Das Gasthaus am Fluss
Das Grundstück war schwierig, die Lage phänomenal. Seine lange Westflanke liegt direkt am Emsbach, die südliche Stirnseite am Schlossplatz. Der Bauherr träumte von einem Gasthaus, Architekt Benjamin Miatto entwarf es wie ein Bildhauer. Nun steht ein schmales, weißes Gebäude mit abstrakt eingeschnittenen Fensteröffnungen und verzogenem Satteldach am Platz. Es feiert seinen Ort und die Gastlichkeit.
Text Isabella Marboe · Fotos Karin Nussbaumer

Der Bauplatz im Zentrum von Hohenems hatte es in sich, denn seine westliche Grundgrenze bildet der Emsbach. 26 Meter gleitet die Parzelle dort am Ufer entlang, im Norden ist sie gerade 4,5 Meter breit, im Osten an der Mühlgasse rund 27 Meter lang, allerdings mit Knick. Früher war hier das alte Waschhaus des Ortes gestanden, dafür war die Lage perfekt. Baumeister und Architekt Heribert Amann wollte es renovieren, das Fundament aber war schon abgesunken, eine Sanierung machte keinen Sinn. Auch das Bundesdenkmalamt kam zu demselben Schluss. Nun steht ein sehr schmaler, schlichter Neubau von subtiler Eleganz an seiner Stelle.

Die Mühlgasse mündet direkt in den Schlossplatz, der sich vom Emsbach bis zum Palast Hohenems hinzieht. Heribert Amann fühlte sich dem Ort verpflichtet. „Ich wollte etwas errichten, das stadtwirksam ist und irgendwie öffentlichen Charakter hat.“ Er dachte an ein „gescheites Gasthaus, wo man unkompliziert hingehen kann.“ In der nahen Altstadt gibt es eine lebendige Lokalszene und viele Geschäfte, der Schlossplatz aber wird von vielen Straßen durchkreuzt und umkreist, das urbane Leben tut sich am größten innerstädtischen Platz von Hohenems sehr schwer. Die Münchner Landschaftsarchitekten lohrer.hochrein gestalteten ihn mit einem hellen, wassergebundenen Schotterbelag und einigen Bäumen sehr urban, beim Fluss treppen sich die sogenannten Emsbachstufen, auf denen man auch gut sitzen kann, zum Ufer hin ab. Sie flankieren die ganze Platzseite bis zum Steg, der gleichermaßen direkt vor dem Bug des Neubaus quert.


„Es war wichtig, dass die Möbel eine gewisse Patina haben. Je niederschwelliger die Einrichtung, umso zugänglicher für das Publikum. Dieses Gasthaus soll ein Ort für alle sein.“
Benjamin Miatto
Architekt

Fünfzehn Meter Höhe ließ der Bebauungsplan hier zu, der Bauherr und sein Architekt Benjamin Miatto waren sich einig, dass das neue Haus seiner Nachbarschaft gegenüber Zurückhaltung wahren sollte. Das gehört sich für jeden guten Gastgeber. Drei Geschoße genügten dem Gasthaus vollkommen. Miatto verfolgte einen bildhauerischen Ansatz. Er wollte einen Baukörper modellieren, der sich stimmig in sein komplexes Umfeld einpasst. „Ich habe eine rohe, solide Grundfigur entwickelt und als Referenz an den Altbau ein Satteldach drübergelegt“, sagt er. Mit seinen glatten, weißen Wänden und den feinen Schattenfugen bei den eingeschnittenen, rahmenlosen Fenstern wirkt das Haus fast wie ein Stein, den das Wasser geschliffen hat. Dimension und Position seiner Öffnungen wurden von innen nach außen entwickelt. Sie entsprechen dem, was in den Räumen dahinter geschieht.

Das Erdgeschoß ist ausschließlich Gastraum und Bar: Es öffnet sich großflächig zu Platz und Fluss. Messerscharf markiert eine abgeschliffene Mauerkante das Gebäudeeck an der Mühlgasse. Hier betritt man das Lokal und sieht gleich auf den Platz. Eine Hälfte der Verglasung ist Schiebetür, sodass man bei schönem Wetter gleich auf die Terrasse kann. Dahinter sorgen zwei Wandscheiben mit je einer durchgehenden Bank an sechs Tischen für etwas Rückhalt, hier kann man etwas geschützter sitzen. Die zwei Wände schaffen außerdem eine bessere Raumakustik und lassen das Fensterband mit dem fulminanten Blick auf den Fluss umso mehr zur Geltung kommen. Hier kann man über die gesamte Länge an den hohen Scheiben, die nun ihre Holzrahmen zeigen, sitzen und den Wellen hinterher sehen. Das funktioniert innen genauso wie von der Terrasse aus, die sich natürlich ums Eck zieht und mit den ersten Sonnenstrahlen sofort gestürmt wird.

Auch die Bar ist sehr beliebt, der Corpus mit der schwarzen, vertikalen Lattung macht sich gut, er passt zur schwarzen Decke. Hocker, Tische und Stühle sind aus Holz, viele schon gebraucht. Einige kommen aus Wien, andere aus dem Grazer Rathaus. „Es war wichtig, dass sie eine gewisse Patina haben“, sagt Miatto. „Je niederschwelliger die Einrichtung, umso zugänglicher für das Publikum. Dieses Gasthaus soll ein Ort für alle sein.“ Auch die Küche im ersten Stock mit dem Herd in der Mitte ist ein besonders schöner Raum. Sie hat vier Fenster, eines direkt über dem Schlossplatz. Hier können Neugierige das dortige Treiben erahnen. Am nördlichsten Spitz des Hauses schraubt sich eine Treppe um den gläsernen Lift in der Mitte: So ist auch das oberste Geschoß unterm Dach barrierefrei zu erreichen. In dem großzügigen, luftigen Raum unter dem schönen Holzdachstuhl erreicht die Gastlichkeit neue Dimensionen. An den Querbalken hängen sehr schlichte, doch merkbar hoheitsvolle Kronleuchter, auf dem beschichteten Estrich liegt ein Perserteppich und durch das große Fenster an der Stirnseite schwebt man gleichermaßen über den Schlossplatz. Was für ein Gefühl!
Eine Baukulturgeschichte von VAI.
Das vai ist die Plattform für Architektur und Baukultur in Vorarlberg. Es bietet eine Bibliothek, Aus-stellungen, Veranstaltungen und Vor-Ort-Termine in den Gemeinden: Mehr Infos auf www.v-a-i.at
Haus Emsbach, Hohenems
Bauherr: MG1 GmbH, Heribert Amann
Architektur: gmeiner & miatto Architekten, Hard, www.gmeiner-miatto.com
Statik: Robert Kofler Baustatik GmbH, Götzis
Bauleitung: Heribert Amann, Planungsbüro, Götzis
Planung: 09/2014–05/2022
Ausführung: 06/2022–04/2023
Grundstück: 183 m²; Nutzfläche: 276 m²
Energiekennwert: 42 kWh/m² im Jahr (HWB)
Kosten: ca. 1.550.000 Euro
Ausführung: Baumeister: Marcel Erhart, Satteins; Zimmerer: Christian Medik, Dornbirn; Spengler: Peter Lindsberger, Bregenz; Verputz: Ömer Karadamun, Feldkirch; Heizung/Lüftung: Bertram Hörburger, Altach; Elektroinstallationen: Michael Süss, Götzis Fenster: Peter Lampert, Göfis; Schlosser: Johannes Wolf, Hohenems; Steinmetz: Chris Lang, Röthis; Boden: Michael Latzer, Feldkirch