Goldene Mitte
Die neue Feuerwehr in Lustenau vom Grazer Büro projekt.CC Architektur
besticht mit einer perfekten Symbiose aus städtebaulicher Präzision,
hoher Funktionalität und puristischer Ästhetik. Sie ist so nicht nur ein
selbst bei Hochwasser noch einsatzfähiges Katastrophenschutzzentrum,
sondern auch ein Treffpunkt für die Feuerwehr
und ein Veranstaltungsort für die Gemeinde.
Autorin: Isabella Marboe | Fotos: Cornelia Hefel
Lustenau ist mit 23.888 Einwohnern die größte Marktgemeinde Österreichs. Das bedeutet Stress für die freiwillige Feuerwehr, die rund 6052 Objekte zu schützen hat. „Unser altes Gebäude war nur 400 Meter Luftlinie vom neuen entfernt“, so Jürgen Hämmerle, Zugskommandant der freiwilligen Feuerwehr Lustenau. „Es platzte aus allen Nähten. Die Gemeinde wächst ständig, das heißt für uns, dass wir mitwachsen müssen.“ Knapp 160 Personen sind bei der Feuerwehr engagiert, an die 110 per Pager abrufbereit, die Feuerwehrjugend hat 25 Mitglieder.
2014 lobte die Gemeinde einen offenen Realisierungswettbewerb für den Neubau aus. „Das Wichtigste ist, wie die Feuerwehr funktioniert“, so Hämmerle. Das Grundstück liegt an der Neudorfstraße in einem Einfamilienhausgebiet. „Wesentlich ist, dass die Mannschaft möglichst rasch im Feuerwehrauto und dieses möglichst rasch auf die Straße kommt. Vom Eintreffen am Parkplatz bis zum Einstieg ins Feuerwehrauto muss alles ohne Reibungsverlust optimal organisiert sein.“
102 Teilnehmer gaben ab, Christian Tabernig und Harald Kloiber vom Grazer Büro projekt.CC Architektur gewannen. „Wir wussten, dass wir ein gutes Konzept hatten. Das Grundstück war nicht üppig, es waren 16 Stellplätze für Feuerwehrautos gefordert. Wir ordneten auf der Rückseite des Fuhrparks ein Riesenvordach an, sodass sich ein großer, stets trockener Platz bildet. Für Feuerwehrautos, die von Einsätzen zurückkommen, aber auch für Übungen und Feiern“, erinnert sich Tabernig. „Der Wettbewerb war sehr professionell vorbereitet – die Budgetvorgabe war realistisch und es gab keine Einschränkung der Kreativität. Wir haben die goldene Mitte aus Funktion und Erscheinungsbild gewählt.“
Die neue Feuerwehr ist zeitlos elegant und maximal funktional. Abgesehen von optimiert durchdachten Abläufen für Katastropheneinsätze bietet sie noch viele Nutzungsmöglichkeiten für die Gemeinschaft, die Jugendarbeit und die Allgemeinheit. Architektonisch wirkt sie dank ihres riesigen und auffallend hohen, mit dunkel lasiertem Fichtenholz verkleideten Daches, das sich wie ein moderner Tempelfries über die transparente Straßenfassade im Süden legt, sehr vornehm. Abgesehen von der starken horizontalen Linie des Daches, dessen Vorstand sich am Boden gleichermaßen in einem Streifen aus besenstrichgebürstetem Beton abdrückt, besteht sie im Prinzip aus raumhohen Faltschiebetoren zwischen schlanken Sichtbetonpfeilern: hinter jedem Tor ein Feuer-wehrwagen. Die Fassade ist auch Schaufenster für die Feuerwehr: ihren Abschluss bildet im Osten die Kommandozentrale. Sie ist nicht so hoch wie der Fuhrpark, also neigt sich hier das Dach bis auf die Fensterfront: Feuerwehr Lustenau 122 steht da auf dem dunklen Holz.
