Im Workspace „Irmhild“ in Bregenz lebt die Moderne weiter.
Die Wohnung eines Ärztepaares hat den damals
topaktuellen Mid-century-Stil in seltener Klarheit angewandt.
Wie durch ein kleines Wunder fand diese Wohnung nun eine
designverständige Nachnutzerin, die diesen Schatz erkannte
und – alles beim Alten beließ.

Text: Verena Konrad | Fotos: Petra Rainer

Manchmal liegt das Gute so nah. Man muss nicht auf die amerikanische Halbinsel Cape Cod reisen, um Mid-century-Architektur unverändert und stilecht erleben zu können. Ein Stadthaus in Bregenz beherbergt einen seltenen Schatz, der von Karin Guldenschuh gefunden und als solcher erkannt und sorgsam neu aufbereitet wurde. Nicht viele neue Wohnungsbesitzer(innen) hätten so agiert. Meist widerspricht die vorhandene Einrichtung den Wünschen der neuen Nutzer(innen). Dabei boomt der „Mid-century modern“ in der Innenarchitektur seit einigen Jahren wieder, vor allem aber bezogen auf einzelne Einrichtungselemente und Möbel. Diese Wohnung jedoch exerziert den Stil bis ins letzte Detail.

Die amerikanische Journalistin Cara Greenberg hat „Mid-century modern“ 1983 einen Namen gegeben. Sie beschreibt in einem gleichnamigen Buch eine vor allem auf Möbel konzentrierte Designbewegung in den USA der 1950er-Jahre, die von dort aus schnell Verbreitung fand. Etwas verallgemeinernd könnte man sagen, dass sie an die modernen Strömungen des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier oder an die Moderne der Kunsthochschule „Bauhaus“ anknüpfte. Viele ihrer bekannten Vertreterinnen und Vertreter waren im Zweiten Weltkrieg in die USA geflohen.

Den „Mid-century-Stil zeichnen klare Linien aus, geometrische Formen. Diese werden immer wieder von sanften, organischen Kurven unterbrochen. Er setzt auf Funktionalität. Farben und Materialien sind ebenso modern und können heute in der Datierung wertvolle Dienste leisten. „Mid-century modern“ brachte das neue Möbeldesign in die Haushalte. Die Bewegung geht einher mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den USA, mit der Modernisierung der Haushalte, sie ist Ausdruck eines Aufbruchs, von Optimismus, aber auch von Effizienz. So war die Nachfrage nach diesen Produkten auch enorm und schwappte bald auf andere Kontinente über.

„Die einstige Wohnung und Privatpraxis einer Augenfachärztin stand lange Zeit leer.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Originalmöbel aus den 1950er-Jahren so gut erhalten sind.“

Karin Guldenschuh
Besitzerin

In Bregenz hat sich ein solches Kleinod unbemerkt erhalten. Es ist eine der seltenen Wohnungen mit originaler Ausstattung, die die Modernität dieser Zeit konserviert hat.

„Ich nutze die Wohnung vorwiegend als Arbeitsort“, erzählt Kommunikationsexpertin Karin Guldenschuh. Den schönen Namen „Irmhild“ hat sie ebenso übernommen. Er erinnert an die ehemalige Bewohnerin. „Ich habe den Ort schon beim ersten Betreten sehr speziell gefunden.“ Das Haus war 1957 enorm modern. Viele Details sind bis heute erhalten, das Stiegengeländer, Türgriffe, alles ist noch in gutem Gebrauch und bleibt es hoffentlich auch noch lange.

„Ich habe das Vintage-Apartment in eine Denkwerkstatt verwandelt. Hier arbeite ich als Unternehmensberaterin und Autorin. Zugleich bin ich Gastgeberin dieses Möglichkeitsraums in unmittelbarer Nähe zu Berg und See. Die Retro-Design-Wohnung und ehemalige Praxis einer Augenärztin in bester Lage in der Bregenzer Innenstadt soll ein konzentrierter und inspirierender Ort für die Auseinandersetzung mit Themen aller Art sein.“ Ideal also für kleine Teams, die sich für Konzeptarbeit oder eine kleine Klausur zurückziehen wollen. Vor Ort stimmt alles. Garderobe, Küche und Wohnzimmer sind originäre Entwürfe des Architekten Richard Bechtold. Von ihm stammen wunderbare Details wie eine durch ein lichtes Gitter abgeschirmte und durch einen hölzernen Plafond gedeckte Wohnlandschaft.

Für Karin Guldenschuh war der kulturelle Wert leicht erkennbar. Ihn nicht zu zerstören und die Wohnung nach heutigen Maßstäben modern zu machen, war ihr ein großes Anliegen, für das sie ebenso wieder die Hilfe von Architekten in Anspruch nahm. Sie entschied sich für die Zusammenarbeit mit Albrecht Bereiter Architekten. „Christian Albrecht und Timo Bereiter hatten bereits Nachnutzungs- und Sanierungsarbeiten für einige meiner Kunden gemacht. Ich kenne und schätze die Sensibilität in ihrer Herangehensweise.“ Altes zu belassen, braucht manchmal auch Mut und Bereitschaft zum Verzicht. In diesem Fall hat aber auch Gestaltungsfreude eine große Rolle gespielt. „Es war einfach schön, diesen Raum zu neuem Leben zu erwecken und dort weiterzudenken, wo Irmhild zuletzt gelebt und gearbeitet hat und ich heute arbeiten darf.“

Eine Baukulturgeschichte von
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf www.v-a-i.at

Daten und Fakten

Objekt Irmhild Workspace, Bregenz
Eigentümer(innen) Karin Guldenschuh und Gerhard Vonach
Architektur Albrecht Bereiter Architekten, Dornbirn www.albrecht-bereiter.at
Planung 2018–2019
Ausführung 2020–2022
Nutzfläche 98 m²
Bauweise Massivbau Baujahr 1957; neue Fenster aus wintergeschlagenem Klostertaler Fichtenholz und Dreischeibenisolierglas
Besonderheiten Innenausbau original 1950er-Jahre; Entwurf Wohnzimmer: Architekt Richard Bechtold
Ausführung Fenster und Möbelrestauration: Klaus Engstler, Dalaas; Farbe, Magnetwände, Beschriftung: Michael Fetz, Alberschwende; Licht, Elektro: Anna Claudia Strolz, Bregenz und Ludwig Metzler, Wolfurt; Raumausstattung: Thomas Bechtold, Muntlix
Baukosten 380.000 Euro