Von der Goldburg im niederösterreichischen Murstetten blieb nur der Schlosspark. Der geschichtsreiche, romantische Garten gehört der Familie des Bauherrn. Dieser betreut deren dortige Forstwirtschaft und brauchte einen Schlafplatz. Das Budget war überschaubar, der aus Bregenz stammende Architekt Juri Troy plante ein kluges, kleines Haus aus Holz und Stroh, das Angelo Ferrara vom CaravanAtelier fast allein aufbaute.  Nun steht ein vorwitziger Strohfloh mit Schrägdach und vergrauter Fassade lässig in der Wiese.

Text: Isabella Marboe | Fotos: Isabella Marboe

Der Bauplatz ist magisch. Hinter einer efeuumrankten Mauer liegt der einstige Schlosspark von Murstetten wie ein geheimer Garten. In diesem 300-Seelen-Dorf stand die Goldburg, eines der schönsten Schlösser Niederösterreichs, bis sie 1809 von Napoleon I. zerstört wurde. Seit Jahrhunderten besitzt die Familie des Bauherrn diesen Park mitten im Ort, über dem auf einer Anhöhe die barocke Pfarrkirche wacht. Der Bauherr lebt in Wien, seit 2017 verwaltet er den elterlichen Forst in Murstetten. Für jeden Termin musste er eine Stunde mit dem Auto hin und retour fahren, seine Frau und er wollten dort übernachten können. Kurz überlegten sie, das desolate alte Haus an der Gartenmauer herzurichten. Das roch auf Kilometer nach Fass ohne Boden, sie dachten an Container, Wohnmobile – und schrieben schließlich einige Architekten an. Juri Troy war der Einzige, der antwortete.

Mehr als 40 m2 Wohnfläche mussten es nicht sein, das Budget war extrem knapp. „Das war nur mit einer radikalen Lösung machbar. Man musste die Materialkosten minimieren“, so Troy. Er dachte an Holz und Stroh, der Bauherr war sofort dabei. Mur-stetten liegt inmitten weiter Felder, der Bauherr hatte Wald und Troy mit dem CaravanAtelier von Angelo Ferrara einen vertrauenswürdigen Experten in der hohen Kunst des Strohbaus an der Hand. Ferrara war lange sein Mitarbeiter, er weiß, wie Holzverschnitt reduziert, Einzelgewerke ausschreibt und Baustellen führt. „Solange wir Pizza und Brot essen, wird es Stroh geben“, sagt er. Stroh ist gleichermaßen der natürliche Abfall des Getreideanbaus. Zertifizierte Ballen sind 12 bis 18 Kilo schwer, trocken, gelb und getreidekörnerfrei sein. Zu Ziegeln von 36 x 50 x 85 cm in Holzrahmen gepresst, bilden sie Wände, Boden und Decke. Der Strohfloh ist super nachhaltig: Die Felder waren nur 1,5 km entfernt, das Holz 2 km weit weg, er wurde de facto händisch per Schraubenbohrer errichtet.

„Die Form ist tatsächlich die Antwort auf die Anforderung des minimalen Wohnens. Die Frage war: Wie kann ich ein Volumen so kompakt wie möglich unterbringen?“

Juri Troy
Architekt

Der Park ist ein Bodendenkmal, der Bauplatz wurde von Archäologen befundet. Juri Troy positionierte das Haus lose im Nahbereich der bestehenden Nebenbauten. „Es sollte wie temporär auf dem Grundstück sitzen.“ Der kleine Bau steht leichtfüßig auf 15 Schraubenfundamenten und berührt den Boden nur flüchtig. Mitsamt seiner Möbel wiegt er 30 bis 35 Tonnen, man könnte ihn auf einem Tieflader leicht woanders hin transportieren.

Wie ein Spatz steht dieses Haus mit seiner angegrauten Holzfassade in der Wiese. 11,8 Meter lang, 4,9 Meter breit, betritt man es auf seiner nördlichen Schmalseite. Ein Bootssteg, der auf einem Naturstein aufliegt, führt zum Eingang, der in die schräge Wand eingeschnitten ist, die bis zum First auf stolze sieben Meter ansteigt. Die braucht es auch. Hier, im hinteren Teil des Hauses, befindet sich nämlich die Schlafgalerie, bis zur Terrasse im Süden aber senkt sich das Dach wieder auf 2,20 Meter ab. „Die Form ist tatsächlich die Antwort auf die Anforderung des minimalen Wohnens. Die Frage war: Wie kann ich ein Volumen so kompakt wie möglich unterbringen?“, sagt Juri Troy. „Jede andere Form würde weniger auf die Funktion eingehen. Der Eingang, die Treppe und die Glasfront der Terrasse haben die Minimalhöhe.“

Davon ist innen nichts zu merken: Der hohe Luftraum zur Decke vermittelt sehr viel Großzügigkeit. Die Seitenwände sind zugleich Regale, Sie bringen den Raum zur Geltung, weil sie ihn von zu viel Mobiliar freihalten und sind zum Niederknien schön, Angelo Ferrara führte sie sehr sorgfältig aus. So sind die Einkerbungen an der Stiegenwange auf die Galerie die dezenten Griffleisten der integrierten Läden und Schränke. Die Fenster in der Regalwand bilden Nischen, Juri Troy hat sie so gesetzt, dass sie jeder Raumzone – Esstisch, Couch, Küche, Bad, Schlafnische – ihren eigenen Blick rahmen. Vom Essplatz sieht man den Kirchturm und auf die Sitznische gegenüber, wo man mit Blick in den Garten lümmeln kann. Die Glasfront im Süden zieht das Haus optisch zur Sonne und ins Freie, an der Terrasse zieht das Bächlein durch den Park vorbei. „Hier ist der absolute Rückzugsort“, sagt der Bauherr, von dem jeder Stress abfällt, sobald er hier die vielen Vögel singen hört und die Sterne am Himmel so hell leuchten, wie sie es nur am Land tun.

Objekt: Strohfloh, Ernstbrunn (Niederösterreich)

Architektur: Juri Troy ZT, Wien, www.juritroy.at

Planung: 10/2019–05/2020

Ausführung: 10/2020–04/2022

Grundstück: 4160 m²

Nutzfläche: 46,4 m²

Bauweise: Holzständerbau mit Strohballendämmung; Pultdach mit integrierter Photovoltaikanlage; Schraubfundamente; Infrarotheizung; Holzfenster

Ausführende: Zimmerer und Innenausbau: Caravan Atelier, Wien; Fenster: Janko, Hobol (Ungarn)

Fotonachweis: S. 6, Nr. 1, S. 7, Nr. 5: Isabella Marboe; alle übrigen: Juri Troy