Das sympathische, schindelverkleidete Haus mit den Cortenstahl-umhausten
Loggien in Langenegg hat eine starke soziale Ader:
Es ermöglicht Menschen, in die Dorfgemeinschaft integriert zu altern.
Georg Bechter interpretierte das Motto „Wohnen plus“ vielschichtig und farbig.
Im Erdgeschoß sind Sozialsprengel, Tagesraum und Kapelle angesiedelt.
Bunt und fröhlich schlängeln sich die Gänge und
Galerien rund um ein Oberlicht zu den zehn kompakten,
hellen Wohnungen in den zwei Geschoßen darüber.

Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel, Albrecht Imanuel Schnabel

Bei Schönwetter spielen Kinder gern auf dem grünen Vorplatz und sitzen die Bewohner(innen) des Hauses „Wohnen plus“ auf der Sonnen-terrasse, um sie zu beobachten – und zu schauen, wer zu Besuch kommt.
Der Sockel dieses Hauses hat es in sich. Hier ist der Sozialsprengel angesiedelt, beim Vorplatz im Südwesten breitet sich vor Eingang und Tagesraum eine Sonnenterrasse aus. Hinter dem rätselhaften Fenster im Südosten liegt die Kapelle.

Als Aneinanderreihung von Häusern schlängelt sich Langenegg an seiner kurvigen Hauptstraße den Hang entlang. Die Gemeinde schlägt immer wieder sehr bewusst unkonventionelle Wege ein, um für ihre 1100 Einwohner(innen) attraktiv zu bleiben. Zur Eröffnung des Dorfladens 2008 führte sie für Betriebe und Dienstleistungen im Ort eine eigene Währung – die Talente – ein. Sie belohnen mit Rabatt und regem Dorfleben. Als die Errichtung eines Pflegeheims im Raum stand, stellte man eine grundsätzliche Frage: Wie kann Altwerden im Dorf heute aussehen?

Dieser schöne Raum mit dem anthrazitgrauen Kücheneinbau an der Stirnseite ist sehr vielseitig. Hier können Bewohner(innen) des Hauses gemeinsam essen und sind Senior(innen) aus dem Ort tagsüber willkommen.
Die Kapelle ist ein sehr kontemplativer Ort, der auch Bezug auf die Geschichte der Bewohner(innen) nimmt. Das leuchtende Glasfenster übersiedelte aus der alten Schulkapelle in das neue Haus.

Altern geschieht meist stillschweigend in einem Zuhause, das nicht altersgerecht ist. Es bringt pflegende Angehörige an ihre Grenzen und Senior(inn)en in die Lage, das Haus allein nicht mehr verlassen zu können. Die Gefahr ihrer Vereinsamung ist ebenso groß wie der Wunsch, in die Dorfgemeinschaft integriert zu bleiben und so selbstbestimmt wie möglich zu leben. Unter dem Motto „Wohnen plus“ entwickelte Bechter mit der Gemeinde und dem Bauträger VOGEWOSI eine überzeugende architektonische Antwort. „Dieses Programm im Rahmen des sozialen Wohnbaus umzusetzen, erforderte viel Dialog und großen Einsatz”, so Bechter. „Und die feste Überzeugung, dass es für Langenegg das Richtige ist.” Das Grundstück liegt zwischen der Werkstatt der Lebenshilfe und dem alten Bach-Haus auf einem leichten Hang mitten im Ort. Mit seinen drei Geschoßen ist das Haus zum Generationenwohnen etwas höher und größer als die anderen Häuser. „Wir suchten den Dialog zum Ort. Daher war die Schindelfassade wichtig. Sie gehört zum Bregenzerwald und integriert das großvolumige Gebäude in sein Umfeld“, sagt Georg Bechter. Vorwitzig ragen 1,50 Meter tiefe, Cortenstahl-verkleidete Loggien aus der Fassade. Sie werden in Würde altern und erweitern jede der zehn Wohnungen zwischen 46 und 60 m2 im ersten und zweiten Stock, um ihren eigenen privaten Freiraum. Behutsam bietet die Cortensstahl-Umhausung allen, die hier Frischluft und Aussicht genießen, Schutz vor Witterung und Neugier. Alle Wohnungen sind barrierefrei und an den Hausecken angeordnet, damit sie von zwei Seiten Licht erhalten. Jede hat ein Extra-Zimmer für eine Betreuungsperson oder ein Familienmitglied. Sie eignen sich auch für Alleinerziehende.

„Wir suchten den Dialog zum Ort.
Daher war die Schindelfassade wichtig. In diesem Gebäude ist man keine Nummer.
Es gibt schöne Plätze und Lieblingsplätze,
das Haus hat Strahlkraft.“

Georg Bechter
Architekt

Sorgfältig geplante Details: Die Cortenstahl-umhausten Loggien sind 1,50 Meter tief und erweitern die Wohnungen um einen privaten, geschützten Freiraum.

