Exterritoriales Wohnzimmer
Die Burgruine Blumenegg wird durch einen
von Martin Mackowitz entworfenen neuen Kulturraum
zu einem lebendigen Ort der Begegnung, der Geschichte atmet.
Autorin: Edith Schlocker | Fotos: Hanno Mackowitz
Von dem Platz, an dem die Grafen von Werdenberg um die Mitte des 13. Jahrhunderts am Thüringerberg ihre Burg mit dem schönen Namen Blumenegg gebaut haben, geht noch heute Magie aus. Obwohl – oder vielleicht auch weil – der mächtige, ehemals von einer Ringmauer umgebene Festungsbau, der nicht nur immer wieder zerstört und in der Folge von wechselnden Besitzern wiederaufgebaut wurde, inzwischen längst zur zunehmend verfallenden, von der Natur mehr und mehr zurückeroberten Ruine geworden ist. Geschützt eingebettet in eine kleine Senke mit fabelhaftem Ausblick auf den Walgau und das Bergpanorama gegenüber. Erreichbar ausschließlich zu Fuß, was die Annäherung zu einem sehr bewussten, wenn auch nur mäßig schweißtreibenden Akt macht.
Die Idee, Blumenegg mit architektonischen Mitteln und für die Bedürfnisse von heute neu zu erfinden, war geboren. Angelegt sozusagen als exterritoriales Wohnzimmer für alle, das vieles zulässt. Nach ersten konzeptuellen Überlegungen von Nikolaus Skorpik und Martin Mackowitz wurde Letzterer schließlich mit der Planung eines Kulturraums beauftragt. Wobei es dem jungen Vorarlberger Architekten, der nicht nur den ma-ma-Werkraum für interaktive Baukunst betreibt, sondern auch an der Universität Liechtenstein „Architektur und Gesellschaft“ lehrt, wichtig war, das Projekt nicht als singuläres Gebäude, sondern als komplexes Areal zu begreifen.
Um die Burg bzw. deren Reste als identitätsstiftenden, Geschichte atmenden Ort auch für zukünftige Generationen zu erhalten, wurde 2007 der Verein Burgfreunde Blumenegg gegründet. Auf seine Initiative hin wurde das alte Gemäuer seit 2010 in mehreren Etappen mithilfe von Mitteln aus der Burgenaktion des Landes Vorarlberg und unter den Augen des Denkmalamtes stabilisiert. Doch eine schön konservierte „Leiche“ war dem Verein zu wenig. Sie wollten dem Ort neues Leben einhauchen, ihn kulturell wiederbeleben. Allerdings nicht als elitären Spielplatz, sondern als niederschwelliges Podium für Begegnungen der unterschiedlichsten Arten.
Die Begeisterung bei den örtlichen Kulturmachern für diese Idee war riesig, das Budget, wie bei Projekten dieser Art üblich, gering. Die 240.000 Euro, die im Wesentlichen über ein EU-Leader-Projekt aufgetrieben wurden, ließen keinen Spielraum für architektonische Finessen. Was allerdings ganz im Sinn von Mackowitz ist. Und so sind es pure, „arme“ Materialien, die hier zum Einsatz gekommen sind, „geadelt“ bisweilen durch handwerkliche Finessen, wenn etwa die Platte, auf der die abseits des Kulturraums errichtete WC-Anlage steht, durch Besenstriche im noch feuchten Beton eine raffinierte Struktur verpasst bekommen hat, mit dem erfreulichen Nebeneffekt, den Boden auf diese Weise rutschsicher zu machen. Die Wände sind aus grauen Kellerschalsteinen, die Türen aus schwarz mit Vinylharz beschichtetem Birkensperrholz, das Pultdach aus Brettsperrholzplatten und Fichte gebaut.
„Ich möchte, dass der Kulturraum Blumenegg
als Areal, nicht als Gebäude verstanden wird.“
Martin Mackowitz
Architekt
Über eine kleine Kuppe nähert man sich der Ruine, die den neuen, auf acht Punktfundamente aufgeständerten Kulturraum talwärts wie beschützend umrahmt. Der Baukörper besteht aus einem rund 80 Quadratmeter großen Raum und einer kleinen Küche, die durch ein Fenster nach außen zum Kiosk umfunktioniert werden kann. Die Kabel sind offen geführt, die LED-Beleuchtung ist in an die Decke montierte Schienen integriert. In einer Ecke des für 50 bis 80 Menschen ausgelegten zentralen Raums steht ein großer schwarzer Speicherofen, die Stühle sind grün und haben unübersehbar Patina.
Die tragende bzw. aussteifende Struktur des Kulturraums besteht aus vertikalen wie horizontalen Stahlträgern. Wände und Boden sind aus hellen Brettsperrholzplatten gebaut, die außen mit Aschefarbe schwarz lasiert sind. Das Pultdach ist von 2,70 auf 3,20 Meter ansteigend und mit Wellblech gedeckt. Richtung Tal wird der Baukörper durch eine raumhohe Verglasung weitgehend entmaterialisiert, sich öffnend zu einer stegartig schmalen holzbeplankten Terrasse. Komplett entkoppelt vom Baukörper ist dagegen die rund 50 m2 große Terrasse, die über dem Dach schwebt und der einzige größere ebene Platz im Gelände ist. Etwa um von hier aus zuzuschauen, was sich auf der kleinen Bühne tut, die wie ein alter Tanzboden in den moosigen Boden gesteckt ist.
Daten & Fakten
Objekt Kulturraum Blumenegg, Pavillon Thüringerberg
Eigentümer Verein Burgfreunde Blumenegg
Architektur Martin Mackowitz, Feldkirch, https://ma-ma.io/
Statik Christian Gantner, Bludenz
Bauleitung Herbert Reimann
Planung 9/2016–9/2017
Ausführung 11/2017–8/2018
Grundstücksgröße 5000 m²
Nutzfläche 85 m²
Bauweise Stahlkonstruktion auf Punktfundamenten; verschraubte Brettsperrholzplatten auf Sicht innen und außen; keine zusätzliche Dämmung; Wellblechdach und Terrasse Lärche; Holzspeicherofen; Strom- und Wasseranschluss
Besonderheiten Begehbares Dach als Aussichtspunkt, Bühne oder Tribüne; Innenraum kann mit Schiebetüren großzügig geöffnet werden.
Ausführung Erdarbeiten: Günther’s, Thüringerberg; Archäologisches: Talpa, Innsbruck; Beton: BSG, Thüringerberg; Sichtmauerwerk: Hilti & Jehle, Feldkirch; Sanierung historische Mauern: Lehrlinge Wilhelm + Mayer und Berufsschule Bludenz; Schlosser: Alexander Burtscher, St. Gerold; Zimmermann: Gilbert, Fontanella; Tischler: Harald Hartmann, Bludesch; Türen, Dünser, Thüringerberg; Fenster, Hartmann, Nenzing; Roste: Lehrlinge I+R Holzbau, Lauterach; Spengler: Fritz, Bludenz; Installateur: Lehrlinge Küng, Thüringen; Elektro: Erwin Müller, Ludesch; Raumausstattung: Berle, Thüringen; Ofenbau: Lehrlinge Müller, Ludesch; Licht: Zumtobel, Dornbirn