er-Jahre empfängt Vorarlberg jedes Jahr tausende von Fachleuten aus der ganzen Welt, die vor allem von der Qualität der Holzarchitektur angezogen werden. Viele kommen aus Frankreich: Planer(innen) aus Architektur- oder Ingenieurbüros, aber auch Kommunalpolitiker(innen), Handwerker(innen), und andere Expert(inn)en. Ein Fixpunkt bei diesen Besuchen ist seit ihrer Eröffnung im Jahr 2003 die Hauptschule in Klaus von Dietrich|Untertrifaller. Dieses erste Passivhaus-Schulgebäude in Österreich war nicht nur wegen seiner bis zu dreistöckigen, tragenden Holzkonstruktion, seinen Erdsonden und seiner Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung beispielhaft. Es kehrte der traditionellen Verteilung der Klassenzimmer auf beiden Seiten eines langen, dunklen Korridors den Rücken, indem es ein großzügiges Atrium und kleine Zugangsstege schuf und das Licht durch ein Glasdach in alle Räume eindringen ließen.

Dieses Gebäude brachte viele französische Architekt(inn)en zum Träumen, und mehrere luden DietrichIUntertrifaller ein, mit ihnen an Wettbewerben für ähnliche Gebäude in Frankreich teilzunehmen. Seit ein paar Jahren sind in der Bretagne bereits zwei solcher Schulen in Betrieb. Die dritte wurde vor Kurzem in Bretenoux, einem 1400-Einwohner-Städtchen, eröffnet. Philippe Bergès und Caroline Lafon vom Büro PhBa waren durch ihre Reise nach Vorarlberg im Jahr 2009 inspiriert worden. Als das Département Lot einen Wettbewerb für den Bau einer besonders ökologischen Hauptschule für 400 Schüler(innen) ausschrieb, lag es für sie nahe, gemeinsam mit dem Vorarlberger Kolleg(inn)en teilzunehmen.

„Der Bau der neuen Schule von Bretenoux entspricht dem Imperativ einer Region, die ihren Energieverbrauch bis 2030 um 40 Prozent senken und damit eine Vorreiterrolle einnehmen will.“

Serge Rigal
Präsident des Lot

Das Lot hat nur 175.000 Einwohner(innen) auf einer Fläche, die doppelt so groß ist wie Vorarlberg. Es gibt nur etwa 20 Mittelschulen, und es war das erste Mal seit Langem, dass der Landkreis sich an einen neuen Schulbau wagte. Die Schule sollte nachhaltig werden: Ein Plus-Energiehaus unter Verwendung natürlicher Materialien, vor allem Douglasienholz aus der Region. Caroline Lafon, die die Baustelle betreute, schätzt den systematischen Ansatz von Dietrich|Untertrifaller. Die einprägsamste Lektion war für sie „die Arbeit anhand eines Prototyps, der die Kommunikation zwischen Bauherrn, der Bauaufsicht und den Handwerksbetrieben erleichtert hat“. Damit wurde es einfacher, die konstruktiven Details gemeinsam festzulegen, die im gesamten Gebäude wieder angewendet werden sollten. Der Zimmereibetrieb liegt direkt neben der Baustelle, eine logistisch ideale Lage. Architekt Much Untertrifaller zeigt sich mit der Umsetzung zufrieden, auch wenn sie „nicht ganz die in Vorarlberg übliche Qualität hat“.

Der Beitrag von Dietrich Untertrifaller zu dieser Schule geht über den Holzbau hinaus. Mit der Erfahrung von Dutzenden von Bildungseinrichtungen in mehreren europäischen Ländern sieht Much Untertrifaller mehrere grundlegende Unterschiede. Der erste betrifft die räumliche Organisation. Neue pädagogische Ansätze, die besser auf die differenzierten Bedürfnisse der Schüler(innen) abgestimmt sind, ermutigen sie, aktiver zu sein und miteinander zu kooperieren. In Österreich und Deutschland werden diese Methoden seit etwa 15 Jahren bei Neubauten angewandt, und auch alte Schulen werden entsprechend umgebaut. In Frankreich hingegen ist der Frontalunterricht immer noch die Regel. Außerdem werden die künftigen Nutzer(innen) dort nicht in die Raumgestaltung miteinbezogen.

Auch der Bezug zum öffentlichen Raum ist völlig anders. Während in Vorarlberg jeder die Schulhöfe nachts und tagsüber überqueren kann, sind französische Schulen von einem Zaun umgeben und überwacht. Diese Anforderung macht Much Untertrifaller ratlos: „Ich verstehe diese Angst nicht. Mich stört, dass immer vom Schlimmsten ausgegangen wird. In Frankreich gibt es jedoch nicht mehr Überfälle als bei uns, schon gar nicht in einem Ort wie Bretenoux.“ Die Antwort der Architekt(inn)en ist eine introvertierte Schule, die um einen Hof und einen Innenhof herum organisiert ist, um den Bau einer Umfassungsmauer zu vermeiden. So findet man den Geist der offenen Pädagogik in einem konventionelleren System wieder wie eine freundschaftliche Brücke zwischen Vorarlberg und dem Lot.

Daten und Fakten

Objekt: Collège d‘Orlinde, Bretenoux

Bauherr: Département du Lot

Architektur: Dietrich | Untertrifaller Architectes, Paris, www.dietrich.untertrifaller.com; Partnerbüro vor Ort: phBa, Figeac

Fachplanung: Tragwerk: Terrell, Toulouse; Haustechnik: Soconer, Toulouse; Energie: GEA, Blagnac; Akustik: Gamba, Toulouse; Kosten: Maitrys, Limoges; Landschaft: Saltus, Saint-Julien; Elektro: Itud, Fronton; Küche: B.E.C.P., Panazol; Leitsystem: Katharina Untertrifaller, Bregenz

Planung: Wettbewerb 2018, Planungsbeginn 2019

Ausführung: Februar 2022–November 2023

Grundstück:  21.606 m²

Nutzfläche: 4.483 m²

Bauweise: Holzskelettbau (Massivholz, Douglasie) auf Betonsockel; Holzdecken; Holzbalkendach mit Bitumendeckung; 2 geothermische Wärmepumpen unterschiedlicher Leistung (75+50 kW), gekoppelt an 25 vertikale geothermische Sonden; Station zur passiven Kühlung (Geocooling)

Besonderheiten: Plus-Energiehaus

Energiekennwert: 99,1 kWh ep/ m² SRT (mit Photovoltaik-Produktion) Durchschnitts-U-Wert: 0.92