Das Grundstück ist sehr besonders. Im Norden grenzt es an den einzigen innerstädtischen Weinberg der niederösterreichischen Gemeinde Perchtoldsdorf. Die Bauherren wünschten sich einen Holzbau, Bernardo Bader setzte ein archetypisches, langes, schmales Haus mit steilem Satteldach an die östliche Grundgrenze. Der großartigste Raum ist die Wohnküche, die bis zum First reicht und fast das ganze Erdgeschoß einnimmt. Auch das Schlafgeschoß profitiert von der Dachform.

Text Isabella Marboe · Fotos Hertha Hurnaus

Perchtoldsdorf zählt zum Besten, was der Wiener Speckgürtel zu bieten hat. Es ist eine gewachsene Ortschaft mit einem schönen Marktplatz, Pestsäule, Pfarrkirche und einem markanten mittelalterlichen Wehrturm. Perchtoldsdorf liegt im Naturpark Föhrenberge, in der Weinbaugemeinde gibt es viele Buschenschanken. Unweit der Endstation der Straßenbahnlinie 60 – noch auf Wiener Boden – befindet sich der einzige Weinhang im Ortsgebiet. Ein Geviert von Gehwegen führt durch, ein weiterer Pfad an seinem Rand entlang. Er bildet die nördliche Grenze vom bauherrlichen Garten.

Von der Hangkuppe aus sieht man die Silhouette des steilen Satteldachs aus dem Grün ragen. Sie unterscheidet sich von den gemauerten Kuben rundherum, harmoniert aber gut mit der Natur, selbst die Solarpaneele sind so dunkel und dezent, dass sie nicht stören. Das Haus liegt am Ende einer ruhigen Sackgasse hinter einer weißen Gartenmauer, über die sich der Efeu rankt. Sie verläuft entlang der Südseite des Grundstücks. Der Bauherr hat ein Windkraft-unternehmen, der achtsame Umgang mit den Ressourcen dieser Welt ist ihm ein Anliegen. „Wir wollten ein Haus aus Holz“, sagt er. „Am besten in Pfosten-Riegel-Bauweise.“ Das Holz sollte auch konstruktiv eingesetzt werden und sichtbar bleiben. Nirgendwo beherrscht man die hohe Kunst des Holzbaus besser als in Vorarlberg, nirgendwo ist das Niveau des Handwerks nur annähernd gleich hoch.

„Für mich war der Bezug zur Landschaft entscheidend. Der lange Baukörper reagiert auf die ursprünglichen Flurformen.“

Prof. Bernardo Bader
Architekt

Die Bauherren machten sich schlau, lassen sich durch Architekturmagazine, recherchierten im Netz und fuhren schließlich ins Ländle. „Dort geht man viel mutiger mit Holz um und legt einen großen Fokus auf die Proportionen“, sagen die beiden. „Auch die schlichten, klaren Formen gefallen uns.“ Schließlich kontaktierten sie drei Büros, mit Bernardo Bader stimmte die Chemie auf Anhieb. Er fuhr nach Perchtoldsdorf und war sofort von der Aura des Ortes gefangen. „Der Bauplatz am Rand der Weinberge ist sehr besonders, er liegt genau an der Grenze von Stadt und Land“, sagt der Architekt und fragte die Bauherren, ob sie sich hier ein Satteldach vorstellen könnten. Bader schlug außerdem eine Verschiebung der Baufluchtlinien vor. Damit wurde sein Entwurf möglich.

Nun steht ein knapp 7,5 Meter breites, fast 28 Meter langes Haus mit rechteckigem Grundriss und steilem Satteldach an der östlichen Grundgrenze. Dadurch breitet sich im Westen sehr viel Garten vor dem Haus aus, wo gerade sieben Kinder ausgelassen Fußball spielen. Vier davon gehören zur Kleinfamilie, die anderen sind Cousinen und Cousins. Auf den zwei Nachbarparzellen leben die zwei Schwestern des Bauherrn. „Wir sagen immer, das ist unser Dreiländereck“, lacht er. Im Osten an der Grundgrenze führt auch der Weg zum Eingang an der langen, fast fensterlosen Fassade entlang. Das schafft ein wenig Distanz, man betritt das Haus durch eine eingeschnittene, mit hellem Holz ausgekleidete Nische in der Mitte: Dort steht ein Stuhl und sieht man durch eine gläserne Doppelschiebetür direkt in den Garten, wo die Nachmittagssonne gerade feine Lichtkonturen auf die Hecken legt. Schräg gegenüber hat die Eingangsnische ihr Pendant zum Garten: Auch hier ist eine geschützte Veranda eingeschnitten.

Die große Sensation ist die Wohnküche. Sie reicht über dem Wohnbereich bis unter den Dachfirst. Das macht fulminante 8,5 Meter Raumhöhe! Im Westen erweitert sich der Raum zur Terrasse, im Süden öffnet sich ein großes Fenster zum Garten vor der weißen Mauer. Es hat keine Tür und geht auch nicht zum Boden: Dafür gibt es eine Sitzbank zum Lesen und Chillen. „Wie Bernardo die Öffnungen setzt und welche Ausblicke er hereinholt, ist einfach einmalig“, schwärmen die Bauherren. Der Küchenblock steht in der Mitte frei, er ist so dunkel wie die Fassade, hier ist der Raum aber wieder niedriger. Dahinter führt eine einläufige Treppe ins Obergeschoß. Auch die dortigen Schlaf- und Kinderzimmer profitieren von der Dachform – sie sind einfach sehr luftig und öffnen sich zum Garten zur durchgehenden Terrasse über die gesamte Länge. Sie verbindet alle. „Für mich war der Bezug zur Landschaft entscheidend. Der lange Baukörper reagiert auf die ursprünglichen Flurformen “, sagt Bernardo Bader. Dieses Haus ist ein ländlicher Archetypus – es erinnert an einen Stadel. Die Vornehmheit der dunkel lasierten Fassade, die senkrechte Lattung unterm Dach, die horizontale im Erdgeschoß, die Einschnitte und großen Fenster verweisen auf die städtische Umgebung. Vom Garten sieht man den Turm der Burg von Perchtoldsdorf. Die steht gleich am Marktplatz.

Eine Baukulturgeschichte von VAI.

Das vai ist die Plattform für Architektur und Baukultur in Vorarlberg. Es bietet eine Bibliothek, Aus-stellungen, Veranstaltungen und Vor-Ort-Termine in den Gemeinden: Mehr Infos auf www.v-a-i.at

Haus Iglasee, Wien Perchtoldsdorf

Architektur: bernardo bader architekten, Bregenz; www.bernardobader.com
Statik: GU Berchtold Holzbau GmbH&CoKG, Wolfurt
Fachplanung: Haustechnik: GU Berchtold Holzbau GmbH&CoKG, Wolfurt; Elektro: AT Smarthome 360 GmbH, Wien; Bauphysik: GU Berchtold Holzbau GmbH&CoKG, Wolfurt
Ausführung: 2018-2020
Ausführende Firmen: GU: Berchtold Holzbau GmbH&CoKG, Wolfurt; Baumeister: Sperhansl Bau GesmbH, Wien; Bauleitung: GU Berchtold: Reinhard Muxel, Wien