Ein fünf- und ein sechsgeschoßiger Bauteil bilden an der Kreuzung zur stark
befahrenen Holzstraße im Zentrum von Lustenau den Auftakt zur neuen Wohnanlage am Pfarrweg. Das Atelier Ender setzte zwei verschiedene skulpturale, abgetreppte Baukörper auf das 5500 m2 große Areal. Ein Eltern-Kind-Zentrum, ein Tagescafé, ein Lokal und 53 Wohneinheiten – davon 24 betreut – gruppieren sich um das Herz der Anlage. Es ist der schön gestaltete, öffentliche Freiraum, in dem einander alle begegnen.

 

Text: Isabella Marboe | Fotos: Petra Rainer

Wie es sich gehört für ein Dorf, schlängelt sich der Pfarrweg vom Kirchplatz weg am Friedhof und der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul vorbei durch das Zentrum von Lustenau. Er quert den gemeinschaftlichen „Lust.Garten Permatop“ und wird dann zu einer Art Boulevard, der an der Kreuzung mit der stark befahrenen Holzstraße in einen üppig begrünten Platz mit Cortenstahlbrunnen und Fahrradständern einmündet. Dieser bildet das soziale Zentrum der Wohnanlage am Pfarrweg, von dem sich wie Adern weitere Wege in die Stadt verzweigen.

Die Marktgemeinde realisierte dieses kleine Quartier gemeinsam mit der Wohnbauselbsthilfe und dem Wohnbauträger i+R Wohnbau. Die Ambitionen waren groß, die Lage zentral, das Programm gemischt: Wohnen – auch betreut, Kinderbetreuung und Tageszentrum. 2017 schrieb man dafür einen geladenen, städtebaulichen Wettbewerb aus.  Das Atelier Ender wagte viel, setzte zwei sehr spezifische, abgestufte Baukörper mit klaren Hochpunkten auf das 5500 m2 große Areal und gewann.

„Es war ein sehr spannender Entwurf, der vor allem im Außenraum großes Potenzial hat“, sagt Bauamtsleiter Bernhard Kathrein. „Wohnen im Zentrum ist hier sehr attraktiv. Wir wollten keine gesichtslosen drei- oder viergeschoßigen Blöcke planen, sondern trotz hoher Dichte einen Ort mit Qualität und Charakter ausbilden“, sagt Architektin Ursula Ender. Zwei skulptural entwickelte Baukörper fassen den schön gestalteten, öffentlichen Freiraum ein. Ihre hohen Kopfteile bilden an der Kreuzung eine Art urbanes Portal. Es adelt das gegenüberliegende, kleine alte Pfarrhaus zum zentralen Bildmotiv. Umgekehrt bilden die hohen Bauteile ein selbstbewusstes Entrée für die neue Anlage.

„Wir wollten keine gesichtslosen drei- oder viergeschoßigen Blöcke planen,
sondern mit facettierten, großvolumigen Baukörpern einen Ort
von hoher Dichte mit architektonischer Qualität und
Charakter ausbilden.

Ursula Ender
Architektin

Wie die Segmente von Spielzeugklapperschlangen, die mit Gelenken verbunden sind, knicken sich die Teile des südöstlichen Baukörpers am Grundstück entlang. Er bildet zur Holzstraße hin lärmabweisende, gerade Lochfassadenflächen und zum Platz hin einladende Nischen aus. Die dortigen Balkonbrüstungen aus silber eloxiertem Aluminium sind ein plastisches Gestaltungselement. Sie erzeugen eine dynamische Form und schaffen den dahinterliegenden Balkonen genug Privatheit. An der Kreuzung ragt der Baukörper fünf Geschoße hoch, von dort treppt sich der lange Bauteil segmentweise um je ein Stockwerk bis drei Geschoße an seinem südlichen Ende ab. Insgesamt gibt es dort 29 Wohnungen und ein Geschäft, weit auskragende Vordächer, die üppig blühenden privaten Vorgärten und das angrenzende „Permatop.Grün“ schaffen einen harmonischen Übergang zur dörflichen Nachbarschaft.

„Natürlich sind diese großvolumigen Baukörper sehr speziell, aber genau ihre besonders facettierte Form und die dem Straßenverlauf angepassten Gebäudeknicke schaffen abwechslungsreiche Außenräume“, sagt Architektin Ursula Ender. Der zweite, nördliche Bauteil beginnt mit einem städtebaulichen Paukenschlag: einem sechsstöckigen Wohnturm mit insgesamt 24 geförderten Einheiten zum betreubaren Wohnen. Hinter einer tiefen Einschnürung scheint sich der anschließende zweigeschoßige Trakt zum Park hinabzuneigen. Mit gutem Grund: Hier ist der Eingang ins Eltern-Kind-Zentrum. Die zwei Gruppenräume und deren Ausweichraum sind zum Platz hin orientiert, der rückseitige Flur erweitert sich durch einen Lichthof und wird so von oben erhellt. Flammend gemaserte Wände aus Kernesche, freigeformte Sitzfenster, durch die man einander über zwei Räume hinweg winken kann, verspielte Garderoben und fröhliche Farben schaffen eine gute Atmosphäre für bis zu 24 Kinder. Nebenan befindet sich das Tagescafé Dilara im Sockel des Wohnturms. Seine Glasfronten öffnen sich zum Platz, wo Alt und Jung entspannt im Freien sitzen.

Es ist schon spät, als die Journalistin und die Architektin an einer Tür klingeln. Eine freundliche Dame öffnet, dürfe man die Wohnung sehen? Sie ist südorientiert, sehr hell, praktisch, barrierefrei, mit Glasfront auf die Terrasse. Letztere ist allerdings kleiner als die benachbarte, weil das Appartement am Eck liegt und der Baukörper sich verjüngt. Die Bewohnerin hat sich damit arrangiert, ihr bleibt genug Platz für Blumen und ihre Katze. Eine gute Freundin hat sie auch schon im Haus gefunden, sie fühlt sich wohl.

Objekt: Wohnquartier Am Pfarrweg, Lustenau

Bauherrschaften: Marktgemeinde Lustenau; Wohnbauselbsthilfe; i+R Wohnbau, Lauterach

Architektur: Atelier Ender | Architektur, www.atelierender.at

Statik: Gerd Nachbaur, St. Margrethen SG

Fachplanung: Freiraum: Gruber+Haumer, Bürs; Verkehr: Besch & Partner, Feldkirch; Entwässerung: Rudhardt Gasser, Pfefferkorn, Bregenz; Bauphysik: Thomas Schwarz, Frastanz; Heizung, Sanitär, Lüftung: Marte Diem, Bregenz; u. a.

Planung: 2017–2020 (Wettbewerb 2017)

Ausführung: 11/2018–07/2021

Grundstück: 4567 m² (beide Gebäudeteile)

Nutzflächen: 4412 m² (zzgl. Tiefgarage)

Bauweise: Beton, Ziegel; hinterlüftete Fassade; Dächer begrünt; Böden Kunststein/Parkett; Raumluft-Wärmerückgewinnung

Ausführung: Baumeister: i+R, Lauterach; Spengler: Heinzle, Koblach; Fenster: i+R, Lauterach, ATW, Dornbirn, Jobarid, Röthis; Fassade: Spiegel, Koblach; Maler: Werner Bösch, Höchst und Hannes Hagen, Lustenau; Tischler: Alfons Feuerstein, Nüziders; u. a.

Energiekennwerte: 26-31 kWh/m² im Jahr (HWB)