Blickt man aus der Ebene des Illertals nördlich von Immenstadt
zu den westlichen Hängen der Bergstätte, so springen bei Bräunlings
neuerdings zwei Häuser ins Auge, die eine wechselseitige Beziehung entfalten –
einander ähnlich und doch ganz verschieden, ortsgebunden und doch
von eigener Art, streng und doch verspielt. In sich und mit der Umgebung
bilden sie einen Akkord – spannungsreich, wohlklingend.

Text: Florian Aicher | Fotos: Nicolas Felder

Die beiden Häuser stehen mit dem Rücken zu Hang und Ortschaft. Jedes hat eine Fassade wie ein Gesicht und schaut mit regelmäßig verteilten Fenstern und Fensterläden sowie zurückhaltendem Dach hell und offen ins Land. Ähnlich flachgeneigte Dächer betonen den Ortsbezug. Das Grün der umliegenden Wiesen reicht bis ans Haus. Deutlich ist: Hier ist eine Grenze von Landschaft und Besiedlung.

Die Häuser bilden ein Paar. Tatsächlich werden sie von Geschwistern bewohnt. Das Elternhaus liegt direkt hinter und oberhalb der neuen Häuser; eine glückliche Fügung erlaubte den Erwerb des darunterliegenden Baulandes. Das bescherte dem elterlichen Garten eine Verbesserung; er ist nun erstmals eben, da der Neubau als „Stützwand“ wirkt; der Blick auf die Berge bleibt erhalten. Nähert man sich, so stellt man fest: Die Häuser stehen versetzt, auf Abstand. Privates Grün, jeweils im Süden, ist garantiert. Doch es gibt Freibereiche, die eher öffentlich sind: der Hof vor den Häusern, eine breite Treppe von hier auf die gemeinsame Wiese, ein Freisitz zwischen Elternhaus und einem der neuen Häuser. Fami-lien- und Privatleben sind fein ausbalanciert. Das gelingt auch dank beruflicher Übereinstimmung: Vater und Sohn sind „vom Bau“, beide im Maurerhandwerk zu Hause; Sohn Maximilian Kirchmann darüber hinaus Architekt.

Nicht zuletzt das erklärt die Bauweise der beiden Häuser: Es sind Ziegelbauten, die das Potenzial das Baustoffs ausschöpfen, ohne Dämmzusätze oder sonstige Fremdstoffe. Sie folgen konsequent der Logik des Materials mit hohem Wand-Anteil, regelmäßiger Gliederung gemäß Ziegelmaß und maßvoller Befensterung. In dieser baumeisterlichen Haltung gleichen sich beide Bauten vom Dach bis zur Bodenplatte. Und doch sind beide in Proportion und Baukonstruktion ganz eigenständig. Während das zweigeschoßige hangseitige Haus schmal und lang ist und die „Mauer“ zum Hang bildet, erhebt sich das dreigeschoßige, fast quadratisch turmartig. Im einen Fall geht eine Promenade durchs Haus, mit einem Zentrum Küche und Wohnraum und einer Querung vom Balkon zum Freisitz, im Untergeschoß entlang von Kinder- und Arbeitszimmern ins südliche Sommerzimmer führend. Im anderen Fall erschließen sich vom Vestibül mit elaborierter Wendeltreppe drei große, dreiseitig belichtete Räume mit Orientierung ins Tal und nach Süden. Beide Häuser integrieren Garagen und Fahrradräume unter demselben Dach.

„Wir versuchten ein klares Ensemble
zu bauen, das lange reizend bleibt.“

Maximilian Kirchmann
Architekt

Beim langen Haus ist die hangseitige Wand – wie Bodenplatte und Decken – betoniert, die restlichen Wände gemauert. Die Wände sind mit Kalk verputzt, innen teilweise geschlämmt, was den Stein durchscheinen lässt. Beim Turmhaus sind die erdgeschoßigen Wände homogen betoniert und innenseitig hinter einer Mauerwerkswand betoniert; zweischalig sind die Obergeschoße gemauert – Dämmziegel vor speichernden, belastbaren Ziegeln, die die betonierten Decken tragen. Prägend für beide Häuser ist die Materialkultur: ein Spiel von sichtbaren und verputzten Wandflächen, wechselnde Böden – vom geschliffenen Estrich bis Eichendielen – Öffnung der obersten Räume bis unters Dach mit Schalung aus Weißtanne, auch mal eine stilisierte Holzbalkendecke. Man trifft auf die Freude des Maurers an Tonne, Zylinder oder Giebel. Prägend auch der beherzte Einsatz von Farbe für die Wände, von Ochsenblut über kräftiges Ultramarin bis lichtes Grün oder Ocker. Das gilt schließlich auch für die Fenster aus Lärche, überwiegend dasselbe Format, zweiflüglig, mal die gesamte Laibung, mal nur die Fensterbank aus demselben Holz, desgleichen die Läden. Hervorgehoben sei die feine Profilierung, besonders des mittigen Stulps. Unsichtbar, aber wirksam: Gelüftet wird mit Fenstern, alle Wohnräume haben Fußbodenheizung, versorgt durch Wärmepumpe mit Erdsonden.

Feingefühl auch von außen: Die Giebel zur Talebene präsentieren sich regelmäßig, geordnet, doch bei genauem Hinsehen zeigen sich feine Abweichungen vom Schema. Auch springt der Giebel minimal vor und erlaubt sich beim langen Haus eine ornamentale Anspielung auf Fachwerk. Geht man ums Eck, so leistet sich die Fassade jede Freiheit – großformatige Fenster wechseln mit Balkon und Fensterluke. Vielfalt in der Einheit im Detail wie im Ganzen: Die „Personen“ der beiden Häuser geben sich die Hand mit einer großzügigen Freitreppe.

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Häuser „Geschwister“, Immenstadt
Architektur BOLTE | Einselen & Kirchmann, Kirchheim unter Teck (D); www.bolte-architekten.de
Statik Berkmann, Weiler im Allgäu; www.statik-berkmann.de
Fachplanung Bauphysik: Manfred Engstler, Sonthofen; Heizung, Lüftung, Sanitär: Schenk & Karlinger, Oberstdorf
Planung 02/2019- 02/2021
Ausführung 08/2020 – 01/2022
Grundstück 977 m²
Nutzfläche 325 m² (zzgl. Keller 66 m²)
Bauweise Ziegelmassivbau mit Beton- und Holzdecken, Heizung: Geothermie, Kaminofen
Besonderheiten Low-Tech mit großem Anteil Eigenarbeit
Ausführung Baumeister: Reiter Bau, Sonthofen; (Auswahl) Zimmerer: SJ, Rettenberg; Fenster: Feuerstein, Oberstaufen; Innenausbau: Martin Hipp, Sonthofen und oh!, Oy; Türen: Speiser, Waltenhofen und APZ Bauer, Oberstaufen; Heizung/Lüftung: Hauber, Immenstadt; Elektro: Bentele, Immenstadt; Spengler: Keinath, Ofterschwang; Schlosser: Peter Eckel, Bad Hindelang
Energiekennwert 17 kWh/m² im Jahr