In einem Mehrgenerationenhaus aus dem Jahr 1956 fehlte nichts,
außer einem Kinderzimmer. Die junge Familie und der Großvater,
die das Haus gemeinsam bewohnen, hatten bereits Fassade und Erdgeschoß
in Eigenregie saniert und überlegten, zum guten Schluss eine Kammer
im niedrigen Dachgeschoß auszubauen. Um zu ihr zu gelangen,
musste man den Rohdachboden zur Hälfte durchqueren.
Konnte sie zu einem Raum für zwei Kinder im Vorschulalter werden?
Wie könnte die Aufgabe durch professionelle Planung gelöst werden?

Text: Claudia Rinne | Fotos: Cornelia Hefel

Also wurde ein Architekt zu Rate gezogen und sein Entwurf stellte alles auf den Kopf. Aber er gefiel den Bauleuten auf Anhieb. Die Kammer sollte abgerissen werden, der gesamte, nicht sehr hohe Dachraum würde als Wohnebene gestaltet und das bisherige Wohnzimmer im Obergeschoß den Kindern gegeben werden. So wurde es ausgeführt. Zusätzlich wurde die Decke der Küche geöffnet und vom Dachgeschoß aus mit einem zarten Stabgeländer abgesichert. Auf diese erfrischend unkonventionelle Weise entstand der in unserer Zeit so beliebte, große kommunikative Raum für Essen, Kochen und Wohnen, quasi als Sonderanfertigung auf zwei Ebenen.

An der Struktur des Hauses wurde wenig geändert, aber wo immer es ging, wurde für mehr Durchlässigkeit und Freiraum gesorgt. Der Balkon gewann ohne sichtbare Stützen um die Hälfte an Tiefe, man kann nun rund um den Tisch sitzen. Alle Innentüren und Fenster wurden erneuert, dabei sämtliche Türöffnungen und Durchgänge um 10 bis 20 Prozent verbreitert. Die Tür zur Küche fiel sogar ganz weg.Wenn der Bauherr/Familienvater in der Früh durch die verglasten Dachgiebel schaut, hier zum Hang, dort in den freien Himmel, ist er wieder mitten im Wetter, wie als Heranwachsender in der Schlafkammer auf dem Dachboden. Nur geht das jetzt von unten herauf, er muss dafür nicht einen Stufe die Treppe hinaufsteigen. Man merkt an jedem Detail, dass diese „kleine“ Bauaufgabe dank einem einzigen treffenden Entwurfsgedanken, liebevoll und mit kluger Genauigkeit gelöst wurde, getragen von der intensiven Zusammenarbeit des Planers mit den privaten Auftraggebern. Dabei blieb der Ressourcenaufwand, abgesehen von Kommunikation und Ideenfindung, auf das kleinste mögliche Maß reduziert. Auch wenn der Umbau teurer wurde, als mit dem Ausbau der Kammer angedacht, findet die Bauherrnschaft, dass er sich hundertprozentig gelohnt hat.

„Die Herausforderung bestand darin, mit wenigen Maßnahmen innerhalb des
bestehenden Volumens unter Miteinbezug des sehr niedrigen Dachraumes eine
funktionierende Wohneinheit zu schaffen.“

Dieter Klammer
Architekt

In der Nutzung bleibt die Familie der Einstellung treu, die sie wohl auch beim Umbau geleitet hat. Das Wohnzimmer ist ein Raum, in dem eher gelebt als repräsentiert wird. Abends versammelt man sich vor dem Kaminofen, tagsüber spielen hier die Kinder. Wie auf einer Galerie zur Küche sind sie immer ganz nah am häuslichen Geschehen und haben doch viele Möglichkeiten, sich unter den Dachschrägen in ihre Bereiche zurückzuziehen. Schon bald werden sie die Vorzüge des geschlossenen Kinderzimmers neben der Küche entdecken, und wenn sie, noch später, jeder einen eigenen Raum für sich haben wollen, ist auch das möglich. In der Mitte des großen ehemaligen Wohnzimmers kann eine Trennwand eingezogen werden, eine neu eingebaute, noch verborgene zweite Tür kann geöffnet werden, und eine zusätzliche Balkontür brächte Tageslicht auch in den hinteren Bereich. Noch wirkt sie lediglich wie der zweite Flügel einer Doppeltür. Sollten die dann erwachsenen Kinder das Haus verlassen, könnte das ursprüngliche Wohnzimmer leicht wieder in Betrieb genommen und Gäste auf die Galerie gebeten werden.

Das integrierte Dachgeschoß ist jedoch nicht der ganze Umbau. Er beginnt schon mit dem Eingang, der an der Rückseite des Hauses liegt, auf halber Höhe zwischen dem Erdgeschoß und dem Obergeschoß. Geschützt durch den traufseitigen Dachüberstand führt eine Außentreppe erst zum niveaugleichen, seitlichen Eingang in das Erdgeschoß, in dem die Wohneinheit des Großvaters liegt, dann weiter hinauf zum rückwärtigen Eingang am steilen Hang, in das Stiegenhaus, das das gesamte Gebäude vertikal erschließt. Eine halbe Treppe nach unten führt in das Reich des Großvaters, aber schon beim Hereinkommen, mit dem Blick hinauf in die offene Küche, beginnt das der jungen Familie. Früher waren die Treppen komplett eingehaust. Die Situation wirkte beengt und es gab kaum Tageslicht. Jetzt sind die Wände des Stiegenhauses gefallen, eine lichtdurchflutete Eingangssituation in natürlich belassenem Holz und Weiß empfängt jeden freundlich.

Objekt Dachausbau Mehrgenerationenhaus M, Röthis
Architektur architektur.terminal hackl und klammer, Röthis, www.architekturterminal.at
Statik SSD Beratende Ingenieure ZT-GmbH, Röthis, www.ssd-zt.at
Planung 2021
Ausführung 01/2022–10/2022
Ausführende Abbruch, Ausbau, Trockenbau, Böden: Karl Brettenhofer Althaussanierung, Muntlix; Heizung Sanitär: Dobler Installationstechnik, Rankweil; Elektriker: Ludescher Electric, Rankweil; Fenster: A. Pümpel & Co KG, Feldkirch; Türen: Tischlerei Maier, Röthis; Treppe: Tischlerei Kassian Türtschler, Buchebrunnen; Spengler/Dachdecker: Entner Dach GmbH & Co. KG, Rankweil
Grundstück 812 m²
Wohnfläche 145 m²; Wohnfläche Dach: 40 m²
Besonderheiten Im Obergeschoß dieses Hauses aus den 1950er-Jahren wurde eine in sich geschlossene Wohneinheit errichtet. Das Treppenhaus wurde vom Eingang bis zum Dachraum geöffnet, der Dachraum als großzügige Wohnebene freigelegt.
Energiekennwert Dachausbau Bauteilsanierung  U-Wert 0,18 W/m²K (HWB)