Hoffnungsfläche
In exzellenter Lage, nahe dem Bodenseeufer, bildet einejahrhundertalte Remise einen wichtigen Teil eines denkmalgeschützten Ensembles. Hinter einer historischen Villa steht die Remise in zweiter Reihe und ist eigentlich nebensächlich. Aber der Charme des Bauwerkes wurde erkannt und neues Potenzial daraus entwickelt.
Text Marcella Zauner · Fotos Angela Lamprecht
Die Forderung von Bauen im Bestand ist längst keine Neuigkeit mehr, vielmehr ist es der neue Leitsatz in Architektur und Stadtentwicklung. Und eine anhaltende Frage, die das Bauwesen und dessen Akteure beschäftigt. Dennoch überwiegen oft die vermeintlich ökonomischen Argumente für einen Abbruch und/oder Neubau. Dem gegenüber steht jedoch die Wertschöpfung eines Umbaus für die Ökologie und – nicht zu vernachlässigen – für die Kultur. Die Erhaltung und Umnutzung eines Bauwerkes schafft Einblicke in die Lebensweise früherer Generationen und bereitet zugleich Räume für die kommende vor. Ab wann also ist ein Gebäude nicht mehr sanierungswürdig?


Das gegenständliche Projekt wäre wohl auf den ersten Blick als nicht sanierungswürdig ein-zustufen gewesen. Über Jahrzehnte wurde nur ein kleiner Teil des Bauwerkes von Menschen genutzt. Das restliche Gebäude nahm die Natur ein. Dicht bewachsen, war die Remise kaum mehr zu erkennen. Situiert an einem bewaldeten Hangfuß, hielt das Gebäude über lange Zeit großem Druck stand. Die bergseitige Stützmauer gab dem irgendwann nach und brach teilweise ein. Ein Sturm zerstörte auch das Dach. Daraus entstanden weitere Folgeschäden. 2021 befand sich das Gebäude in einem desolaten und einsturzgefährdeten Zustand. Die Eigentümergemeinschaft musste handeln. Das Architektenpaar Ute und Peter Wimmer-Armellini erhielt den Auftrag, sich um das Gebäude zu kümmern. Im ersten Schritt bedurfte es einer Notsicherung. Das Dach wurde regendicht gemacht und die Geschoßdecken unterfangen. Das brachte den Eigentümer(inne)n vorerst Zeit, um über die Zukunft der Remise nachzudenken.

„Die Remise war in einer Art Dornröschenschlaf und wurde durch behutsame und sparsame Interventionen vor weiterem Verfall oder Abbruch bewahrt.“
Ute Wimmer-Armellini
Architektin
Errichtet wurde die Remise zusammen mit der Villa im Jahr 1870. Viele Menschen sind hier bereits ein- und ausgegangen. Im Moment bewohnen drei Generationen in vier abgetrennten Wohneinheiten die Villa. Die Remise wurde ebenerdig als Doppelgarage sowie als Geräte- und Fahrradraum verwendet. Die rund 180 m² Nutzfläche im Obergeschoß der Remise diente Lagerzwecken. Die Funktionsfähigkeit des Nebengebäudes war nun gefährdet. Aber was tun? Auf die Lagernutzung könnte seitens der Bauherrschaft größtenteils verzichtet werden. Es besteht auch kein Bedarf für eine alternative Nutzung. Zudem wäre nach Rücksprache mit dem Bundesdenkmalamt ein Teilabbruch möglich gewesen, doch die Entscheidung fiel glücklicherweise anders.


Ein Blick auf die Historie der Remise gab Aufschluss über die spezifischen Funktionen, die hier untergebracht wurden. Hauptsächlich diente das Nebengebäude als Unterstand für Tiere, Kutschen und andere Gerätschaften. Die vorhandene Waschküche und der Kachelofen deuten zudem auf eine temporäre Wohnnutzung hin, vermutlich von Dienstboten. Die derzeitige Eigentümergemeinschaft hat zwar keinen konkreten Bedarf an Wohnraum, doch muss immer eine dringende Notwendigkeit bestehen, um das baukulturelle Erbe zu bewahren? Die Frage nach der Nutzung stellt sich nicht nur aus funktionalen Gründen, sondern auch im Hinblick auf die kulturelle und historische Verantwortung, die mit der Erhaltung solcher Bauwerke verbunden ist.


Die Architekt(inn)en entwickelten daraufhin Entwürfe, die verschiedene Nutzungen zulassen. Unabdingbar waren jedenfalls architektonische Maßnahmen, die den Bestand für die Zukunft vorbereiten. Eine wesentliche Veränderung bestand in der Erneuerung sowie der Anhebung des Dachstuhls um fünfzig Zentimeter. Die zusätzliche Höhe wurde dabei nicht aufgemauert, sondern als umlaufendes Lichtband ausgeführt. Wo heute noch provisorisch eine glasfaserverstärkte Polyesterharzplatte, als preiswertes, lichtdurchlässiges Provisorium, platziert ist, können später Fenster eingebaut werden. Die Konstruktion des neuen Dachstuhles sieht außerdem schon Platz für eine etwaige Dämmung vor. Defekte Fenster wurden ausgetauscht, alte Türen restauriert und verputzte Oberflächen nachgebessert. Die Sandsteinwände in den Obergeschoßen wurden behutsam saniert. Nach Abtragen der losen Schichten wurde eine Kalkschlämme aufgetragen, welche für zusätzliche Robustheit und Ästhetik sorgt. Die beschädigte, bergseitige Außenwand wurde durch vorbetonieren einer Dichtbetonwand ertüchtigt. Brandschutz, Strom und Wasseranschluss wurden vorgesehen. So bietet die Remise nun Raum für feierliche Anlässe oder anderweitige Zwischennutzungen. Langfristig bietet sie jedenfalls das Potenzial für zukünftige Generationen als vollwertigen Wohnraum ausgebaut zu werden.

REMISE, Lochau
Bauherrschaft: Eigentümergemeinschaft, vertreten durch Mag. Valentin Huber-Sannwald
Architektur: Architekten Wimmer-Armellini Bregenz, www.wimmer-armellini.at
Statik (Beton/Holz): Andreas Gaisberger, Dornbirn, Bernhard Ankenbrand, D-Scheidegg
Planung: November/2021–November/2024
Ausführung: Februar/2024–Oktober/2024
Fachplanung: Baumeister: Zimmermann-Bau, Bregenz; Holzbau: Holzbau Forster, D-Opfenbach; Spengler: Schaffer Dachbau, Hard; Sanitärinstallation: Schneider, Schwarzach; Elektro: Kiechel & Hagleitner, Bregenz; Fenster und Türen: Tischlerei Klaus Reichart, Bregenz; Malermeister: Wilfried Netzer, Wolfurt; u. a.