Ein besonderes Projekt wurde im Großen Walsertal umgesetzt: die Erweiterung des Friedhofs St. Gerold, der den Ansprüchen der Gemeinde nicht mehr gerecht wurde. Diese einzigartige Ruhestätte aus Lehm, vom Lehmbauexperten Martin Rauch geplant und umgesetzt, geht auf das Jahr 1994 zurück und war die erste ihrer Art in Lehmbau. Folgerichtig wurde derselbe Experte mit der Neuplanung und Umsetzung im Jahre 2023 betraut. Die ursprüngliche Ruhestätte in St. Gerold war, so Martin Rauch, eine echte Pionierarbeit.

Text: Klaus Feldkirchner | Fotos: Nicolas Felder

Diese Pionierarbeit sind mittlerweile 18 weitere gefolgt. Was St. Gerold so einzigartig macht? Das ist zum einen ein gemeinsamer, 70 Meter langer Grabstein für eine ganze Gemeinde. Zum anderen ist es das beim Bau verwendete Material: Lehm aus der Umgebung. Einer der Initiatoren dieses Projekts war Pater Nathanael von der Propstei St. Gerold. Sein damaliger Ansatz: die Gleichheit aller. „Deshalb ist Lehm hier nicht mehr nur Baumaterial, sondern wird vielmehr zum Symbolmaterial“, erklärt Martin Rauch. An der Lehmwand sind geschmiedete Stahltafeln mit den Namen und Daten der Verstorbenen befestigt.Da der Friedhof zu klein zu werden drohte, wurde im Frühling 2023 mit seiner Erweiterung begonnen. In einem intensiven lanungsprozess, in den neben den Planer(inne)n und Architekt(inne)n auch Bürger(innen) von St. Gerold und Pater Martin sowie Pater Christoph von der Propstei involviert waren, wurde eine für alle tragfähige Lösung erarbeitet.

Die Methode, die das Team um Rauch anwendete, war das u.a. von ihm entwickelte „Claystorming“, aus den Begriffen „Clay“ (engl.: Ton) und „Brainstorming“.

„Was aber ist das Besondere an dieser Methode?“, wollen wir vom Lehmbauexperten wissen. Beim „Claystorming“ fertige er im Voraus ein Tonmodell für den Prozess, an dem alle Beteiligten mitarbeiten. Gemeinsam mit seiner Kollegin Anna Heringer hat Rauch, der u.a. an der ETH Zürich unterrichtete, diese Methode entwickelt. Sie rege dazu an, auf eine etwas andere Art an einen Entwurfsprozess heranzugehen und neue Wege der Kreativität und der räumlichen Konzeption auszutesten. So entstehe Zug um Zug ein dreidimensionales Modell, in dem man die Wirkungen und Beziehungen der einzelnen Elemente zueinander erarbeite. „Wir kamen also nicht mit fertigen Plänen, sondern mit einem Modell, das schnell angepasst wurde“, erklärt Rauch. Er bezeichnet das „Claystorming“ als Partizipationsprozess, bei dem die Involvierten auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

„In der liturgischen Tradition kehrt ein Körper zu dem Boden zurück, aus dem er erschaffen wurde. Auch die Materie einer Stampflehm-Grabmauer kehrt dorthin zurück, um Ruhe und Gleichgewicht zu schaffen.“

Martin Rauch,
Lehmbaupionier

Erweiterung ohne Überfüllung

Ein zentraler Aspekt für Rauch war eine Friedhofserweiterung, die den bebauten Raum nicht überfüllen sollte. In diesem Zuge entstanden zwei neue Lehmwände; das Kriegerdenkmal wurde ersetzt durch ein „Denkmal der Opfer der Gewalt“. Zusätzlich war eine passende Inschrift auf diesem Denkmal vorgesehen, die universellen Charakter haben sollte. Nach langem Recherchieren und vielen Gesprächen fiel die Wahl auf die Satzellipse „Jedem Menschen seine Würde.“ Die Wortfolge beinhalte alle Aspekte dieses heiklen Themas, so Martin Rauch. Und: „Das Denkmal ist allen Opfern jedweder Gewalt gewidmet“.

Grund für die Erweiterung war der Platzmangel am alten Friedhof. Neben der Versetzung der Denkmäler wurden zwei Urnenwände aus Lehm errichtet, durch die 40 Urnengräber und 12 Gräber für Erdbestattungen dazugewonnen wurden. Zusätzlich entstand ein Kindergrab, das zusätzlichen Platz für eine Erweiterung bietet. Die einzelnen Elemente bestehen – so wie die ursprünglichen Bauteile – aus erodiertem Material aus dem Walsertal und dem Walgau, also aus der Region. Im Zuge der Vergrößerung wurden außerdem alle Wege saniert, die im Laufe der Zeit unterschiedliche Niveaus aufgrund von Bodensenkungen durch die Gräber aufwiesen. „Insgesamt wurde der Friedhof auf den neuesten Stand gebracht“, erklärt Martin Rauch. Der parkähnliche Charakter des ursprünglichen Friedhofs blieb jedoch erhalten.

Ewige Ruhe und Gleichgewicht in der physischen Welt

Was 1994 mit diesem Pionierprojekt begann, fand zahlreiche Fortsetzungen in weiteren Friedhofsprojekten. In der liturgischen Tradition kehre ein Körper zu dem Boden zurück, aus dem er erschaffen wurde. Und auch die gesamte Materie einer Stampflehm-Grabmauer werde eines Tages in den Boden zurückkehren, um ewige Ruhe und ein Gleichgewicht in der physischen Welt zu schaffen, so Rauchs Credo. Für ihn stellen Lehm, Ton und Erde symbolisch eine Dreierbeziehung dar. Lehm stehe für die technische Umsetzung und das Handwerk. Ton sei das Symbol für Architektur, Schönheit und Gestaltung. Die Erde diene als Symbol für das ökologisch Gesunde. Und diese drei Aspekte müssten in einem ausgewogenem Verhältnis zueinander stehen. Diese Prinzipien sieht er in seinen Friedhofsprojekten, unter anderem in St. Gerold, Will, Batschuns, Hergiswil, Bremen und weiteren verwirklicht.

Daten & Fakten

Objekt: Friedhoferweiterung Propstei St. Gerold

Bauherrschaft: Pfarre St. Gerold, in enger Abstimmung mit der Propstei St. Gerold, www.propstei-stgerold.at

Architektur: Martin Rauch in partizipativem Austausch mit der Pfarre und der Propstei, www.lehmtonerde.at

Fachplanung: Gestalterische Planung: Lehm Ton Erde Baukunst, Schlins; Konstruktive; Planung: Thomas Groß, GROSS plan+bau, Thüringerberg

Bauleitung: Thomas Groß, GROSS plan+bau, Thüringerberg

Planung: 09/2022 – 06/2023

Ausführung: 07/2023 – 10/2023

Friedhofsfläche: rd. 600 m²

Bauweise: Fundament für Gehwege und Stampflehmbau in Stahlbeton-Bauweise; Pflasterung mit Kleinsteinen aus Granit im Segmentbogen verlegt; Stampflehmbauwände vor Ort; Stampflehmskulpturen vorgefertigt

Ausführung: Stampflehmwände und Lehmskulpturen: Lehm Ton Erde Baukunst, Schlins; Erdbau- und Baumeisterarbeiten: BSG, Thüringerberg; Pflasterer: Mallitsch,Bludenz; Gartenbau: Müller, Thüringen

Baukosten: 300.000 Euro