Mehrgenerationengrundstück
Zurück zu den Eltern, das klingt einfacher, als es ist.
So viel hat sich geändert im eigenen Erwachsenenleben.
Ein Partner ist gewonnen, Nähe und Privatheit wollen besonders sorgfältig
ausbalanciert werden. Im Garten der Eltern ein eigenes Haus bauen,
Jahrzehnte nachdem man ausgezogen ist, kann durchaus gelingen,
besonders wenn ein Architekt wie Bernd Riegger das neue Wohn- und
Lebensprogramm in geglückte Orts-, Raum- und Sichtbeziehungen übersetzt.
Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Darko Todorovic
Der ebene Bauplatz liegt in einem Einfamilienhausgebiet, der Ort endet hier am Alten Rhein und der Grenze zur Schweiz. Die meisten Häuser haben ein erhöhtes Sockelgeschoß und sind über einem quadratischen Grundriss aufgemauert. Eine Veranda ist an das Hochparterre angestückt, Gauben an das Dach, große Gärten dienten einmal der Selbstversorgung. Der Neubau bedient sich einer anderen Grundform und anderer Materialien. Er streckt sich entspannt unter einem langgezogenen Satteldach, scheint die Bodenberührung zu suchen. Was hier extra ist, wird nicht hinzugefügt, sondern entsteht durch Subtraktion und macht die Räume spannend: Drei Einschnitte an drei Seiten schaffen Terrassen und Sitzplätze in drei Himmelsrichtungen, an der vierten Seite durchbricht eine Gruppe von Fenstern die Dachschräge.
Es gibt weder Keller noch Souterrain und auch kein Dachgeschoß. Stattdessen blickt man im Wohn- und Esszimmer in den offenen, holzverkleideten Dachraum. Über allen anderen Räumen bilden verputzte Zwischendecken einen Spitzboden, an Stauraum fehlt es nicht. Die Materialübergänge betonen den Wechsel von hohen und weniger hohen Räumen, die Tageslichtquellen, mal im Dach, mal in der Fassade, bestimmen die Atmosphäre und auch die vielen Bücher, die offen zwischen Wohn- und Esszimmer stehen. Auch ohne Türen sind die Räume klar voneinander unterschieden.
„Es war ein intensiver Planungsprozess.
Das Ergebnis ist ein Maßanzug,
der die Vorstellungen der
Bauherrschaft übertroffen hat.“
Bernd Riegger
Architekt
Das Wohnzimmer ist mit zwölf Quadratmetern eigentlich sehr klein. Es lehnt sich an die nach Osten geschlossene Rückseite des Hauses an und ist nach Westen offen: Erst mit der ganzen Front zum Durchgang hin, der vom Eingang zu den weiter hinten liegenden privateren Räumen führt, dann zur großen Terrasse, die in den Baukörper eingeschnitten ist und an beiden Seiten durch holzbeplankte Wege unter Dach verbreitert wird, dann zum Garten. Der Blick wird immer weiter, all das gehört zum Wohnraum, während das Zimmer als solches um zwei Stufen abgesenkt ist und damit zum Gravitationszentrum des Hauses wird. Und um Sichtkontakt zum Elternhaus aufzunehmen, müsste man erst auf den Rasen hinaustreten.
Von der Straße aus klärt ein kleines Nebengebäude die Situation mit dem weiß verputzten Bestandsbau. Es führt seine Frontlinie weiter, lässt aber einen guten Weg zur seitlich platzierten Eingangstür frei. Mit dem Neubau, dessen Giebelseite etwas mehr Abstand zur Straße hält, bildet es einen diskreten Vorplatz, der vom Elternhaus aus nicht einsehbar ist – und umgekehrt genauso. Zu dritt machen die Gebäude den Garten zu einem geschützten, gemeinsamen Innenraum.
Der schwarz gebeizte Holzbau liegt wie eine breite Schwelle an der östlichen Grenze des Grundstücks. Die Fenster auf dieser Seite können von Hand mit Holzschiebeläden geschlossen werden, durch deren Lamellen immer noch Tageslicht kommt. Das Nachbargrundstück gehört einer Erbengemeinschaft und liegt brach, wer weiß, was kommen wird? „Noch sind sie sich nicht einig, aber irgendwann wird hier eine Wohnanlage stehen. Eine riesige“, übertreibt die Bauherrin lächelnd. „Davor fürchten wir uns allerdings nicht“. Denn darin liegt eine weitere Stärke des Hauses. Es vermittelt ganz unaufgeregt zwischen der konzeptionell angejahrten Einfamilienhaussiedlung und der gedanklich vorweggenommenen Wohnanlage. Es wird sie nicht „aus den Augen“ schaffen, im Gegenteil, man wird sie über das niedere schwarze Dach hinweg sehen können. Es versucht nicht, sie auszublenden. Es rechnet mit ihr. Die Morgensonne wird weiter das Schlafzimmerfenster erreichen und eine Lamellenskala an die Wand zeichnen. Die Terrasse am Eck ist luftig abgeschirmt. Das Elternhaus wirkt freundlich beschützt. Auf gute Nachbarschaft, allseits!
Daten & Fakten
Objekt Haus Z|F, Gaißau
Architektur Arch DI Bernd Riegger, Dornbirn www.berndriegger.com
Statik Beton: gbd zt, Dornbirn, www.gbd.at Holzbau: Kaspar Greber, Bezau, www.kaspargreber.at
Fachplanung Bauphysik: DI Günter Meusburger, Schwarzenberg; Bauleitung: Flatz & Jäger, Bezau
Planung 1/2017–4/2018
Ausführung 2/2018–10/2018
Grundstücksgröße 1608 m²
Wohnnutzfläche 114 m²
Bauweise Bodenplatte Stahlbeton; vorgefertigter Holzrahmenbau; Fassade: Boden-Deckelschalung Tanne, schwarz lasiert; Warmdach mit Faserzement-Doppeldeckung; Erdwärmeheizung über Fußböden; Böden, Decken: Weißtanne roh mit feinem Bandsägenschnitt; Fenster: Weißtanne
Besonderheiten In Bücherregal integrierter Kaminofen
Energiekennwert 49 kWh/m² im Jahr
Ausführung Generalunternehmer, Zimmerer: Kaspar Greber, Bezau; Baumeister: Haller, Sulzberg; Installationen: Siegfried Steurer, Andelsbuch; Elektro: Pro Strom, Lauterach; Fenster: Metzler, Hohenems; Dachdecker: Nagel, Höchst; Türen: Feuerstein, Bizau; Estrich: Ebner, Lustenau; Boden: Wäldar, Schwarzenberg; Tischler: Hase & Kramer, Dornbirn; Fliesen: S+Tile, Dornbirn; Metallregal: P-Metalldesign, Meiningen; Sonnenschutz: Blank, Lustenau; Schiebeläden: Figer, Bezau