Ein Raumschiff für kleine Forscher(innen)
Eigentlich hätte es nur eine Sanierung werden sollen. Jetzt hat die Volksschule in Haselstauden um 14,5 Millionen Euro einen Neubau erhalten, der pädagogisch alle Stücke spielt.
Das war eine kluge Entscheidung: Statt einer besser wärmegedämmten Gangschule wie im Vorgängerbau dürfen sich die Kinder jetzt über viel Licht, Luft und Bewegungsraum freuen, ein Revier für Teams mit offenen Lernzonen,
Projekträumen fürs Arbeiten in Kleingruppen und einem großzügigen Raumangebot für Förderung und Inklusion.
Autorin: Christian Kühn | Fotos: David Scheyer
Auch die Schule kann lernen: Im Schulraumprogramm des Dornbirner Plans für öffentliche Bauten und Anlagen aus dem Jahr 2009 war für die Volksschule in Haselstauden noch kein Neubau, sondern „nur“ eine Sanierung vorgesehen. „Eine zwölfklassige Schule lässt sich in den bestehenden Gebäuden gut unterbringen“, lautete damals die Erklärung. Im Zuge der Umsetzung des Plans, der schon 2009 mit einem Volumen von 100 Millionen Euro für die folgenden 20 Jahre angekündigt worden war, haben die Verantwortlichen aber noch dazugelernt. Auch wenn die Quadratmeter ausreichen, heißt das noch lange nicht, dass in jedem vorhandenen Schulhaus zeitgemäßer Unterricht stattfinden kann. Und so entschied man sich letztlich, von der alten Gangschule aus den 1960er-Jahren nur die Turnsäle zu erhalten und für die Schule selbst einen Neubau zu errichten.
Der Architekturwettbewerb dafür fand Ende 2015 statt. In der Ausschreibung war eine Schule beschrieben, die keine Addition von Klassenräumen mehr ist, sondern ein Lebensraum, in dem die traditionelle Vorstellung von Schule auf den Kopf gestellt, oder, besser gesagt, vom Kopf wieder auf die Füße gestellt wird. Denn die traditionelle Idee der Schule war ja, Kinder körperlich möglichst ruhig und geistig konzentriert an ihrem Pult im Klassenzimmer zu halten. Die neue Schule ist dagegen eine Schule, in der solche Phasen zwar vorkommen, aber nicht mehr die Regel sind: In der bewegten Schule finden die Kinder ihre Orte zum Lernen und bilden Gruppen, die gemeinsam an Aufgaben arbeiten. Die neue Schule ist ein Raum für Teams, ein je nach Bedarf teilbarer Großraum, in dem Kinder und ihre Lehrerinnen und Lehrer in unterschiedlichen Lernarrangements zusammenarbeiten.
„Wir haben das Volumen so in die bestehende Struktur eingebettet,
dass fast nur ein Obergeschoß in Erscheinung tritt.
Mit dem abgesenkten Vorplatz ergibt sich eine zusätzliche, vollwertige Ebene.“
Hemma Fasch und Jakob Fuchs
Architekt|innen
Es ist kein Zufall, dass die Einheiten von jeweils vier Klassen unterschiedlicher Schulstufen in der Wettbewerbsausschreibung für Haselstauden mit dem Begriff „Revier“ bezeichnet werden. Ein Revier ist ein Raum zum Herumstreifen und Jagen, und die gemeinsame Jagd nach Wissen und die Einübung ins Können ist eine schöne Metapher für das, was sich hier abspielt. Zu einem Revier gehören jeweils eine vorgeschaltete Garderobe, eine offene Lernzone, die als Marktplatz bezeichnet wird, und ein bis zwei Differenzierungsräume, in denen in Kleingruppen an Projekten gearbeitet wird. Dazu kommt ein Raum für die Lehrerinnen und Lehrer sowie Tribünenmobiliar für Präsentationen und eine zentrale Wasserstelle. Diese Kombination ermöglicht häufige Methodenwechsel, wie sie für erfolgreiches Lernen und Lehren erforderlich sind und eine kindgerechte Rhythmisierung des Schulalltags ermöglichen.
