An der Begegnungszone
Auch in Wolfurt ist der Bedarf an Betreuung für Kinder unter drei Jahren gewachsen. Der Kindergarten KIVI im Ortsteil Strohdorf sollte um eine Zweigstelle für die Jüngsten erweitert werden. Nach Möglichkeit mit vorhandenen Raumressourcen der Gemeinde. Durch den Neubau der Musikschule am Hofsteig stand ein Haus leer, das hätte adaptiert werden sollen. Architektin Simone Burtscher hatte eine noch bessere Idee.
Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Cornelia Hefel
Das leere Haus hinter der Mittelschule war ursprünglich als Feuerwehrhaus gebaut und später für die Musikschule aufgestockt worden. Als die Feuerwehr 2008 an einen autobahnnäheren Standort verlegt wurde, nahm die Musikschule mehr und mehr Räume in Besitz, bis sie an die Grenzen des Machbaren stieß und ein Neubau geplant wurde. Der Gemeinderat von Wolfurt hat auf diese und weitere absehbare Standortverschiebungen und Bedarfsveränderungen besonnen reagiert. 2012 beauftragte er einen Masterplan zur Entwicklung des Zentrums von Strohdorf, das auf halbem Weg durch das lang gestreckte Straßendorf Wolfurt liegt, zum Campus Strohdorf.
Mitten durch diesen Campus führt die Landesstraße 3, die von etwa 11.000 Autos und Lastwagen pro Tag befahren wird und seit 2014 als Begegnungszone gestaltet ist. Das Konzept für diesen Umbau der L3 stammt schon aus dem Jahr 2007, als neue Anbindungen an die Autobahn die Gemeinde von Durchgangsverkehr entlasteten. Durch die Begegnungszone werden die Schul-, Sport- und Veranstaltungsgebäude auf der Westseite der L3 gut mit dem Rathaus, dem Kindergarten, der neuen Musikschule und der alten Durchgangsstraße im Osten verbunden. Eine Regulierung durch Schutzwege hätte nur eine gefährliche Scheinsicherheit vermittelt: Besser geht es selbst an stark befahrenen Straßen, wenn alle Verkehrsteilnehmer auf einander achten müssen, das belegen auch Unfallstatistiken.
Die für das Kinderhaus vorgesehene alte Feuerwehr am südwestlichen Ende des Campus ist dennoch ziemlich weit entfernt vom Kindergarten am nordöstlichen Ende. Und eigentlich ist sie für Kleinkinder zu groß, die Räume zu hoch, findet Simone Burtscher bei der Besichtigung und schlägt eine andere Nutzung vor. Im alten Hauptschulgebäude direkt neben der Straße war indessen ein Saal frei geworden, in dem die Bücherei gewesen war. Genug Quadratmeter für zwei Kindergruppen, aber gar nicht gut zu teilen, und auch hier ein Detail, das der Architektin gleich auffällt: die Fensterbrüstungen sind so hoch, dass kleine Kinder nicht hinausschauen können.
Im Kultur- und Sitzungssaal, der sich auch im alten Hauptschulgebäude befindet, reichen die Fenster tief hinunter, man blickt auf die Bäume vor dem Cubus Wolfurt. Hier fanden die Gemeinderatssitzungen statt, hier hat halb Wolfurt geheiratet, sagt die Vizebürgermeisterin Angelika Moosbrugger. Das wäre ein guter Raum für die Kleinkinderbetreuung, sagte die Architektin. Der Grundriss des Saals ist ein angeschnittenes Parallelogramm, er ist teilbar und hat zwei Podeste. Eine aufwendig gestaltete Decke und Nebenräume wie Küche und Stuhllager unterstreichen seine Bedeutung. Fast jeder erwachsene Mensch in Wolfurt verbindet persönliche Erinnerungen mit diesem Saal.
