Das rote Haus
Man sieht sie immer mehr: Häuser, die aussehen, wie Kinder sie malen –
von einem spitzen Dach beschirmt ein Bau mit Fenstern und Türe, dazu meist der dampfende Kamin:
einfach, elementar. Lässt sich das toppen?
Autor: Florian Aicher | Fotos: Nicolas Felder
Unterwegs im Allgäu; da springt etwas in den Augenwinkel, man bremst, stößt zurück. Ein Haus: zeitlos, traumhaft – und: rot! Hendrix‘ „red house over yonder“ erklingt, das innere Auge sieht Bräckles „Rotes Haus“ und manchen Feldstadel. Dieses Haus ist kein Gegenstand – es schafft Bezüge. Ein kleines Haus, 8 mal 10 Meter, Wände Stulpschalung aus Holz, Dach Trapezblech, unterschiedslos in Ochsenblut getaucht. Frei angeordnet die quadratischen Fenster unterschiedlicher Größe bis zum Atelierfenster mit Kreuzsprossen. Keine Seite gleicht der anderen, was einfach schien, ist keinesfalls regelmäßig, was regelhaftanonym wirkte, ist eigensinnig. Der Grundriss verjüngt sich zum Eingangsgiebel, das Haus hat ein Gesicht und schrägen Haarschopf.
„Wer sich mit traditionellem Bauen auf dem Land beschäftigt“, so der Architekt Alexander Nägele, „weiß, da geht’s selten gradlinig zu. Es gibt Abweichung von der Symmetrie, unregelmäßige Volumen, Wechsel bei Baustoff und Farbe: Brüche. Das prägt sich ein. Überraschendes bleibt hängen, belebt das kollektive Gedächtnis. Das interessiert mich, damit spielen wir gerne, das verschafft Freiheit. Ein Mix an Bildern, der noch interessanter wird, wenn persönliche Geschichten dazukommen – etwa Sympathien und Antipathien der Bauherrn. Möglich wird, was zuvor undenkbar schien.“ „Das ging uns mit der Farbe so“, schließt der Bauherr an, „damit hat man ja sonst wenig zu tun; am Anfang hat man fast Angst. Dann erwärmt man sich zaghaft dafür und sagt sich schließlich: Ja doch, nun aber ganz, das ganze Volumen.“ Die Bauherrin ist hier aufgewachsen, mit enger Beziehung und mit hoher Wertschätzung fürs Dorf, doch das alte Haus für eine junge Familie umzubauen, wurde verworfen. Da war der Platz des Stalls, der kurz zuvor abgetragen wurde. Bauplatz, Erschließung, Baurecht – Grund-
lagen für das neue Haus, 170 m², drei Stockwerke.
Das Erdgeschoß fürs Familienleben, das erste Geschoß für die drei Kinder mit je eigenem Zimmer, das Dachgeschoß für die Eltern. Kinder und Eltern haben separate Bäder, im Dach dazu eine Sauna, unten ein WC. Was sich dicht anhört, ist erstaunlich großzügig. Paradox: Trotz der vielen Zimmer, jedes mit gleich großem Fenster, hat man sich „leeren“ Raum geleistet: Das Wohnzimmer geht über zwei Geschoße, gut ausgeleuchtet dank hoch gelegenem Atelierfenster mit Sichtbezug zum angrenzenden Treppenraum. Offen geht Wohnen über zum zusammenhängenden Ess- und Kochbereich, der sich einerseits über einen Hof großzügig zum Elternhaus öffnet, andererseits die rückwärtigen Wiesen und den Freisitz hereinholt ins Wohnen. Präzise Beziehungen in alle drei Dimensionen und raffiniert verknüpfte Räume gewähren Großzügigkeit, die man dem kompakten Haus von außen nicht zutraut.
„Wer ein Haus baut, sollte sich auf einen Weg einlassen,
nicht alles vorher wissen. Vergiss die Bilder der Zeitschriften!“
Julia Staudinger
Bauherrin
Beim Entwerfen ist Zeit wichtig“, führt der Architekt aus. „Viel reden mit den Bauherrn über ihre Gewohnheiten und Wünsche, über Beziehungen der Räume, drinnen und draußen, Orientierung zum Umfeld und Himmelsrichtung. Wir reden über ‚Banales‘“. Die Hausherrin ergänzt: „Wer ein Haus baut, sollte sich auf einen Weg einlassen, nicht alles vorher wissen. Vergiss die Bilder der Zeitschriften! Zum Schluss war alles besser, als wir gedacht hatten. Gespräche, Skizzen, Modelle, das gibt Sicherheit. Und dann: loslassen und den Architekten machen lassen. Der kann was, was wir nicht können.“
Das zahlt sich aus, wörtlich. Der sparsame Umgang mit Raum, sparsame Konstruktion: Die massiven Brettsperrholzwände sind vorgefertigt und kommen ohne beschönigende Verkleidung aus. Im Erdgeschoß liegt die Fußbodenheizung in der Bodenplatte aus Beton, der nur beschichtet ist. Die rohe Anmutung wird kontrastiert durch feine Oberflächen: glatter, weißer Gipskarton, weiß lackierte Holzfenster mit tiefer Laibung, feine Einbaumöbel und intensive Farbigkeit bei Bädern und innenliegenden Räumen. Einfach, wohl bedacht – nur rund 1950 Euro pro Quadratmeter können sich sehen lassen. Zu Hause fühlt sich die Bauherrin, „fast wie im alten Bauernhaus mit seinem Wechsel von niedrigen Wohnräumen und hohem Heustadel. Weit, eng, hell, dunkel – ein ganz eigenes Flair. Ganz anders und doch verwandt. Eben ein Haus, rundum rot.“
Daten & Fakten
Objekt Rotes Haus, Illerbeuren (Allgäu)
Bauherren Julia und Michael Staudinger
Architektur SoHo Architektur, Memmingen (Allgäu) www.soho-architektur.de
Statik Martin Mader, Senden (D), www.ib.mader.de
Fachplanung Bauphysik: Herz&Lang, Weitnau (Allgäu)
Planung 1/2015–11/2015
Ausführung 11/2015–11/2016
Grundstücksgröße 16.026 m²
Nutzfläche 170 m²
Bauweise Massivholzmauer (24,5 cm) mit Holzweichfaser gedämmt; lasierte Boden-Deckelschalung aus Fichte; innen Ständerbau mit Brettstapeldecken; Sparrendach mit Aluwellplatten; Bodenplatte: geglätteter Beton mit eingelegter Fußbodenheizung; Dielenböden Weißtanne; Heizung: Wärmepumpe, zusätzlich Kachelofen; Außenfenster: Holz-Aluminium
Besonderheiten Ausführung mit großem Anteil Eigenarbeit, Massivholzmauer Rohbauqualität sichtbar eingebaut; Herstellung der luftdichten Ebene ohne sonst übliche Klebebänder
Ausführung Baumeister: Mösle, Leutkirch (Allgäu); Zimmerer: Sonntag, Legau (Allgäu); Fenster: Denz, Weitnau (Allgäu); Innenausbau: Wiest, Kardorf (Allgäu); Böden: pro Natur, Wiggensbach (Allgäu); Heizung/Lüftung: Grund, Kardorf (Allgäu); Elektro: Schober, Legau (Allgäu)
Energiekennwert 45 kWh/m² im Jahr
Baukosten 335.000 Euro