Die Bauwende beginnt jetzt
„Valley Widnau“ heißt der auf den ersten Blick eher zurückhaltende Wohnbau im namensgebenden Schweizer Nachbarort. Hinter der groben Putzfassade versteckt sich aber ein ausgeklügeltes Bausystem, das Ökologie mit Wirtschaftlichkeit konsequent in Einklang bringt. Ein in der Ostschweiz wie in Westösterreich engagierter Unternehmer und das weltweit agierende Vorarlberger Architekturbüro Baumschlager Eberle haben damit ein wichtiges Zeichen für die Bauwende gesetzt.
Text Clemens Quirin · Fotos Jens Ellensohn

Der Gebäudesektor ist einer der größten CO2-Emittenten der Welt. Mit der Herstellung und dem Betrieb der gebauten Umwelt ist er für fast 40 Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase verantwortlich. In den letzten Jahrzenten lag der ökologische Fokus vor allem auf Energieeffizienz in der Nutzungsphase. Das Passivhaus wurde erfunden, die Dämmstärken erhöht und nicht selten weitere technische Maßnahmen umgesetzt. Trotz all dieser Anstrengungen ist der Energieverbrauch der Gebäude immer noch so hoch wie im Jahr 1990. Schuld ist auch im Gebäudesektor der sogenannte Reboundeffekt. Kaum wird man effizienter, baut man einfach mehr.


Der Ressourcen-Einsatz für Herstellung, Transport und Entsorgung der Baustoffe blieb häufig unbeachtet – jedenfalls in der Masse der Bauproduktion, die auch weiterhin große Mengen energieintensiver und untrennbarer Baustoffe verbaut. So entsteht inzwischen rund die Hälfte der grauen Emission (alle Emissionen für Herstellung, Transport, Nutzung und Entsorgung) vor dem Einzug in ein neues Gebäude. Höchste Zeit also, dass sich der Bausektor auch mit dem Energiegehalt der Baumaterialien und auch deren späteren Entsorgung auseinandersetzt.

„Es ist möglich, die Netto-Null im Bauen zu erreichen.“
Andy Keel
Bauherr

Hier setzt das Bausystem Openly des Entrepreneurs Andy Keel an. In der vorarlbergnahen Ostschweiz ist der erste Prototyp „Valley Widnau“ entstanden. Der konstruktive Holzbau mit aussteifendem Betonkern ist in großen Teilen zerleg-, also auch nach seiner ersten Lebensdauer im Bestfall wiederverwend-, jedenfalls gut rezyklierbar. Das Hauptaugenmerk liegt beim Openly-System aber auf den Emissionen der verwendeten Baumaterialien. Zum Einsatz kommt neben Holz, Hanf, Kalk, Lehm, Recycle-stahl auch der noch recht unbekannte Pflanzankohlebeton. Baum- und Strauchabschnitte geben, lässt man sie verrotten, das in ihnen gespeicherte CO2 wieder in die Atmosphäre ab. Wandelt man diese Abschnitte hingegen in Pflanzenkohle um und mengt sie dem Beton bei, ist dieser Kohlenstoff langfristig gespeichert. Mit anderen Worten, nicht nur CO2-sparend, sondern auch als Kohlenstoffsenke sollen die Openly-Gebäude wirken. Handelbare CO2-Zertifikate können gerade in der Zukunft ein nicht zu unterschätzender finanzieller Anreiz für solche Systeme sein.

„Es ist ohne Weiteres möglich die Netto-Null im Bauen zu erreichen. Für die konventionelle Bauwirtschaft ist es nur zu mühsam die eingeübten Pfade zu verlassen. Außerdem fehlt es immer noch an regulatorischen Anreizen wie einer höheren CO2-Bepreisung“, so Andy Keel. Bei Openly besonders hervorzuheben sind aber drei weitere, sehr wichtige Aspekte. Zum einen hat sich das Team um Andy Keel keine Denkverbote gesetzt, oder sich gar einer reinen Lehre verschrieben – nur Holz ist richtig, nein Lehm, nein doch Beton – da langlebig. Verwendet wird vielmehr, was technisch, ökologisch und wirtschaftlich Sinn macht. Und das passgenau, Bauteil für Bauteil wurde durchdacht und optimiert. Zweitens, man fokussiert sich auf den mit Abstand häufigsten Bautypus: den Wohnbau. Damit ist das System besonders gut skalierbar. Zuletzt sei im Kontext der Ökologie erwähnt, dass das Gebäude natürlich auch in der Nutzung die höchsten Schweizer wie EU-Standards (Plusenergiehaus) erreicht. „Für uns ist ganz klar: Ein Entweder-oder funktioniert nicht mehr“, bringt es Andy Keel auf den Punkt.


Gemeinsam mit Baumschlager Eberle St. Gallen entwickelte und gestaltete das Openly-Team in Widnau einen schlichten und wohlproportionierten Baukörper. Vertikale und horizontale Vor- und Rücksprünge, das einheitliche Fensterformat in den Obergeschoßen, die Sockelausbildung mit raumhohen Verglasungen wie auch die zarte Geschoßfuge im groben Kalkputz gliedern den Baukörper und die Fassade gekonnt. Im Inneren dominieren hochwertige wie langlebige Materialien: Kupfer, Echtholz, Kalk- und Lehmputz. An einigen Stellen wurden aber auch bewusst die konstruktiven Materialien sicht- und damit erlebbar gemacht. Sei es der Hanfbeton oder die vermauerten Hanfsteine, der Pflanzenkohlebeton oder die eigens entwickelten Fertignasszellen. Ganz allgemein, die technischen Details werden nicht versteckt, sondern vielmehr stolz vorgezeigt. Ein Beispiel sind die für Openly weiterentwickelten „Airboxen“, ein dezentrales und natürliches Belüftungssystem, dass ohne die übliche zentrale Wohnraumlüftungsanlage auskommt. Die Baukosten sind dabei maßvoll geblieben und durchaus mit den konventionellen Baukosten in Vorarlberg vergleichbar. Neben der Bestandsnutzung – wie eingangs erwähnt wurde in den letzten Jahrzenten unbestreitbar viel gebaut – könnte der hier gelebte ökologisch-ökonomische Ansatz in der Bauwerkserrichtung viel bewirken.
Eine Baukulturgeschichte von VAI.
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Architektur vor Ort by Openly am 31. Oktober 2025, 17 Uhr, www.v-a-i.at
OPENLY Valley Widnau, Widnau (CH)
Bauherr: OPENLY AG, Widnau (CH)
Architektur: Planung (Phase 3-5): Baumschlager Eberle, St. Gallen AG, www.baumschlager-eberle.com; Ausführung (Phase 4-5): Openly AG, Widnau, www.openly.systems/
Tragwerksplanung: Holzbau: Invias AG, Maienfeld (CH); Rohbau: CDS Bauingenieure AG, Heerbrugg (CH)
Örtliche Bauaufsicht: Gantenbein + Partner AG, Balgach
Planung: 12/2021–04/2023
Ausführung: 05/2023–06/2024
Grundstück: 1383 m²
Geschoßfläche: brutto 2068 m², netto 1559 m²
Energiekennwert: 10–15 kWh/m2a HWB
Fachplanung: Haustechnik & Elektroplanung: 3-Plan Haustechnik AG, Winterthur; Bauphysik: Lenum AG, Vaduz