Zwischen den drei Revieren gibt es viel Platz für den Förder- und Integrationsbereich, da die Schule auch für die Inklusion von Kindern mit besonderen Bedürfnissen die bestmöglichen Bedingungen bieten soll. Dazu kommt ein Kreativbereich für textiles und technisches Werken, zu denen heute neue Medien und Informatik als Grundkompetenzen treten. Im Architekturwettbewerb gab es zwei herausragende Projekte. Die Architekten Feyferlik und Fritzer schlugen ein viergeschoßiges Gebäude am südlichen Rand des Grundstücks vor, in dem die Reviere in den drei Obergeschoßen gestapelt sind. Diese kompakte Anordnung hätte viel Platz für Freiflächen gelassen und einen repräsentativen Baukörper geschaffen, der in Dialog mit den Nachbarbauten aus dem 19. Jahrhundert getreten wäre, die hier mit der Kirche ein kleines Ortszentrum bilden. Das Siegerprojekt von Fasch und Fuchs bleibt dagegen zweigeschoßig und dockt wie ein sanft gelandetes Raumschiff an die bestehenden Turn- und Gymnastiksäle an. Spektakulär wird es erst aus der Nähe: Der öffentliche Vorplatz ist in zwei Niveaus geteilt, die mit Rampen und Treppen verbunden sind. Durch große Glasscheiben, die dem Geländeverlauf folgen, erkennt man hier eine Aula, deren Sitzstufen vom Eingangsniveau aus ins Untergeschoß führen, in einen multifunktionalen Raum, der abwechselnd als Mensa, als Vortrags- oder als Aktionsraum für den Kreativbereich genutzt werden kann. Mehr Licht und Durchblick kann man sich in einer Schule nicht wünschen. Diese Lösung braucht zwar mehr bebaute Fläche, kompensiert das allerdings durch viele Terrassen und ein raffiniertes Erschließungssystem, das alle Kinder ohne zusätzliche Fluchttreppen auf kurzem Weg ins Freie und von dort zum bestehenden Spielplatz leitet. Mit seinem Schulraumprogramm ist Dornbirn durch eine Reihe herausragender Realisierungen zu einer Mustergemeinde geworden, die im Schulbau auch international Aufmerksamkeit erregt. Die Schule in Haselstauden setzt diese Reihe eindrucksvoll fort.
Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at
Daten & Fakten
Objekt Volksschule Haselstauden
Bauherr Stadt Dornbirn
Architektur fasch&fuchs.architekten, Wien, www.faschundfuchs.com
Statik Werkraum Wien ZT, Wien, www.werkraum.com
Fachplanung Bauphysik: Bernhard Weithas, Lauterach; Elektro: Hiebeler-Mathis, Hörbranz; Brandschutz: IHW Huber, Weiler; Heizung, Lüftung, Sanitär: Müllner, Dornbirn; Geotechnik: 3p, Bregenz; Infrastruktur: M+G, Feldkirch; Bauökologie: Spektrum, Dornbirn
Planung 06/2017–06/2019
Ausführung 04/2018–02/2020
Grundstück 5894 m²
Nutzfläche 3549 m²
Bauweise Stahlbetonkonstruktion; begrüntes Flach- und Sheddach mit Photovoltaik; hinterlüftete Fassaden; Böden: Parkett und Kugelgarn; Innenwände mit Akustikverkleidung; Heizung und Kühlung mit Erdwärme
Ausführung Baumeister: Kostmann, St. Andrä; Zimmerer: i+R, Lauterach; Fassade: Dr‘ Holzbauer, Andelsbuch; Fenster: Manahl, Bludenz-Bings; Schlosser: Kalb und Klocker, Dornbirn; Tischler: Lenz Nenning, Dornbirn; Böden: Myinterior, Dornbirn; Heizung: Engel, Dornbirn; Lüftung: Kranz, Weiler; Garten: Brunner, Höchst
Energiekennwert 16 kWh/m² im Jahr (HWB)
Baukosten 14,5 Mill. Euro