Eine Seltenheit
Langenegg gehört zu den Gemeinden des Bregenzerwaldes mit den meisten Sonnenstunden. Als wir uns im Februar auf dem Hauptplatz treffen, um gemeinsam ein aufgestocktes Ferienhaus am Rotenberg zu besuchen, zieht der Himmel gerade zu. Eine ganz eigene Stimmung entsteht. Nach einer Rechtskurve taucht oben am Hang aus der diesigen Luft das Haus auf.
Autorin: Claudia Rinne | Fotos: Darko Todorovic, Georg Bechter
An seiner neuen Schindelfassade zeichnet sich wie ein Schlagschatten ab, wo die Nässe hingekommen ist. War das früher ein Wirtschaftsgebäude? Schnell hinein. Die erste Überraschung erwartet uns, als wir die Haustür hinter uns schließen. Wir stehen immer noch im Freien, in einer Loggia. Rechts der Blick in den Nebel, links in die Stube mit einem Holzofen, der aus dem Ahrntal in Südtirol stammt und schon von den Vorgängern eingebaut wurde, wie uns der Hausherr erzählt. Hier ist alles so, wie es der Tourist erwarten darf: Holztäfer an den Wänden und der Decke, eine Eckbank, ein Jogltisch, Wärme – und es ist ein wenig anders: moderne Leuchten über den Tischen zeigen die Handschrift der Bewohner und ihres Architekten. Über der Küche ist der Raum offen nach oben, man sieht die Grenze zum Obergeschoß am Farbwechsel im Holz.
Erst 1968 haben Bregenzer das Haus mit einem durchdachten Grundriss, aber in der damals beliebten Geschmacksrichtung Strukturputz plus maschinengefräste Holzornamentik errichten lassen. Es war von Anfang an für Erholungsaufenthalte geplant. Vielleicht hat die kleinteilige Eigentumsstruktur am Rotenberg dazu beigetragen, indem sie den Erwerb eines geeigneten, kleinen Grundstücks begünstigte. Jedenfalls ist es eine Seltenheit. Die jetzigen Besitzer haben es mit der Widmung als Ferienhaus glücklich im Internet gefunden, und sie beobachten den Markt seitdem: Es ist kein weiteres Objekt von dieser Qualität angeboten worden.
„Durch Raum- und Funktionsordnungen entsteht ein großer Mehrwert.“
Georg Bechter
Architekt
Vor der Küche geht eine schmale Treppe nach oben. Sie führt um die Ecke und zur zweiten, großen Überraschung: einem hellen, offenen Raum mit natürlichem Licht von allen Seiten, strahlend selbst bei diesem Wetter. Durchlicht nennt das der Architekt. Durch ein Panoramafenster im Giebel kann man abends in weiter Ferne die Pistenraupen fahren sehen, und zwar von einem mit Filz ausgekleideten Alkoven aus, der genau so steht, dass man hinausschauen kann, ohne selbst auf dem Präsentierteller zu sitzen. Hier entspanne ich mich sofort, sagt die Hausherrin.
Auf der Rückseite und seitlich über dem Alkoven sind Schränke. Was sonst an den Wänden verteilt steht und den Raum beengt, hat Architekt Georg Bechter zu einem zentralen Einbaumöbel, das bis in den First reicht, zusammengefasst. Und es kann dann auch noch seine Flügel ausfalten – ihre Innenseiten leuchten im Blau des Alkovens – und den Raum präzise in zwei teilen. Im so entstandenen hinteren Raum ist eine weitere filzbespannte Nische, hier kann man durch ein Dachfenster in die Sterne schauen.
In den ersten Jahren haben die Bauherren sich einfach eingelebt und das Haus bewohnt, wie sie es gekauft hatten. Es war um einiges niedriger und offen bis in den First, wo ein Mittelsteg von der südseitigen Galerie zu einem nordseitigen Matratzenlager führte. Eigentlich gar nicht so schlecht, lachen sie, als sie die Fotos zeigen. Aber sie hatten immer schon an Umbau gedacht.
Als erstes fragten sie ihren Nachbarn, an wen in der Gegend sie sich da wenden könnten, ein Zimmerer sollte es sein. Der Zimmerer riet ihnen, den Architekten Georg Bechter hinzuzuziehen. Der Wert, den das Haus, auch emotional, durch die vom Architekten entwickelte neue Raumordnung gewonnen hat, bestätigt den Bauherren noch heute ihre Entscheidung, auf Experten aus der unmittelbaren Umgebung zu setzen.
Für das neue Obergeschoß wurde ein neuer Dachstuhl errichtet, die Lasten werden durch eine Stahlkonstruktion im Erdgeschoß aufgenommen. Um während der Bauarbeiten dabei sein zu können, hatte der Bauherr eine Webcam eingerichtet. Die Arbeiter waren dagegen. Er erklärte ihnen, dass er sich einfach nur am Fortschritt freuen wolle. Dass sie jederzeit die Kamera abschalten könnten, nur bitte auch immer mal wieder einschalten! Den Wunsch fanden sie plausibel und haben ihn dann sogar mit Vergnügen erfüllt. Die Sechziger-Jahre-Ästhetik ist einem völlig neuen Bild gewichen. Die Fassade nimmt Anleihen bei einer Zeit vor dem Baujahr des Hauses: Als die Bauherren entdeckten, dass in Langenegg selbst Holzschindeln gefertigt werden, gab es für sie keine Alternative mehr.
Daten & Fakten
Objekt Ferienhaus Rotenberg
Eigentümer privat
Architektur Georg Bechter Architektur+Design
Ingenieurbüro DI Erich Reiner
Zimmereibetrieb Bilgeri Zimmerei,Riefensberg
Planung 8/2015–12/2015
Ausführung 4–2016/7–2016
Grundstücksgröße 640 m²
Wohnnutzfläche 120 m²
Bauweise Aufstockung in Holzständerbauweise mit Schindelschirm in Weißtanne vom Rotenberg
Besonderheiten Bestehende Bausubstanz und neue räumliche Qualitäten treffen aufeinander und schaffen den besonderen Charakter des Hauses
Ausführung Schindelmacher Philipp Herburger, Langenegg; Wild Spenglerei, Hittisau; RauminForm, Raimund Fink, Langenegg; Ebner Raumausstatter, Doren; Elektro Österle GmbH, Doren; Christoph Bereuter Gmbh, Sibratsgäll
Energiekennwert 123,5 kWh/m² im Jahr HWB