Ein Gebäude, zwei Gesichter – im Philologicum der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität
trifft eine von Rundbogenfenstern durchsetzte Straßenfront aus dem
19. Jahrhundert
auf eine vollflächig transparente Rückfassade des 21. Jahrhunderts.

Mit ihrem Umbaukonzept setzten Cukrowicz Nachbaur Architekten aus Bregenz
die Stärken des historischen Bestands neu in Szene. Eine spezielle Herausforderung
des Projekts war die große Zahl der unterzubringenden Arbeitsplätze und Bücher.

Text: Diana Artus | Fotos: Adolf Bereuter

Münchens prachtvolle Ludwigstraße ist von repräsentativen Bauten des Architekten Friedrich von Gärtner (1791–1847) geprägt, die dieser für König Ludwig I. entwarf. Dazu zählt auch das 1833 bis 1835 errichtete Gebäude an der Ecke zur Schellingstraße. Dass das Haus seit 2019 mit dem Philologicum eine hochmoderne, hell und luftig gestaltete Fachbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) beherbergt, ist seiner schlichten Straßenfront kaum anzusehen. Auf der Rückseite hingegen bietet sich ein ganz anderes Bild: Hier öffnet sich der Bau mit einer zeitgenössischen Glasfassade, hinter der die Lesenden zu sehen sind, zu einem lebhaften Campushof.

Geplant hat den Umbau, der eine denkmalgeschützte, sorgfältig restaurierte Gebäudehülle stimmig mit einem neuen, anspruchsvollen Innenleben verbindet, das Bregenzer Büro Cukrowicz Nachbaur Architekten. Sämtliche philologische Institutsbibliotheken der LMU unter einem Dach zu bündeln, war die Bauaufgabe. Mit ihrem Entwurf, der 2014 den Wettbewerb gewann, zeigen die Vorarlberger beispielhaft, wie das Weiterbauen im Bestand gelingen kann. Dass es zuweilen mit wenig Sensibilität erfolgt, verdeutlicht die jüngere Geschichte des Hauses, das Ende der 1960er-Jahre schon einmal entkernt worden war. Dabei sei viel von der ursprünglichen Struktur zerstört worden, erklärt Anton Nachbaur-Sturm beim Rundgang durch das Philologicum. Mit dem Einziehen zusätzlicher Geschoße verloren die Innenräume ihre ursprüngliche Großzügigkeit. Genau diese räumliche Weite stellten Cukrowicz Nachbaur Architekten nun erfolgreich wieder her. Nach dem erneuten vollständigen Entkernen orientierten sie sich an Geschoßhöhen und der Gliederung der U-förmigen historischen Gebäudeschale, die sie strukturiert befüllten und hofseitig mit einer neuen, transparenten Außenwand wieder schlossen. Eine vertikale Lamellenschicht aus eloxiertem Aluminium sorgt für Sonnenschutz und lässt zugleich die Anmutung eines abstrakten Bücherregals entstehen. Auch der barrierefreie Haupteingang wurde auf die hintere Gebäudeseite verlegt, zusätzlich dienen die beiden historischen Portale an der Ludwigstraße weiterhin als Zugänge. Bis zu 3500 Menschen gehen in der intensiv genutzten Bibliothek täglich ein und aus.

„Die Teilung in eine dichte Kernzone und großzügige, helle
Arbeitsbereiche schafft räumliche Spannung und
erfüllt die An
sprüche an eine gute
Bibliothek auf sehr selbstverständliche Weise.“

Anton Nachbaur-Sturm
Architekt

Im Inneren wird der Baukörper nun horizontal durch eine zentrale Mittelspange geteilt, die sich zwischen zwei massiven, frei stehenden Erschließungskernen aufspannt. Symmetrisch gestaltet, nehmen diese neben Schachteltreppen und Liften auch verschiedene Servicefunktionen auf. Vertikal erfolgt die Gliederung durch die Stapelung von drei Hauptgeschoßen mit Raumhöhen von bis zu sechs Metern. Das mittig eingestellte Volumen wiederum ist in sieben kompakte Galerieebenen mit jeweils halber Raumhöhe unterteilt und lässt mit seiner Holzoptik erneut an ein Bücherregal denken. Hier sind der riesige Freihandbestand der Bibliothek und verschiedene Lesebereiche untergebracht. Dabei wurde ein wirksames Zonierungskonzept realisiert: Von der zur Eingangshalle hin offenen Zeitschriftenlounge im ersten Stock bis zu schalldichten Einzel- und Gruppenlernkabinen im dritten Geschoß wird es immer ruhiger. Oberflächen aus Eiche lassen überall eine warme, wohnliche Atmosphäre entstehen. Manche rücken sich die gemütlichen Lesesessel mitten zwischen die Bücherreihen. Auch die Möblierung wurde vom Architekturbüro gestaltet.

In den hohen Räumen entlang der beiden Außenfassaden finden sich klassische Lesesäle mit unterschiedlichem Charakter – straßenseitig kontemplativ und introvertiert hinter historischen Mauern, hofseitig mit viel Tageslichteinfall und stetem Außenbezug. Es ist genau dieser harmonische Wechsel zwischen Dichte und Weite, Konzentration und Kommunikation, Ruhe und Spannung, Alt und Neu, der das Philologicum innerhalb kurzer Zeit zur beliebtesten Bibliothek Münchens werden ließ. Cukrowicz Nachbaur Architekten haben mit ihrer Transformation das Kunststück vollbracht, die Qualitäten des Bestands voll zur Geltung zu bringen und zugleich Raum für rund 430.000 Bücher und Medien sowie 740 Arbeitsplätze mit unterschiedlichen Ruhebedürfnissen zu schaffen.

Objekt Philologicum Ludwig-Maximilians-Universität, München
Bauherr Staatliches Bauamt München 2
Architektur Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT; Bregenz, www.cn-architekten.com
Statik bwp Burggraf + Reiminger, München
Fachplanung Kostenmanagement, Leistungsverzeichnisse und Objektüberwachung: BM.C, München; Bauphysik, Simulation und Raumakustik: IB BASIC, Gundelsheim; Elektro: Koscheinz & Partner, Ruhstorf a. d. Rott; Haustechnik: PEG, Gilching; Brandschutz: IBS, Linz; Signaletik: Studio Eva Plass, München
Planung 07/2014–05/2018
Ausführung 09/2015–08/2019
Grundstück 2270 m²
Nutzfläche 8420 m²
Bauweise Massivbauweise, Bestand Mauerwerk
Ausführende Baumeister: Wayss & Freytag, München; Metallbau: Dörnhöfer, München; Fenster: Federle, Fultenbach; Zimmerer: IHR Tischler, Harth-Pöllnitz; Holzverkleidungen: Lindner, Arnstorf; Böden: Bembè, Bad Mergentheim; Rollregale: Zambelli, Wegscheid; Bücherregale: BI’BOR-FA, Zalaegerszeg/Ungarn; Elektro: Rückert, Forstern; Heizung/Kälte: Gruber, Sauerlach; u. a.