Und doch wird im Sinn der Kinder entschieden. Nach kurzer Planungszeit wird in nur zwei Monaten das ganze Erdgeschoß des alten Hauptschulgebäudes umstrukturiert. Es geschieht kostenbewusst, pragmatisch und mit Freude an unkonventionellen Lösungen. Dem neuen, rechteckigen Sitzungsaal fehlen die Nebenräume – ein feiner Filzvorhang an der langen Wand verbirgt Stuhlstapel und Küchenzeile. Gleichzeitig verbessert er die Raumakustik. „Eigentlich ist dieser Saal viel besser für unsere Zwecke geeignet als der alte, nur wissen wir das erst jetzt“, bekräftigen Angelika Moosbrugger und Jutta Nenning vom Immobilienmanagement der Gemeinde.
„Diese gut durchdachten Um- und Zwischennutzungen von Räumen und Gebäuden kommen bei Kindern und Pädagoginnen sehr gut an. Sie zeigen, dass nicht nur Neubauten unsere Bedürfnisse decken.“
Angelika Moosbrugger, Vizebürgermeisterin
Schon im Eingangsbereich der Schule trennt eine Wand den Krippenbereich ganz ab. Dass sie neu ist, fällt nicht auf und soll es auch nicht, sie ist aus Eiche wie die Türen im Bestand. Hinter der Wand beginnt das Reich der Kinder mit einer Garderobe, vier Esstischen und einem Rückzugsplatz mit Blick zur Straße. Für die Durchreiche aus der Küche wurde kurzerhand eine Tür aus dem Bestand halbiert und wieder angesetzt. Die vorhandenen Sanitärräume sind neu definiert und das vordere Saalpodest wurde zum Wickelraum umgebaut. Zwei Stufen tiefer liegt ein neu gebildeter Vorraum, von dem aus man in jeden der beiden Gruppenräume gelangt. Zwischen den Gruppenräumen verläuft eine Wand mit großen verglasten Durchblicken, die mit Rollos geschlossen werden können. Die Deckenleuchten sind geblieben, die Deckengestaltung auch, aber weiß gestrichen. Ein Haus im Haus, liebevoll von der Architektin beigesteuert, lässt erst wieder die Dimensionen spürbar werden.
Wie schon das Haupthaus des Kindergartens, ein adaptiertes Einfamilienhaus, ist auch die neue Außenstelle im ehemaligen Kultursaal ein Provisorium. Das innerlich verjüngte Hauptschulgebäude, 1980 nach Plänen von Much Untertrifaller (senior) errichtet, ist inzwischen Teil der später errichteten, angrenzenden Mittelschule und soll im Zug der Campusentwicklung einem Neubau weichen. Bis dahin kann ruhig noch viel Zeit vergehen, denn die neu geschaffenen Räume haben eine sehr gute, unaufgeregte Qualität.
Daten & Fakten
Objekt Haus Hartmann, Raggal
Eigentümer Familie Hartmann
Architektur Roland Stemmer, Götzis, www.stemmerarchitekten.at
Statik Erich Huster, Bregenz, www.hagen-huster.at
Fachplanung Bauphysik: Spektrum, Dornbirn
Planung 9/2015–2/2018
Ausführung 9/2016–2/2018
Grundstück 708 m²
Nutzfläche 159 m² (zzgl. Keller: 24 m²)
Bauweise Massivbauweise: Erdberührende Bauteile und Decken aus Beton, Rest Ziegelmauerwerk; Fassade: naturbelassene Lärchenschindeln; Dach in Blecheindeckung: Holz-Aluminium-Fenster; Heizung: Erdsondenheizung und Holzofen
Ausführung DBaumeister BWA Bau, Schlins; Erdarbeiten: Oliver Zech, Marul; Elektro: Dietmar Andres, Feldkirch; Heizung/Sanitär: Martin Küng, Thüringen; Fenster und Sonnenschutz: Zech, Götzis; Spengler: Mathias Küng, Ludesch; Fassade Gilbert, Fontanella; Tischler Reinhard Sparr, Thüringen; Schlosser: Gruber, Raggal; Stiege: Müller, Sonntag; Ofen: Die Ofenbauer, Rankweil
Energiekennzahl 45 kWh/m² im Jahr