Wer im Walgau mit dem Zug unterwegs ist, hat den Neubau sicherlich schon im Vorbeifahren gesehen. Vor bzw. kurz nach dem Bahnhof Nenzing, direkt an der Bahnlinie, steht der unübersehbare Holzbau des neuen Familienzentrums „Allesamt“ mit seinen bogenförmigen Fenstern.

Text Clemens Quirin · Fotos Christian Schmoelz, Cornelia Hefel, Christoph Schöch

Unzweifelhaft markant steht es da, das neue Familienzentrum der Marktgemeinde Nenzing. Neben der noch gelblichen, unvergrauten Fichtenholzfassade fallen einem direkt die bogenförmigen Fenster und die deutlichen Rücksprünge in der Fassade auf. Durch Letzteres wirkt der langgezogene Baukörper optisch kürzer und die große Struktur passt sich ganz selbstverständlich in die ansonsten eher kleinteilig bebaute Umgebung ein. Das ist einer der Gründe, weshalb Architekt Christian Schmoelz das Gebäude in vier Volumen aufgeteilt hat: „Beim Entwerfen habe ich an Bauklötze gedacht. Durch die Bogenform der Fenster und die Abtreppung erhalten die Fassaden einen zusätzlichen spielerischen Charakter. Auch die Eingänge auf der Gartenseite lassen sich damit klarer ablesen“, so Christian Schmoelz weiter. Zuletzt konnte dank der besonderen Grundrissform auch der alte Baumbestand (Ahorn und Föhren) auf der nördlichen und östlichen Seite des Grundstücks erhalten bleiben.

Die Außenraum- und Umgebungsgestaltung wurde insgesamt sehr wichtig genommen. So ist die Wegführung für die Kinder mit einem neuen hellen Belag und im verringernden Abstand gesetzten punktförmigen Bodenmarkierung weit über die Grundstücksgrenze hinaus vorgezeichnet. Punkte und Belag führen an den Fahrradabstellplätzen vorbei in den Spielhof. Von hier aus betreten die Kinder über die schon erwähnten Eingänge und Garderoben ihr jeweiliges Haus. Dann geht es über die Treppen nach oben in den Spiel- und Aufenthaltsbereich, der sich, für eine Kinderbetreuung ungewöhnlicherweise, im ersten Obergeschoß befindet. „Es ist wichtig, den Kindern das Treppensteigen zu lernen.

„Beim Entwerfen habe ich an Bauklötze gedacht. Durch die Bogenform der Fenster und die Abtreppung erhalten die Fassaden einen spielerischen Charakter.“

Christian Schmoelz
Architekt

Das funktioniert bei uns wunderbar, oft helfen die Größeren den Kleinen“, sagt die Leiterin des Zentrums Vanessa Tomasini. Ein rein eingeschoßiger Kindergartenbau – und der damit erhöhte Bodenverbrauch – lässt sich so also kaum noch argumentieren. Wie das Projekt „Allesamt“ zeigt, braucht es vor allem gut durchdachte und gestaltete Absturzsicherungen wie auch Betreuer(innen), die die Mehrgeschoßigkeit als räumliche und pädagogische Qualität wahrnehmen. Mehr noch, trotz oder besser wegen der Entscheidung für das zweite Geschoß sind fast alle Spiel- und Aufenthaltsräume der Kinder auf einer Ebene und passen damit ideal zum pädagogischen Konzept: statt die Kinder in Gruppen einzuteilen und jeder Gruppe einen Raum zuzuordnen, können sich die Kinder im „Allesamt“ zwischen den Räumen und den Spiel- und Lernthemen frei bewegen. Geschickt ergänzt wird diese Idee durch die Verbindung der Funktionen der Räume mit den Namen der Gemeindeparzellen. So steht Gusto für Gurtis, Heia für Heimat, Bewegung für Beschling, Malraum für Mariex usw.

Im Erdgeschoß befinden sich die weiteren Neben- und Zusatzräume, der Eingangsbereich der Mitarbeiter(innen), Essen und Kochen (Gusto), WCs, Werkraum und ganz im Osten ein Aufenthaltsraum für das Personal sowie der Schlafbereich (Heia) der Allerkleinsten. Im Westen, mit eigenem Zugang vom Vorplatz, ist das von der Connexia (gemeinnützige Gesellschaft für Gesundheit und Pflege) und der Gemeinde betriebene Familienberatungszentrum platziert. Hier sind Themen wie Erziehung, Bildung, Gesundheit und soziale Teilhabe von Kindern und Familien die zentralen Inhalte. Mit der Verbindung von Kinderbetreuung und Beratung schafft die Gemeinde also genau dort ein Angebot, wo die Wege der Erziehungsberechtigten und Bezugspersonen ohnehin hinführen – an vertraute Orte für sie und ihre Kinder.

Für die wohlige Atmosphäre im ganzen Haus sorgt nicht zuletzt das durchgängig eingesetzte Material Holz. „Es war durchaus eine Herausforderung, die bogenförmigen Fenster in den Holz-Ständerbau zu integrieren. In der Zusammenarbeit mit den ausführenden Firmen haben wir aber eine gut umsetzbare Lösung gefunden“, berichtet der Architekt abschließend. Das Konstruktionsholz und die Fassadenlattung sind aus Fichte, im Innenraum dominiert Esche: am Boden, im Täfer und bei den Einbaumöbeln. Erwähnenswert sind auch die beachtlichen 936 Punkte (von 1000 möglichen), die bei der Zertifizierung zum Kommunalen Gebäudeausweis erreicht wurden.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur und Baukultur in Vorarlberg. Es bietet eine Bibliothek, Aus-stellungen, Veranstaltungen und Vor-Ort-Termine in den Gemeinden: Mehr Infos auf www.v-a-i.at

Familienzentrum „Allesamt“, Nenzing

Bauherr: Marktgemeinde Nenzing
Architektur: Christian Schmoelz Architekt ZT, Feldkirch, www.christianschmoelz.com
Statik: Dr. Brugger & Partner ZT GmbH, Bludenz, www.brugger.at
Planung: 01/2020–05/2022
Ausführung: 06/2022–10/2024
Grundstück: 4329 m²; Nutzfläche: 2006 m²
Energiekennwert: 10 kWh/m² im Jahr (HWB)
Fachplanung: Landschafts-/Spielraumplanung: Markus Burtscher, Frastanz; Bauphysik: Spektrum, Bauphysik und Bauökologie, Dornbirn; Baumsachverständi-ger: Christoph Ölz Gehölz, Dornbirn, Leitsystem und Signaletik: Atelier Andrea Gassner u. a.