Eine Architektur des Lesens
Im fließenden Übergang bilden die einzelnen Stadthäuser der Neustadt Feldkirch ein anschauliches Ensemble. Nicht nur der Erhalt ist essenziell für das Stadtbild, vielmehr sind Weiterentwicklung und Belebung die größte Wertschöpfung für den Ort. Beispielhaft haben Eigentümer(innen), Architekt(inn)en und Nutzer(innen) das gemeinsam am „rosa Häuschen“ in der Neustadt auf den Punkt gebracht.
Text Marcella Zauner · Fotos Cornelia Hefel


Die Fassade setzt sich ab von den direkten Nachbarn und gewinnt durch farbliche Akzente Aufmerksamkeit. Verstärkt durch eine Gebäudeaufschrift vermag diese durch ihre Eleganz bereits von Weitem Besucher und Besucherinnen anzuziehen. Messing wird hier zum verbindenden Material von Typografie, Fassadendetails und konstruktiven Elementen im Inneren des Gebäudes. Das dem Wort und der Gestaltung in der Erdgeschoßzone besonderen Stellenwert eingeräumt wird, kommt nicht von ungefähr. Auf der Ebene des Stadtparterre befindet sich eine Buchhandlung. Der Buchladen präsentiert sich in neuem Gewand und unter der neuen Leitung von Judith Berchtel. Für Feldkirch ist das Unternehmen kein unbekanntes. Unter der früheren Federführung von Herbert Pröll und einen Steinwurf entfernt vom jetzigen Standort ist die Buchhandlung seit Jahrzehnten ein wichtiger Baustein der bildungsorientierten Angebotsstruktur der Feldkircher Innenstadt. Es ist ein Glücksfall, dass ein etablierter Betrieb von einer Bekannten weitergeführt wird.

Die neue Inhaberin Judith Berchtel erzählt voller Freude über die bestehende Zusammenarbeit mit dem früheren Chef und zugleich über die Neuausrichtung der Buchhandlung. Der Buchladen ist unkonventionell angelegt. Es gibt keine Themenbereiche, die auf den ersten Blick zu erkennen wären. Vielmehr wird im direkten Gespräch das passende Buch für jeden Käufer und jede Käuferin gefunden. Nicht nur das einzelne Buch ist sorgfältig kuratiert, sondern auch der Laden selbst präsentiert sich wie eine Ausstellung. Die Buchhandlung zeigt eindrucksvoll, wie sich die Nutzungsanforderungen, wie zum Beispiel der Bedarf an zahlreichen Bücher-regalen, mit den architektonischen Gegebenheiten verbinden lassen. Die Innenraumgestaltung wird dabei selbst zum erzählerischen Element: Sie unterstützt die Nutzung, inszeniert den Raum und steigert spürbar sowohl die Aufenthaltsqualität als auch das Inter-esse der Besucher(innen) an der Architektur selbst.


„Historische Stadthäuser zu sanieren, bedeutet ein feinfühliges Gleichgewicht zwischen Bewahren und Erneuern zu finden. Damit unsere Stadtkerne lebendig, wertvoll und voller Identität bleiben.“
Bernhard Wüst
Architekt
Ein besonders präsentes Gestaltungselement in der Buchhandlung ist die Untersicht der neuen internen Erschließung. Was in der Buchhandlung eher als Skulptur gelesen wird, erschließt, ausgehend vom Innenhof, die privaten Wohnräume in den oberen Geschoßen. Im ersten Obergeschoß befindet sich eine kleine Stadtwohnung, die sich beinahe über den gesamten Fußabdruck des Gebäudes erstreckt und somit nach Osten und Westen orientiert ist. Im Wechsel von allgemeinem zu privatem Stiegenhaus, öffnet sich eine weitere Wohnung, welche das zweite und dritte Obergeschoß bespielt. Der Charakter der Wohnräume ist geprägt von historischer Bausubstanz. Geschickt kombiniert mit subtiler und zeitgemäßer Technik und Einrichtung. Der gestalterische Spielraum, den das Architekturbüro schallert.wüst bei diesem Projekt hatte, wurde eingeschränkt von baurechtlichen Normen und denkmalpflegerischen Notwendigkeiten. Demgegenüber stand eine Bauherrschaft, die in die Planungskompetenz der Architekten vertraute und die Geschichte, die ein Bestandsgebäude mit sich bringt, zu lesen und weiterzuerzählen vermochte. Im gelungenen Dialog zwischen den zuständigen Behörden, Architekten und Bauherrschaft wurden maßgeschneiderte Lösungen für das Objekt entwickelt.

Am eindrücklichsten ist wohl der Erhalt des Fachwerks in den oberen Geschoßen. Wie ein offenes Geschichtsbuch lassen sich daran Informationen zu Alter, Bauweise, handwerklicher Ausführung und den formalen Prinzipien der damaligen Zeit ablesen. Die Sichtbarmachung der bestehenden Konstruktion findet sich teilweise auch bei den Geschoßdecken wieder. Dort, wo es möglich war, wurden diese verstärkt und somit erhalten. Andere Decken wurden zugunsten von Raumhöhen entfernt und in Massivholz neu eingezogen. Die neuen Bäder wurden zentral in den Grundriss integriert. Für ein angenehmes Raumklima in den Nasszellen sorgt eine kontrollierte Be- und Entlüftung. Elegant verpackt in einer Art zweitem Kaminrohr, findet die Technik ihren Weg über das Dach nach außen. Das eigentliche Kaminrohr verläuft direkt daneben und wird für einen Schwedenofen benötigt, der für zusätzliche Behaglichkeit im Dachgeschoß sorgt.

Öffnungen in der Fassade wurden großteils originalgetreu auf heutige Standards übersetzt. Im Erdgeschoß wurde bewusst vom Bestand abgerückt, um eine nutzungsgerechte und einladende Sockelzone zu schaffen. Die zwei Wohneinheiten wurden außerdem um kleine, städtische Balkone, die in den Innenhof ragen, ergänzt. Und im Dachgeschoß entstand anstelle einer Gaube eine eingeschnittene Dachterrasse, die den Gast in unmittelbare Beziehung zum Montforthaus und dem Stadtschrofen in Feldkirch setzt. Inmitten der Stadt, eine sorgfältige Auseinandersetzung mit Bestand und Bedürfnissen.


Eine Baukulturgeschichte von VAI.
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg.
Es bietet Ausstellungen, Veranstaltungen und Führungen zu diversen Bauten. Mehr Infos auf www.v-a-i.at
Altstadthaus Feldkirch, Neustadt 24
Bauherr: privat
Architektur: Schallert Wüst Architekten ZT, Feldkirch; aixarchitectstruog ag, Bendern FL
Statik: Martin Fetz, Hohenems
Bauphysik: Bau-Dämm-Technik, Frastanz
Planung: Sommer 2022–Sommer 2024
Ausführung: Herbst 2023–Herbst 2024
Grundstück: 263 m²
Nutzfläche: 194 m²
Energiekennwert: 76 kWh/m² im Jahr
Ausführung: Baumeisterarbeiten: Müller Bau; Decken-sanierung, Dachstuhl: Lot Holzbau; Dachdecker, Spenglerarbeiten: Entner Dach; Fenster, Haustüren: Tischlerei Bischof; Innentüren, Möbel: Feuerstein; Küchen: Stuchly; Verputz, Malerarbeiten: Hosp; u. a.