Das Haus bildet zwischen den Bestandsbauten einen kinderfreundlichen Vorplatz aus. Eine flache Rampe führt auf die Sonnenterrasse, die sich als kollektives Freiluftwohnzimmer vor dem Erdgeschoß ausrollt. In dieser halböffentlichen Ebene pocht das soziale Herz des Hauses. Hier ist der Sozialsprengel angesiedelt, der die Hausbetreuung alter Menschen im ganzen vorderen Bregenzerwald organisiert. Rechts vom Eingang führt eine Glastür in einen schönen, hellen Saal. Ein anthrazitgrauer Kücheneinbau an der Stirnseite, Tische für große und kleine Runden, ein gemütlicher Ohrensessel, Bücher und Fernseher bieten viele Möglichkeiten zum Zeitvertreib. Hier wird gemeinsam gegessen, Marmelade eingekocht, auf der Terrasse Kaffee getrunken und mehr. Auch Senior(innen) aus dem Ort sind zum „Tagestreff“ willkommen. Das tut ihnen gut und entlastet ihre Angehörigen. „Sie sind mit unseren Bewohner(innen) durch ihre Jugend gegangen, da gibt es ein großes Miteinander“, so Bernd Schuster, Leiter des Sozialsprengels.

Die Seitenwand des Tagesraums ist mit rotem Filz überzogen. Das ist schön und akustisch wirksam. Sie lässt sich öffnen und geht dann direkt in die Kapelle über. Diese verjüngt sich konisch zum schlichten Altar aus Eschenholz hin. Die Form des Raumes, die eierschalenfarbenen Wände und das Licht, das zwischen schrägen, lamellenartigen Seitenwänden einfällt, schaffen eine besondere kontemplative Atmosphäre. Das leuchtende Glasfenster, das Don Bosco zeigt, ist aus der alten Schulkapelle hierher übersiedelt. Auch die Muttergottes kam mit.
Gänge und Stiegenhaus sind breit, Boden, Wand und Decke leuchten purpur, gelb und violett, jedes Podest ist auch ein Sitzplatz am Fenster. Ein Oberlicht im Dach lässt das Tageslicht durch die großzügigen Lufträume in der Mitte bis ins Erdgeschoß dringen. Sie verbreitern sich, ihre Brüstungen sind auf jeder Ebene mit andersfarbigem Filz verkleidet. Von hier kann man in die anderen Geschoße schauen, auch die Gänge vor den Wohnungstüren ermöglichen Kommunikation und Begegnung. Bechter: „Hier ist man keine Nummer. Es gibt schöne Plätze und Lieblingsplätze, das Haus hat Strahlkraft.”

Ein Oberlicht im Dach lässt das Tageslicht durch die großzügigen Lufträume in der Mitte bis ins Erd-geschoß dringen.
Die Lufträume ermöglichen, dass man über die Geschoße hinweg miteinander in Kontakt treten kann.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten & Fakten

Objekt Wohnen Plus, Gfäll Langenegg

Bauherr Gemeinde Langenegg und VOGEWOSI

Architektur Georg Bechter Architektur, Hittisau, www.bechter.eu

Statik Hämmerle-Huster ZT, Bregenz, www.diestatiker.at

Fachplanung Landschaft: Land Rise, Egg; Geotechnik: 3P, Dornbirn; Heizung, Lüftung, Sanitär: Herbert Roth, Lauterach; Elektro: el Plan, Schoppernau; Bauphysik: Spektrum, Dornbirn; Kulturtechnik: Landa, Dornbirn; Vermessung: Ender, Langen; Brandschutz: K&M, Lochau; Farbkonzept: Ilona Amann, Reifenthal(D)

Planung 06/2016 – 10/2017

Ausführung 04/2018 – 11/2019

Grundstücksgröße 1681m²

Nutzfläche 934 m² (10 Wohnungen)

Bauweise Massivbau Beton und Ziegel, Schindelfassade mit Holzfenstern und Cortenstahl-Loggien, Lichthof als Erschließungszone

Besonderheiten Übereck-Belichtungen der Wohnungen; Walmdach

Ausführung Baumeister: Wälderbau, Schwarzenberg; Heizung, Sanitär: Bereuter, Sibratsgfäll; Elektro: Kirchmann, Langen; Lüftung: Kranz, Weiler; Holz-Alu-Fenster: Sparr, Thüringen; Spengler: Rusch, Bregenz; Schlosser: P-Metalldesign, Meiningen; Parkett: Bal, Bregenz; Lattenroste Balkon: Hirschbühl, Riefensberg; Trockenbau: Raumwerk, Wolfurt; Möbel: reiter design, Rankweil

Energiekennwert 17 kWh/m² im Jahr (HWB)

Baukosten 2,38 Mill. Euro

Fotonachweis: Titel: Albrecht Imanuel Schnabel; alle übrigen: Cornelia Hefel