Das Seedomizil in Lochau ist ein recht dicht besiedeltes, neues Wohnquartier
zwischen Bodenseeufer und Ortszentrum. 206 Wohnungen gibt es hier.
Weil die Pfarre Lochau doch etwas weiter entfernt liegt und Orte der Stille immer
seltener werden, errichtete i+R Wohnbau GmbH auf dem östlichsten Eck
des Grundstücks einen kleinen Andachtsraum. Architekt Michelangelo Zaffignani plante den abstrakt anmutenden Quader mit der schimmernden Metallfassade am Bachlauf, der dem heiligen Franziskus und der heiligen Klara geweiht ist.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Petra Rainer

Das heutige Seedomizil Lochau war lange als Betriebsgebiet gewidmet, hier Wohnbauten zu entwickeln, erforderte einen langen Atem. Die i+R Wohnbau hatte ihn. Nun breitet sich zwischen Bodenseeufer und Ortszentrum das Seedomizil Lochau aus. Es ist auto- und barrierefrei, der städtebauliche Entwurf stammt von den Architekten Gohm/Hiessberger/Innauer/Matt. Sie entwickelten 13 Punkthäuser, die zwischen drei und sieben Geschoße hoch in einem verzweigten Wegenetz auf das Grundstück gewürfelt sind. Kleine Plätze, Rasenstücke, Brunnen, Baumgruppen und zwei renaturierte Bachläufe gliedern das Quartier.

Der kleine spirituelle Raum liegt am renaturierten Kugelbeerbach. Sein Ufer trennt das Seedomizil von der angrenzenden Wiese. „Durch die Renaturierung hat man einen unglaublich schönen, freien Blick auf den See“, sagt Zaffignani. „Es ist eine Art Torsituation“. In dem kleinen Baukörper scheinen sich die verschiedenen Strömungen und Energien dieses Ortes zum kompakten Volumen zu verdichten. Sein Grundriss ist ein Quadrat von 4,25 Meter Seitenlänge. Darin liegt tiefere Symbolik. „Das Quadrat ist eine in sich ruhende Form“. Perfekt, um sich zu sammeln.

„Viele joggen, radeln oder spazieren hier vorbei.
Dieser Raum ist für alle da, die
Einkehr halten wollen.
Er ist ein spiritueller Anker in
einer getriebenen Welt“.

Peter Holzner
Mitglied des Pfarrkirchenrates

Von sehr weit weg wirkt der einfache Quader wie eine abstrakte Skulptur. Seine Anmutung ist unorthodox und rätselhaft, denn weder Fenster noch Tür sind zu erkennen. Es könnte ein Verteilerkasten sein – oder ein anderes technisches Infrastrukturbauwerk. Kommt man näher, beginnt sich der Nebel um seine Funktion zu lichten: Denn im Stanzmuster der weißen, leicht schimmernden Metallfassade sind lauter kleine, gleichschenkelige Kreuze erkennbar. „Das Kreuz liegt in der zweiten Ebene, denn der Andachtsraum sollte konfessionsfrei sein“, sagt Zaffignani. Die gleichschenkelige Kreuzform ist ein altes, archaisches Symbol. Ihre vertikalen und horizontalen Linien verweisen auf Nord, Süd, Ost, West, auf Himmel und Erde, die Verbindung von Körper und Geist. Das Muster des Kreuzes macht die Fassade zum feinen, weißen Geflecht, das innen ein sehr schönes Licht erzeugt.

Der Andachtsraum konzentriert sich auf das Wesentliche. Seine tragenden Wände und die Decke sind aus 12 cm starkem, massivem, weiß lasiertem Tannenholz. Dafür hat er eine lichte Höhe von 6,43 Meter und ist bei all seiner Schlichtheit doch besonders: in alle vier Holzwände sind parabelförmige Öffnungen eingeschnitten – jede unterschiedlich hoch. Die vier Ecken des Gebäudes sind aus massivem Holz, dazwischen verliert sich die gedachte Verlängerung der Parabelform im Boden der Unendlichkeit. Eine matte Folie auf dem Glas lässt das einfallende Licht weich wirken, das kleine Oberlicht in der Decke schafft eine Verbindung zum Himmel. Über dem niedrigsten Parabelfenster ist in der Wand ein Kreuz eingefräst. Sein blaues Glas färbt das Sonnenlicht.

„Viele joggen, radeln oder spazieren hier vorbei. Dieser Raum ist für alle da, die Einkehr halten wollen“, sagt Peter Holzner, Mitglied des Pfarrkirchenrates. „Er ist ein spiritueller Anker in einer getriebenen Welt.“ Schon jetzt bleiben einige, die am Bach vorbeigehen, neugierig davor stehen. „Andachtsraum Franziskus und Klara“ steht auf einem Schild. Diese zwei Heiligen mit ihrer starken Verbindung zur Natur – Erde, Wasser, Feuer, Luft – passen gut zu diesem Ort. Am elften September wird der Andachtsraum eröffnet. Dann kann jeder hier für sich seine Mitte finden und bis zu zwanzig Menschen gemeinsam beten, feiern oder trauern.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Andachtsraum Seedomizil Lochau
Bauherr i+R Wohnbau für Pfarre Lochau
Architektur Zaffignani Architektur, Weiler, www.zaffignani.at
Statik Mader & Flatz Ziviltechniker, Bregenz
Fachplanung Elektro, Licht: Brugger, Thüringen
Wettbewerb 5/2017
Planung 2017–1/2019
Ausführung 1/2019–9/2021 (Weihe)
Grundstücksgröße 271 m²
Nutzfläche 19 m²
Bauweise Holzbau; Flachdach begrünt; Lüftung mit automatischer Lichtkuppel
Besonderheiten Standort und Zugang zum Kugelbeerbach und automatische Lichtkuppel
Ausführung Baumeisterarbeiten und Holzbau: i+R, Lauterach; Spengler: Peter, Götzis; Elektro: i-TEC, Lauterach; Brunner, Höchst