Jedes Frühjahr und jeden Herbst war der Bauherr als Bub mit seiner Familie
und ihrem Vieh auf das Vorsäß am Oberen Geißkopf gezogen.
Später gab man die Landwirtschaft auf, behielt jedoch das Gebäude.
Als wesentlichen Bestandteil der Kulturlandschaft und der eigenen Geschichte
wollten die Bauherren es unbedingt erhalten. Sie vertrauten dem
jungen Architekten Julius Häusler die Planung des Ersatzneubaus an,
der hervorragend gelang. Wie früher ist das Haus nun wieder
ein Teil der Kulturlandschaft.

Text: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel

Steil und kurvenreich schlängelt sich die Straße von Schwarzenberg auf den Oberen Geißkopf. Mit jedem Höhenmeter wird die Luft frischer, die Bebauung schütterer, dafür dehnen sich Wiesen und Wälder umso weiter aus. Träge grasen Kühe am Hang, hin und wieder scharen sich Holzhäuser an verzweigten Straßen wie die Tiere einer Herde zusammen. Diese Siedlungsform ist typisch für das Vorsäß, eine mittlere Höhenlage zwischen Hochalpen und Tal. Sobald die Wiesen im Tal abgegrast waren, zogen die Bauern mit Familie und Vieh auf das Vorsäß. Dort weideten sie die Tiere bis zum Alpauftrieb im Sommer. Seit Generationen gibt es diese Drei-Stufen-Landwirtschaft im Bregenzerwald, die UNESCO nahm sie in die Liste des immateriellen Kulturerbes auf.

Als Bub war der Bauherr mit seiner Familie oft auf das Vorsäß am Oberen Geißkopf gezogen. Nachdem sein Vater die Landwirtschaft aufgelassen hatte, bewohnte
seine Tante das Gebäude und die Landwirtschaft wurde verpachtet. 13,30 Meter breit, 15,05 Meter lang steht das Haus auf einem Hang, der von Osten nach Westen abfällt. Dort geht das Vieh in den Stall, ein paar Stufen tiefer wird im Osten gewohnt. Dazwischen gab es einen unbeheizten Bereich – den Stadel – zur Lagerung von Brennholz und Futtermitteln. In friedlicher Eintracht lebten hier Tier und Mensch unter einem Satteldach. Die Tante schenkte das Haus den Bauherren, über die Jahre verschlechterte sich sein Zustand unauffällig, aber umso gravierender. „Wir dachten an eine sanfte Sanierung, doch es war nicht zu retten“, sagen die Bauherren. Sie entschieden sich für einen Ersatzneubau. „Die Kubatur blieb dieselbe, wir wollten es haben wie vorher.“ Innen aber sollte es zeitgemäßen Wohnkomfort bieten.

„Das jahrhundertealte Holz konnte man sehr gut wiederverwenden.
Dieses Haus in einer zeitgemäßen Handschrift wieder aufzubauen,
war eine gewaltige Reise.
Man lernt sehr viel über das Handwerk.“

Julius Häusler
Architekt

Sie beauftragten den jungen Architekten Julius Häusler, der sein Studium gerade erst beendet hatte, mit dem Ersatzneubau. „Es ist toll, wenn einem so ein Vertrauen geschenkt wird, jedes Projekt steht und fällt mit den Bauherren“, schwärmt Häusler. Der Stall war in den 1960er-Jahren erneuert worden, noch intakt und an einen Bauern verpachtet. Am Haus war nicht viel verändert worden. „Das jahrhundertealte Holz konnte man teils sehr gut wiederverwenden, es ist sehr wertig“, sagt Häusler. „1807“ stand auf einer seiner Holzbohlen, „Gott schütze die Herde“, auf einem anderen. Material, das so viel Zeit überdauert hat, verdient Wertschätzung. Die alten Strickwände wurden abgetragen, getrocknet, gesägt, aufbereitet, gebürstet und als Täfer innen wieder eingebaut. Die Außenwand ist mit Holzwolle, das neue Dach mit Zellulose gedämmt und traditionell mit Schindeln gedeckt. „Wir wollten möglichst ökologisch und nachhaltig bauen“, sagt der Bauherr. Der Fußboden wird mittels Wärmepumpe geheizt, der alte Holzofen funktioniert bestens.

„Dieses Haus in einer zeitgemäßen Handschrift wieder aufzubauen, war eine gewaltige Reise. Man lernt sehr viel über das Handwerk“, sagt Häusler. „Die Türen haben kein Furnier, sie sind aus Vollholz im Kamm zusammengeleimt. Das ist so wertig, dass man daraus in Zukunft sogar noch einen Tisch machen könnte.“ Die Fassade besteht aus einem überlappenden Fichtenschirm, über den Fenstern gibt es die typischen Hohlkehlen, die den Regen vor der Fassade abfließen lassen. Das Haus ist ganz aus Holz, es war in drei Tagen aufgebaut. Zimmermann Werner Flatz, der Schreiner Bene Zündel und ein paar weitere Handwerker aus dem Bregenzerwald arbeiteten daran, die Bauherren brachten ihnen große Wertschätzung entgegen.

Wie es sich gehört, betritt man das Haus im Schopf – einem Puffer zwischen drinnen und draußen, die neuen Fenster lassen sich nach innen hochklappen, dann hat man den Eindruck, im Freien zu sitzen. Von dort aus kann man den Aufenthaltsraum neben der Stiege oder die Wohnküche betreten. Sie erstreckt sich als großer Raum fast über die gesamte Hausbreite, durch die drei Fenster hat man einen großartigen Blick über die Landschaft, der Aufgang ins Obergeschoß ist mit einer kleinen Galerie über einem Treppenlauf großzügig gestaltet, dort gibt es vier Schlafzimmer und sehr komfortable Bäder. Das Schönste dran: Man kann sich in diesem Haus einmieten, wenn die Bauherren es nicht gerade selbst nutzen.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Unser Vorsäß, Oberer Geißkopf, Schwarzenberg
Bauherr Monika und Josef Oberhauser, www.unser-vorsaess.at
Architektur häusler bau und architektur, www.haeusler.work
Projektleitung Postai Jürgen
Statik Flatz Holzbau, Alberschwende, www.flatz-holzbau.at
Fachplanung Elektro: Schneider, Schwarzenberg
Planung 01/2018–04/2019
Ausführung 04/2019–12/2019
Wohnnutzfläche 198 m² (zzgl. Keller 47 m²)
Bauweise Wohntrakt: Holzständerbau mit Schindelfassade; Wirtschaftstrakt: Altbestand mit neuem Überlappungsschirm; Massivholzdecken; Kaltdach mit Holzschindeln; Dämmung: Holzwolle und Zellulose; Keller: Mauerwerk; Heizung: Holzofen und Fußbodenheizung mit Wärmepumpe; Innenwände: Altholz- und Fichtentäfer, Fenster: Vollholz-sprossenfenster; Vollholztüren
Ausführung Zimmerer: Flatz, Alberschwende; Fenster: Bene, Schwarzenberg; Türen und Möbel: Zündel, Schwarzenberg; Elek-tro: Schneider, Schwarzenberg; Wasser: Walter Fink, Schwarzach; Spengler: Peter, Schwarzenberg; Schindeln: Wälder Schindeler, Hirschau