Eine Villa mit zwei Begleitern
Vor rund 140 Jahren errichtete der Bludenzer Architekt Johann Wachter für die Textilunternehmerfamilie Emil und Hilde Gassner, Gesellschafter der Firma Getzner Textil, diese prachtvolle Villa am Stadtrand von Bludenz. Prachtvoll einerseits durch die schiere Größe, damals freistehend auf grüner Wiese, aber auch durch die hochwertige Ausstattung und die verbauten Materialien.
Text Clemens Quirin · Fotos Darko Todorovic

Nach der familiären Nutzung diente die Villa im Zweiten Weltkrieg zunächst als Wehrmachtsbehörde, dann nach dem Krieg als Quartier des französischen Besatzungskommandanten und zuletzt viele Jahre als Verwaltungssitz der Firma Lorünser. Diesen Namen – „Lorünser-Villa“ – trug das Haus auch viele Jahre. Zu dieser Zeit erfolgte auch eine Teilung des enorm großen Grundstücks, dass dann teilweise verkauft und mit einer Wohnan-lage bebaut wurde. Auch die Villa erfuhr immer wieder Umbauten, erhielt ein Blechdach und einen eingeschoßigen Zubau entlang der Alten Landstraße.

Vor einigen Jahren übernahm dann der Projektentwickler Primus Immobilien das Kernstück der Anlage und konzipierte mit Mitiska Wäger Architekten auf dem verbliebenen, immerhin noch fast 4500 Quadratmeter großen Grundstück zwei ergänzende Wohnbauten. Durchgesetzt hat sich dann aber eine andere Nutzungsidee: ein für Vorarlberg bisher einmaliger Gesundheitscampus, der eine interdisziplinäre und ganzheitliche Betreuung von Patient(inn)en ermöglicht, ergänzende Therapieangebote, eine Tageschirurgie und sogar eine Kinderbetreuung anbietet. Die Bauherrschaft übernahm dann schlussendlich die Muttergesellschaft der Firma Getzner. „Es ist uns ein besonderes Anliegen, die baukulturelle Geschichte unseres Unternehmens zu bewahren und fortzuführen. Wir freuen uns also sehr, dass die denkmalgeschützte Gassner-Villa als Zentrum des Gesundheitscampus eine neue Nutzung gefunden hat und architektonisch in neuem Glanz erstrahlt“, so Markus Comploj, Bauherr und CEO der Getzner Mutter Cie GmbH & Co KG.


„Die Idee war, der Villa zwei neue Begleiter zur Seite zu stellen, ohne ihre ursprüngliche Anlage und Ausrichtung zu sehr zu stören.“
Markus Mitiska
Architekt

Ortsbaulich ließ man das Konzept der zwei zusätzlichen Baukörper im Wesentlichen unverändert. Sie ähneln in ihren Ausmaßen der Villa und setzen mit ihrer Fassadengestaltung einen bewussten Kontrast. Der erste neue Baukörper – direkt an der Alten Landstraße – ist nach vorne gerückt, steht auf der ursprünglichen Zufahrt und lässt damit den kleinen Vorplatz vor dem alten Haupteingang der Villa mit seinem alten Baumbestand unberührt. Der zweite neue Baukörper steht in der Flucht des Bestands in Richtung Obdorfweg. Der südöstliche Teil des Grundstücks und der Blick auf die Villa blieben damit frei.

Wenn man im Garten unter der Terrasse des ehemaligen Salons steht, wird ein weiterer Grund klar, warum es zu dieser Entscheidung kam. „Hier gab es schon immer einen diagonalen Weg über das Grundstück in Richtung Stadt, mit Blick über das Gartentor auf den Turm der St.-Laurentius-Kirche. Die Idee war, der Villa zwei neue Begleiter zur Seite zu stellen, ohne ihre ursprüngliche Anlage und Ausrichtung zu sehr zu stören.“ Die Villa selbst erhielt eine denkmalgerechte und äußerst hochwertige Sanierung. Die Raumstruktur verändernde Einbauten der letzten Jahrzehnte wurden entfernt, Oberflächen freigelegt und restauriert. Besonders schön sind die originalen Fliesen im Erschließungsbereich, die Parkettböden aus Ahorn und Kirsche sowie die alten Holztäfer an Wänden und Decken in den früheren Repräsentations- und Schlafräumen. Komplett neu ist die Dacheindeckung, die wie ursprünglich mit farbigen Dachziegeln ausgeführt wurde und der Villa ihren historischen Abschluss verleiht. Ein Musterbeispiel, was gelingen kann, wenn Bauherrschaft, Architektur und Denkmalamt konstruktiv zusammenarbeiten.


Im Inneren erfolgten, wo nötig, zurückhaltende Ergänzungen, wie bei der neuen Treppe ins nunmehr ausgebaute Dachgeschoß. Zuvor führte nur eine enge Wendeltreppe in das mit seiner Höhe und dem sichtbaren Dachgebälk beeindruckende Turmzimmer, dass nun einige Nachbarräume erhält: einen großen Veranstaltungs- und Seminarraum mit einer textilen Akustikdecke, passenderweise aus der Produktion der Bauherrschaft, sowie Sozialräume für die Mitarbeiter(innen). Überhaupt ist die Villa der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Campus. Im leicht erhöhten Erdgeschoß, der Beletage, sind der zentrale Empfang, Warteräume und die Verwaltung untergebracht. Im ersten Obergeschoß und auch im Turmzimmer folgen erste Arztpraxen. Weitere Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten befinden sich in den beiden Neubauten. Die maßvolle Erweiterung zum Gesundheitscampus ermöglicht der Villa nun ein Fortbestehen über viele weitere Jahrzehnte.
Eine Baukulturgeschichte von VAI.
Das vai ist die Plattform für Architektur und Baukultur in Vorarlberg. Es bietet eine Bibliothek, Aus-stellungen, Veranstaltungen und Vor-Ort-Termine in den Gemeinden: Mehr Infos auf www.v-a-i.at
Gesundheitscampus in der Gassner-Villa, Bludenz
Bauherrschaft: Getzner Mutter Cie GmbH & Co KG, Bludenz; https://getznerholding.at
Architektur: mitiska.wäger architekten zt-og; www.mitiska-waeger.com
Projektentwicklung: Primus Immobilien, Beat Fleisch, Bludenz
Projektsteuerung: gbd ZT GmbH, Dornbirn
Statik: Villa: DI Christian Gantner, Bludenz, Neubauteile: Kofler Baustatik GmbH, Götzis
Bauphysik: WSS Schwarz, Frastanz
Planung: 01/2021–08/2024
Ausführung: 01/2023–05/2025
Grundstück: 4356 m2; davon 1048 m2 bebaut
Nutzfläche: netto 2961 m2