Die Kunst des Übergangs
Für die Liechtensteinische Berufsmaturitätsschule BMS wurde aufgrund des erhöhten Raumbedarfs ein Schulraumprovisorium gebaut. Sechs neue Klassenzimmer sowie Räume für die Verwaltung sind darin untergebracht. Studio SAAL schließen mit dem kompakten zweigeschoßigen Holzbau den Hof des Schulzentrums Giessen in der Vaduzer Innenstadt. Das Provisorium ist als vollständig rückbaubarer Holzelementbau errichtet worden und macht die Wartezeit bis zum Neubau mehr als erträglich.
Text: Kerstin Forster | Fotos: Stefan Hauer
Eine Berufsmaturitätsschule ermöglicht Erwachsenen, die bereits eine Berufsausbildung absolviert haben, die Zulassung zur Universität. Die Lehrgänge werden berufsbegleitend oder in Vollzeit, untertags oder als Abendschule angeboten – der Erfolg der Schulform und die Vielzahl an Kursen sorgen für den erhöhten Raumbedarf der BMS. Die Schulraumstrategie des Landes Liechtenstein sieht zwar den Neubau eines großen Schulzentrums in Ruggell vor, in dem auch die BMS ihren neuen Standort finden wird, seine Fertigstellung ist aber frühestens Ende 2027 zu erwarten. Ein Teil der BMS ist derzeit im Schulhaus Giessen im Zentrum von Vaduz untergebracht, spätestens seit 2016 wurde konkret über die Schaffung eines Schulraumprovisoriums diskutiert, geplant war seine Umsetzung als Containerschule. Zu diesem Zeitpunkt war aber die landesweite Schulraumstrategie noch nicht abgeschlossen, Zahlen und Fakten hinsichtlich des Bedarfs und Schülerzahlen konkretisierten sich noch auf 2018.
Die Dringlichkeit des Raumbedarfs und der noch lange Zeitraum, bis das Schulzentrum in Ruggell fertiggestellt sein würde, erforderten neue Berechnungen seitens der Behörden und der Planenden. Das Architekturbüro Studio SAAL, das neben seinem Standort in Feldkirch auch ein Büro in Vaduz betreibt, bewarb sich beim Amt für Liegenschaften und Immobilien dafür und erhielt den Direktauftrag. Dass Miete oder Kauf von Containern ab dem fünften Betriebsjahr teurer gewesen wären als die Errichtung eines Provisoriums aus Holz, erweist sich nun als Glücksfall für alle Nutzerinnen und Nutzer. Als Standort wurde die freie Fläche hinter dem dreiseitigen Schulhaus Giessen aus den 1950er-Jahren gewählt, das einen charmanten, baumbestandenen Innenhof umschließt. Das Schulraumprovisorium reagiert auf die Proportionen der Bestandsschule – es ist ebenso zweigeschoßig und mit einem einfachen Pultdach abgeschlossen. Sechs Klassenzimmer und einen Verwaltungstrakt beheimatet das neue kleine Schulhaus, das aus standardisierten Bauteilen errichtet wurde, „off the shelf“ nennen es Studio SAAL. Das senkte einerseits die Baukosten, andererseits bestimmten die Maße, beispielsweise der Balken oder die Fensterbreite, die Dimensionen des Baus. Nach Demontage des Provisoriums könnte es andernorts wieder aufgestellt oder seine Bauteile könnten wiederverwendet werden.
„Das Provisorium funktioniert:
Es zeigt, man kann auch einfacher bauen, als man vielfach baut.
Das interessiert uns auch als Büro sehr.“
Lukas Pankraz Mähr
Architekt
Man betritt das Gebäude von der Hofseite und befindet sich in einem kleinen Foyer mit einigen maßgefertigten Sitzbänken, der Tür zu den administrativen Räumen zur linken und der Treppe zur rechten Seite. Überall sichtbar ist die klare Konstruktion des Gebäudes. Die Holzbalken wurden mit Metallverbindern ausgestattet und durch ein Stecksystem mit den Wänden verbunden. Da die innenliegenden Massivholzelemente auch die statische Funktion übernehmen, sind großzügige Fenster zu beiden Längsseiten möglich. Die Holzfenster haben eine einheitliche Breite, durch das Pultdach aber zwei verschiedene Höhen. Je zwei schmale Holzbalken wurden zu einem tragenden Deckenbalken verbunden, dazwischen wurden die LED-Profilleuchten eingesetzt. Holzzementplatten wurden an die Decke geschraubt und verbessern die Akustik. Die tragenden Wände aus Brettschichtholz haben eine Oberfläche aus unbehandelter Fichte – nur zwischen den Klassenzimmern sind sie schallschutzgedämmt.
Die Treppe steigt wie das Pultdach in Richtung Innenhof und mit Blick zum hochliegenden Schloss an. Der Gang führt jetzt auf dieser Gebäudeseite zu den vier Räumen im oberen Stock. Die zwei, die sich näher bei der Treppe befinden, sind wieder mit zusätzlichen Bullaugen als Oberlicht belichtet, die zwei äußeren mit raumhohen Fenstern zur Ost- und Westseite.
Da es sich um ein Provisorium handelt, mussten einige Kompromisse gemacht werden, etwa hinsichtlich der Flurbreite, Raumgröße oder Materialisierung. Das Gebäude kommt mit wenigen, einfachen Materialien und fast ohne Haustechnik aus. Es ist an das Fernwärmenetz angeschlossen und hat keine Klimaanlage – man setzt stattdessen auf hohe, luftige Räume und automatisch gesteuerte, außenliegende Jalousien zur Beschattung. Wert gelegt haben die Planenden dort auf hochwertigere Details, wo die Nutzerinnen und Nutzer etwas in die Hand nehmen oder anfassen: Türklinken und Fensterriegel, die „Berührungspunkte“, wie sie Architekt Lukas Pankraz Mähr nennt. Gerade die einfache Ausstattung macht das Gebäude aber äußerst pflegeleicht, was uns auch der Hauswart bestätigt.
Objekt: MATADOR – Schulraumprovisorium, Vaduz, FL
Bauherr: Land Liechtenstein, Amt für Bau und Infrastruktur
Architektur: Studio SAAL Architekten, Vaduz, www.saal.studio
Statik: F+G, Vaduz; www.f-g.li
Fachplanung: Holzbau: MN, Balzers; Bauphysik: Lenum, Vaduz; Haustechnik: INSTAPLAN Anstalt, Balzers; u. a.
Planung: 09/2018 – 02/2020
Ausführung: 06/2019 – 02/2020
Nutzfläche: 678 m²
Bauweise: Holzmassivbauweise mit hohem Vorfertigungsgrad; Standard-Bauteile als Parameter für Konstruktionsmaße; Wellblechfassade; Innenwände: unbehandeltes Holz; Holzfenster; Linoleumboden; Dämmung: unverklebte Mineral- und Holzwolle; Fußbodenheizung, kein Lüftungs-/Kühlsystem
Besonderheiten: Das Schulraumprovisorium kann komplett in Einzelteile zerlegt und woanders wieder aufgebaut oder seine Materialien wiederverwendet werden (Re-Use).
Ausführung: Baumeister: ARGE Gassner/Kindle, Vaduz; Zimmerer: Schurte, Triesen; Elektro: Blitz, Nendeln
Energiekennwert: 43,1 kWh/m² im Jahr (HWB)
Baukosten: CHF 1,8 Mio.