Das Herzstück bildet der Fuhrpark mit 16 Stellplätzen, in dem die roten Feuerwehrwägen in Reih und Glied hinter raumhohen Glasschiebetoren aus verzinktem Stahl stehen. Jedes Feuerwehrauto hängt an einem roten Kabel mit Luft- und Stromversorgung, damit es auch bei kältesten Temperaturen sofort losstarten kann. Auch Wasser zur Reinigung, Ersatzschläuche und alles, was man sonst braucht, ist in Griffweite vorhanden. Jede Ausfahrt ist 3,50 Meter breit, 5,50 Meter hoch, mit der Nummer des Stellplatzes beschriftet und von einem 1,60 Meter weit vorstehenden Dach beschirmt. „Die Tore müssen überdacht sein, wir können uns nicht aussuchen, ob wir bei Schön- oder Schlechtwetter unterwegs sind“, meint Hämmerle trocken. „Wir sind eine Feuerwehr, kein Betrieb. Wir müssen immer funktionieren.“
„Der Wettbewerb war sehr professionell vorbereitet.
Wir haben die goldene Mitte aus
Funktion und Erscheinungsbild gewählt.“
Christian Tabernig
projekt.CC Architektur
Deutlich signalisieren die roten Feuerwehrautos hinter Glas: „Wir sind bereit“. Im Notfall können sie sofort aus der grau verfliesten Halle durch das per Fernbedienung rasch zu öffnende Schiebefalttor auf die Straße und zum Einsatzort. Die gesamte Straßenfassade ist ein elegant und funktional verglaster Blick auf den Fuhrpark. Rechts davon befindet sich die Raumflucht mit Einsatzzentrale, Kommandositz und Bereitschaftsraum. Dahinter schließen die Umkleiden mit 167 Spinden mit Feuerwehruniformen an, daneben sind der Wartungsraum für die Atemschutzgeräte und der Werkstättentrakt. Hier wird nichts dem Zufall überlassen.
Das Wesentliche aber spielt sich auf der Rückseite ab. Hier bildet das noch wesentlich weiter auskragende Dach einen 260 m2 großen, gedeckten Übungsbereich aus. Die Kassetten der Holzkonstruktion zeichnen malerische Schatten auf den Asphalt, hier kommen die Feuerwehrautos vom Einsatz an und hier sind die 38 Parkplätze für die Mannschaft. Das Haus zeigt sich zweigeschoßig und der schlichte, 20,5 Meter hohe Turm steht am Rand des Vorplatzes. Ihn braucht es, um die Schläuche zum Trocknen aufzuhängen und im Rahmen der Ausbildung zu üben. Im ersten Stock reihen sich am langen Raucherbalkon an raumhohen Glasfassaden die Räume für die Gemeinschaft aneinander: Es gibt einen tollen Saal mit Eichenparkett und Holzvertäfelung aus geölter Eiche, in dem bis zu 240 Personen tagen, tafeln und sich versammeln können. Außerdem eine Gastronomieküche, Schulungsräume und einen Kameradschaftsraum. Die Eckbank mit 13 Plätzen, Tische, Sessel und Bar im „Bereitschaftsraum“ bieten genau die Atmosphäre, um die Gemeinschaft zu pflegen und vertrauensvoll miteinander zu sprechen. Denn auch der Tod ist ein Thema. Da braucht es Lebende, mit denen man reden und schweigen und darüber hinwegkommen kann.
Daten & Fakten
Objekt Feuerwehr Lustenau
Bauherrin Marktgemeinde Lustenau
Architektur projektCC zt, www.projekt.cc
Statik SSD – Beratende Ingenieure ZT, Röthis
Fachplanung Heizung, Lüftung, Sanitär: Walter Pflügl, Bregenz; Elektro: Rene Fröhle, Schlins; Brandschutz: Brandverhütungsstelle, Bregenz; Bauphysik: Spektrum, Dornbirn; Landschaft: Land Rise, Egg
Planungsbeginn 2014 (Wettbewerb)
Bauzeit 5/2016-9/2018
Grundstücksgröße 5717 m² (inkl. Ausgleichsfläche)
Nutzfläche 3400 m²
Bauweise: Außenwand aus zweischaligem Beton; Warmdach
Besonderheiten: Fassade aus sägerauer, geölter FichteKommunaler Gebäudeausweis mit 905 Punkten
Ausführung: Baumeister: und Holzbau: i+R, Lauterach; Dach: TECTUM, Hohenems; Lüftung: Kranz, Weiler; Heizung/Sanitär: Berchtold, Dornbirn; Elektro: Decker, Weiler; Landschaftsbau: Brunner, Höchst
Energiekennwert 14 kWh/m² im Jahr
Baukosten 8,8 Milliionen Euro (1–6)